Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Georg Gradnauer. Haus' ich hier oben auf goldigem Bergdach, Ein einsamer Siedler, Zwiesprach nur haltend mit mir allen Und dem pfeilergetragenen, moospelzumflossenen Felsdom. In das härne Gewand Erkenntniß und Wahrheit suchenden Sehens Ist nun endlich gehüllt meine irdischem Flitter abgewendete Sele. Ja wahrlich! Gänzlich habe ich nun entsaget dem sinnebethörenen, Nimmer doch wahres Genüge erschaffenden Hasten und Gehen; Und also zerthauen die eisharten Krusten, Die mich umstarrt mit ertödtender Kälte, Namenlosen Jubels schwell' ich empor in die strömenden Lfte, Wachse hinauf in des Aethers allweite Zonen. Losgestreift aus den stumpfumzirkenden Engen ichsüchtiger Selbsteit, Fühle ich mich, in seligster Wonne erschauernd, Zusammengegossen mit dem Alles im Schooße des Weltglüs Umfassenden Wesen der Allheit! II. Was rauschtet ihr für wunderbare Hymnen, Ihr sanftgeneigten Birkenhäupter Durchs stumme, traumgewiegte Nachtesdunkel, Das eure schneeige Hermelinumwandung nur, Und durch die schwarzen Laubeshänge niedertropfend Des Mantels Silberfluth zu lichten wagt? Wie seltsamlich noch nie vernommene Melodie'n Raunt mir des leisbeflügelten Windes Mund? -- Mir ists, als sei von jedem Dinge Die äußere Trugumhüllung fortgezogen, Als ob ich Jedes könnt' erkennen In seines Wesens tiefster Eigenheit, Als wenn ich lauschte an dem Urborn alles Seins und Werdes. Erhabenes fühl' ich auf mich niederstürmen, Noch nie geklungne Saiten beben sonderartge Lieder Mir durch das Herz, das weltengroß sich dehnet; Und Ungeheuerliches gähret tief in meiner Brust, Daß heiligen Grauens ahnungsvoll es mich durchzittert. Georg Gradnauer. Hauſ’ ich hier oben auf goldigem Bergdach, Ein einſamer Siedler, Zwieſprach nur haltend mit mir allen Und dem pfeilergetragenen, moospelzumfloſſenen Felsdom. In das härne Gewand Erkenntniß und Wahrheit ſuchenden Sehens Iſt nun endlich gehüllt meine irdiſchem Flitter abgewendete Sele. Ja wahrlich! Gänzlich habe ich nun entſaget dem ſinnebethörenen, Nimmer doch wahres Genüge erſchaffenden Haſten und Gehen; Und alſo zerthauen die eisharten Kruſten, Die mich umſtarrt mit ertödtender Kälte, Namenloſen Jubels ſchwell’ ich empor in die ſtrömenden Lfte, Wachſe hinauf in des Aethers allweite Zonen. Losgeſtreift aus den ſtumpfumzirkenden Engen ichſüchtiger Selbſteit, Fühle ich mich, in ſeligſter Wonne erſchauernd, Zuſammengegoſſen mit dem Alles im Schooße des Weltglüs Umfaſſenden Weſen der Allheit! II. Was rauſchtet ihr für wunderbare Hymnen, Ihr ſanftgeneigten Birkenhäupter Durchs ſtumme, traumgewiegte Nachtesdunkel, Das eure ſchneeige Hermelinumwandung nur, Und durch die ſchwarzen Laubeshänge niedertropfend Des Mantels Silberfluth zu lichten wagt? Wie ſeltſamlich noch nie vernommene Melodie’n Raunt mir des leisbeflügelten Windes Mund? — Mir iſts, als ſei von jedem Dinge Die äußere Trugumhüllung fortgezogen, Als ob ich Jedes könnt’ erkennen In ſeines Weſens tiefſter Eigenheit, Als wenn ich lauſchte an dem Urborn alles Seins und Werdes. Erhabenes fühl’ ich auf mich niederſtürmen, Noch nie geklungne Saiten beben ſonderartge Lieder Mir durch das Herz, das weltengroß ſich dehnet; Und Ungeheuerliches gähret tief in meiner Bruſt, Daß heiligen Grauens ahnungsvoll es mich durchzittert. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <lg n="1"> <pb facs="#f0230" n="212"/> <fw place="top" type="header">Georg Gradnauer.</fw><lb/> <l>Hauſ’ ich hier oben auf goldigem Bergdach,</l><lb/> <l>Ein einſamer Siedler, Zwieſprach nur haltend mit mir allen</l><lb/> <l>Und dem pfeilergetragenen, moospelzumfloſſenen Felsdom.</l><lb/> <l>In das härne Gewand Erkenntniß und Wahrheit ſuchenden Sehens</l><lb/> <l>Iſt nun endlich gehüllt meine irdiſchem Flitter abgewendete Sele.</l><lb/> <l>Ja wahrlich! 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Georg Gradnauer.
Hauſ’ ich hier oben auf goldigem Bergdach,
Ein einſamer Siedler, Zwieſprach nur haltend mit mir allen
Und dem pfeilergetragenen, moospelzumfloſſenen Felsdom.
In das härne Gewand Erkenntniß und Wahrheit ſuchenden Sehens
Iſt nun endlich gehüllt meine irdiſchem Flitter abgewendete Sele.
Ja wahrlich! Gänzlich habe ich nun entſaget dem ſinnebethörenen,
Nimmer doch wahres Genüge erſchaffenden Haſten und Gehen;
Und alſo zerthauen die eisharten Kruſten,
Die mich umſtarrt mit ertödtender Kälte,
Namenloſen Jubels ſchwell’ ich empor in die ſtrömenden Lfte,
Wachſe hinauf in des Aethers allweite Zonen.
Losgeſtreift aus den ſtumpfumzirkenden Engen ichſüchtiger Selbſteit,
Fühle ich mich, in ſeligſter Wonne erſchauernd,
Zuſammengegoſſen mit dem Alles im Schooße des Weltglüs
Umfaſſenden Weſen der Allheit!
II.
Was rauſchtet ihr für wunderbare Hymnen,
Ihr ſanftgeneigten Birkenhäupter
Durchs ſtumme, traumgewiegte Nachtesdunkel,
Das eure ſchneeige Hermelinumwandung nur,
Und durch die ſchwarzen Laubeshänge niedertropfend
Des Mantels Silberfluth zu lichten wagt?
Wie ſeltſamlich noch nie vernommene Melodie’n
Raunt mir des leisbeflügelten Windes Mund? —
Mir iſts, als ſei von jedem Dinge
Die äußere Trugumhüllung fortgezogen,
Als ob ich Jedes könnt’ erkennen
In ſeines Weſens tiefſter Eigenheit,
Als wenn ich lauſchte an dem Urborn alles Seins und Werdes.
Erhabenes fühl’ ich auf mich niederſtürmen,
Noch nie geklungne Saiten beben ſonderartge Lieder
Mir durch das Herz, das weltengroß ſich dehnet;
Und Ungeheuerliches gähret tief in meiner Bruſt,
Daß heiligen Grauens ahnungsvoll es mich durchzittert.
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