Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Julius Hart. Von Westen kam ich und mein Geist umspann Weichmüthig rasch entschwund'ne Jugendtage, War's eine Thräne, die vom Aug' mir rann, Klang's von dem Mund wie sehnsuchtsbange Klage? ... Von Westen kam ich und mein Geist entflog Voran und weit in dunkle Zukunftstunden ... Wohl hob er mächtig sich, sein Flug war hoch, Und Schlachten sah er, Drang und blut'ge Wunden. Vorbei die Spiele, durch den Nebelschwall Des grauenden Septembermorgens jagen Des Zuges Räder, und vom dumpfen Schall Stöhnt, dröhnt und saust's im engen Eisenwagen ... Zerzauste Wolken, winddurchwühlter Wald Und braune Felsen schießen wirr vorüber, Dort graut die Havel, und das Wasser schwallt, Die Brücke, hei! dumpf braust der Zug hinüber. Die Fenster auf! Dort drüben liegt Berlin! Dampf wallt empor und Qualm, in schwarzen Schleiern Hängt tief und steif die Wolke drüber hin, Die bleiche Luft drückt schwer und liegt wie bleiern ... Ein Flammenheerd darunter -- ein Vulkan, Von Millionen Feuerbränden lodernd, ... Ein Paradies, ein süßes Kanaan, -- Ein Höllenreich und Schatten bleich vermodernd. Hindonnernd rollt der Zug! Es saust die Luft, Ein anderer rast dumpfrasselnd risch vorüber, Fabriken rauchgeschwärzt, im Wasserduft Glänzt Flamm' um Flamme, düster, trüb' und trüber, Engbrüst'ge Häuser, Fenster schmal und klein, Bald braust es dumpf durch dunkle Brückenbogen, Bald blitzt es unter uns wie grauer Wasserschein, Und unter Kähnen wandeln müd' die Wogen. Vorbei, vorüber! und ein geller Pfiff! Weiß fliegt der Dampf, ... ein Knirschen an den Schienen! Die Bremse stöhnt laut unter starkem Griff ... Langsamer nun! Es glänzt in Aller Mienen! Julius Hart. Von Weſten kam ich und mein Geiſt umſpann Weichmüthig raſch entſchwund’ne Jugendtage, War’s eine Thräne, die vom Aug’ mir rann, Klang’s von dem Mund wie ſehnſuchtsbange Klage? … Von Weſten kam ich und mein Geiſt entflog Voran und weit in dunkle Zukunftſtunden … Wohl hob er mächtig ſich, ſein Flug war hoch, Und Schlachten ſah er, Drang und blut’ge Wunden. Vorbei die Spiele, durch den Nebelſchwall Des grauenden Septembermorgens jagen Des Zuges Räder, und vom dumpfen Schall Stöhnt, dröhnt und ſauſt’s im engen Eiſenwagen … Zerzauſte Wolken, winddurchwühlter Wald Und braune Felſen ſchießen wirr vorüber, Dort graut die Havel, und das Waſſer ſchwallt, Die Brücke, hei! dumpf brauſt der Zug hinüber. Die Fenſter auf! Dort drüben liegt Berlin! Dampf wallt empor und Qualm, in ſchwarzen Schleiern Hängt tief und ſteif die Wolke drüber hin, Die bleiche Luft drückt ſchwer und liegt wie bleiern … Ein Flammenheerd darunter — ein Vulkan, Von Millionen Feuerbränden lodernd, … Ein Paradies, ein ſüßes Kanaan, — Ein Höllenreich und Schatten bleich vermodernd. Hindonnernd rollt der Zug! Es ſauſt die Luft, Ein anderer raſt dumpfraſſelnd riſch vorüber, Fabriken rauchgeſchwärzt, im Waſſerduft Glänzt Flamm’ um Flamme, düſter, trüb’ und trüber, Engbrüſt’ge Häuſer, Fenſter ſchmal und klein, Bald brauſt es dumpf durch dunkle Brückenbogen, Bald blitzt es unter uns wie grauer Waſſerſchein, Und unter Kähnen wandeln müd’ die Wogen. Vorbei, vorüber! und ein geller Pfiff! Weiß fliegt der Dampf, … ein Knirſchen an den Schienen! Die Bremſe ſtöhnt laut unter ſtarkem Griff … Langſamer nun! Es glänzt in Aller Mienen! