Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Carl Bleibtreu. Ein Blitzstrahl zuckt -- die Helden sind geknickt! Dein Zorn hat unsre Nacken tief gebeugt -- Wer aber wollte drob zu murren wagen? Wie Simson nehme ich mein Saitenspiel, Die heilige Harfe von den Trauerweiden: Von unserm tiefen Wehe sing' ich gern -- Mag sich der Feind an unserm Jammer weiden! Doch dann wie Simson laßt uns flehn zum Herrn, Bis ihres Stolzes Tempel niederfiel, "Daß unsre Seele sterbe mit den Heiden!" Ihr Berge von Gilboa, seid verflucht, Dieweil des Herrn Gesalbter dort erstochen! Nicht Regen netze euch noch Himmelsthau! Denn Saul, des Starken, Schild ward dort zerbrochen -- Drum sollt ihr werden wüst und öd' und rauh! Kein Sonnenstrahl der Helden Gruft besucht, Bis ihre Schmach, ja unsre Schmach gerochen! Ich trage Leid um dich, mein Jonathan! Mein Herz, o Bruder, ist mit dir gegangen. Die Frauenliebe heilt die Wunde nicht. Mit diesen Thränen flieht von meinen Wangen Des Lebens Mai, mein Herz für immer bricht. Kein irdisch Glück dich mir ersetzen kann: Du gingst -- und Glück und Jugend sind vergangen! Weisheit des Orients. Original-Beitrag. 1. Auf Damascener-Stahl ist eingeprägt Ein Koran-Vers, den Lebenszweck zu zeigen, Und dient als Amulet dem, der ihn trägt. Schwertfeger, dieser Vers fiel mir zu eigen: Carl Bleibtreu. Ein Blitzſtrahl zuckt — die Helden ſind geknickt! Dein Zorn hat unſre Nacken tief gebeugt — Wer aber wollte drob zu murren wagen? Wie Simſon nehme ich mein Saitenſpiel, Die heilige Harfe von den Trauerweiden: Von unſerm tiefen Wehe ſing’ ich gern — Mag ſich der Feind an unſerm Jammer weiden! Doch dann wie Simſon laßt uns flehn zum Herrn, Bis ihres Stolzes Tempel niederfiel, „Daß unſre Seele ſterbe mit den Heiden!“ Ihr Berge von Gilboa, ſeid verflucht, Dieweil des Herrn Geſalbter dort erſtochen! Nicht Regen netze euch noch Himmelsthau! Denn Saul, des Starken, Schild ward dort zerbrochen — Drum ſollt ihr werden wüſt und öd’ und rauh! Kein Sonnenſtrahl der Helden Gruft beſucht, Bis ihre Schmach, ja unſre Schmach gerochen! Ich trage Leid um dich, mein Jonathan! Mein Herz, o Bruder, iſt mit dir gegangen. Die Frauenliebe heilt die Wunde nicht. Mit dieſen Thränen flieht von meinen Wangen Des Lebens Mai, mein Herz für immer bricht. Kein irdiſch Glück dich mir erſetzen kann: Du gingſt — und Glück und Jugend ſind vergangen! Weisheit des Orients. Original-Beitrag. 1. Auf Damascener-Stahl iſt eingeprägt Ein Koran-Vers, den Lebenszweck zu zeigen, Und dient als Amulet dem, der ihn trägt. Schwertfeger, dieſer Vers fiel mir zu eigen: <TEI> <text> <back> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <lg type="poem"> <lg n="2"> <pb facs="#f0328" n="6"/> <fw place="top" type="header">Carl Bleibtreu.</fw><lb/> <l>Ein Blitzſtrahl zuckt — die Helden ſind geknickt!</l><lb/> <l>Dein Zorn hat unſre Nacken tief gebeugt —</l><lb/> <l>Wer aber wollte drob zu murren wagen?</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Wie Simſon nehme ich mein Saitenſpiel,</l><lb/> <l>Die heilige Harfe von den Trauerweiden:</l><lb/> <l>Von unſerm tiefen Wehe ſing’ ich gern —</l><lb/> <l>Mag ſich der Feind an unſerm Jammer weiden!</l><lb/> <l>Doch dann wie Simſon laßt uns flehn zum Herrn,</l><lb/> <l>Bis ihres Stolzes Tempel niederfiel,</l><lb/> <l>„Daß unſre Seele ſterbe mit den Heiden!“</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Ihr Berge von Gilboa, ſeid verflucht,</l><lb/> <l>Dieweil des Herrn Geſalbter dort erſtochen!</l><lb/> <l>Nicht Regen netze euch noch Himmelsthau!</l><lb/> <l>Denn Saul, des Starken, Schild ward dort zerbrochen —</l><lb/> <l>Drum ſollt ihr werden wüſt und öd’ und rauh!</l><lb/> <l>Kein Sonnenſtrahl der Helden Gruft beſucht,</l><lb/> <l>Bis <hi rendition="#g">ihre</hi> Schmach, ja <hi rendition="#g">unſre</hi> Schmach gerochen!</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Ich trage Leid um dich, mein Jonathan!</l><lb/> <l>Mein Herz, o Bruder, iſt mit dir gegangen.</l><lb/> <l>Die Frauenliebe heilt die Wunde nicht.</l><lb/> <l>Mit dieſen Thränen flieht von meinen Wangen</l><lb/> <l>Des Lebens Mai, mein Herz für immer bricht.</l><lb/> <l>Kein irdiſch Glück dich mir erſetzen kann:</l><lb/> <l>Du gingſt — und Glück und Jugend ſind vergangen!</l> </lg> </lg> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Weisheit des Orients.</hi> </head><lb/> <p> <hi rendition="#c">Original-Beitrag.</hi> </p><lb/> <div n="4"> <head>1.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Auf Damascener-Stahl iſt eingeprägt</l><lb/> <l>Ein Koran-Vers, den Lebenszweck zu zeigen,</l><lb/> <l>Und dient als Amulet dem, der ihn trägt.</l><lb/> <l>Schwertfeger, dieſer Vers fiel mir zu eigen:</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </div> </back> </text> </TEI> [6/0328]
Carl Bleibtreu.
Ein Blitzſtrahl zuckt — die Helden ſind geknickt!
Dein Zorn hat unſre Nacken tief gebeugt —
Wer aber wollte drob zu murren wagen?
Wie Simſon nehme ich mein Saitenſpiel,
Die heilige Harfe von den Trauerweiden:
Von unſerm tiefen Wehe ſing’ ich gern —
Mag ſich der Feind an unſerm Jammer weiden!
Doch dann wie Simſon laßt uns flehn zum Herrn,
Bis ihres Stolzes Tempel niederfiel,
„Daß unſre Seele ſterbe mit den Heiden!“
Ihr Berge von Gilboa, ſeid verflucht,
Dieweil des Herrn Geſalbter dort erſtochen!
Nicht Regen netze euch noch Himmelsthau!
Denn Saul, des Starken, Schild ward dort zerbrochen —
Drum ſollt ihr werden wüſt und öd’ und rauh!
Kein Sonnenſtrahl der Helden Gruft beſucht,
Bis ihre Schmach, ja unſre Schmach gerochen!
Ich trage Leid um dich, mein Jonathan!
Mein Herz, o Bruder, iſt mit dir gegangen.
Die Frauenliebe heilt die Wunde nicht.
Mit dieſen Thränen flieht von meinen Wangen
Des Lebens Mai, mein Herz für immer bricht.
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1.
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