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0074" n="56"/> <fw place="top" type="header">Julius Hart.</fw><lb/> <lg n="2"> <l>Von Weſten kam ich und mein Geiſt umſpann</l><lb/> <l>Weichmüthig raſch entſchwund’ne Jugendtage,</l><lb/> <l>War’s eine Thräne, die vom Aug’ mir rann,</l><lb/> <l>Klang’s von dem Mund wie ſehnſuchtsbange Klage? …</l><lb/> <l>Von Weſten kam ich und mein Geiſt entflog</l><lb/> <l>Voran und weit in dunkle Zukunftſtunden …</l><lb/> <l>Wohl hob er mächtig ſich, ſein Flug war hoch,</l><lb/> <l>Und Schlachten ſah er, Drang und blut’ge Wunden.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Vorbei die Spiele, durch den Nebelſchwall</l><lb/> <l>Des grauenden Septembermorgens jagen</l><lb/> <l>Des Zuges Räder, und vom dumpfen Schall</l><lb/> <l>Stöhnt, dröhnt und ſauſt’s im engen Eiſenwagen …</l><lb/> <l>Zerzauſte Wolken, winddurchwühlter Wald</l><lb/> <l>Und braune Felſen ſchießen wirr vorüber,</l><lb/> <l>Dort graut die Havel, und das Waſſer ſchwallt,</l><lb/> <l>Die Brücke, hei! dumpf brauſt der Zug hinüber.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Die Fenſter auf! 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Julius Hart.
Von Weſten kam ich und mein Geiſt umſpann
Weichmüthig raſch entſchwund’ne Jugendtage,
War’s eine Thräne, die vom Aug’ mir rann,
Klang’s von dem Mund wie ſehnſuchtsbange Klage? …
Von Weſten kam ich und mein Geiſt entflog
Voran und weit in dunkle Zukunftſtunden …
Wohl hob er mächtig ſich, ſein Flug war hoch,
Und Schlachten ſah er, Drang und blut’ge Wunden.
Vorbei die Spiele, durch den Nebelſchwall
Des grauenden Septembermorgens jagen
Des Zuges Räder, und vom dumpfen Schall
Stöhnt, dröhnt und ſauſt’s im engen Eiſenwagen …
Zerzauſte Wolken, winddurchwühlter Wald
Und braune Felſen ſchießen wirr vorüber,
Dort graut die Havel, und das Waſſer ſchwallt,
Die Brücke, hei! dumpf brauſt der Zug hinüber.
Die Fenſter auf! Dort drüben liegt Berlin!
Dampf wallt empor und Qualm, in ſchwarzen Schleiern
Hängt tief und ſteif die Wolke drüber hin,
Die bleiche Luft drückt ſchwer und liegt wie bleiern …
Ein Flammenheerd darunter — ein Vulkan,
Von Millionen Feuerbränden lodernd, …
Ein Paradies, ein ſüßes Kanaan, —
Ein Höllenreich und Schatten bleich vermodernd.
Hindonnernd rollt der Zug! Es ſauſt die Luft,
Ein anderer raſt dumpfraſſelnd riſch vorüber,
Fabriken rauchgeſchwärzt, im Waſſerduft
Glänzt Flamm’ um Flamme, düſter, trüb’ und trüber,
Engbrüſt’ge Häuſer, Fenſter ſchmal und klein,
Bald brauſt es dumpf durch dunkle Brückenbogen,
Bald blitzt es unter uns wie grauer Waſſerſchein,
Und unter Kähnen wandeln müd’ die Wogen.
Vorbei, vorüber! und ein geller Pfiff!
Weiß fliegt der Dampf, … ein Knirſchen an den Schienen!
Die Bremſe ſtöhnt laut unter ſtarkem Griff …
Langſamer nun! Es glänzt in Aller Mienen!
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