Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Arno Holz. Rings um die wiederweißen Marmormäler Spielt laut ein Kinderschwarm nun Blindekuh, Und heimlich giebt der Backfisch dem Pennäler Am Goldfischteich das erste Rendezvous. Und macht die Nacht dann ihre stille Runde Und blitzt es licht durchs dunkle Firmament, Dann ist's dieselbe Lenznacht, die zur Stunde Sich lagert um den Busen von Sorrent. Dann ist's derselbe Mond, der rings das Pflaster Weich überdeckt mit seinem goldnen Vließ, Den vor Jahrtausenden schon Zoroaster Als ewgen Herold aller Lenze pries. -- O Frühling! Frühling, dem die Welt entlodert, Du führst im Schild ein Röslein ohne Dorn! Daß uns das Herz nicht ganz vermorscht und modert, Stößt du noch immer in dein Wunderhorn. Noch immer läßt du deine Nachtigallen Ins Frühroth schlagen, wie zur Zeit Homers, Und hebst empor die Engel, die gefallen, Die kranken Söhne Fausts und Ahasvers. Ob du vor Zeiten einst als junge Sonne Glorreich emporstiegst über Salamis, Indeß Diogenes in seiner Tonne Sich philosophisch in die Nägel biß; Und ob dir heute noch im fernsten Norden Ein Opfer bringt der fromme Eskimo, Wie weiland an des Südmeers blauen Borden Der alte Mythenkönig Pharao: Du bist und bleibst der einzig wahre Heiland, Dein schöner Wahlspruch jauchzt: "Empor! Empor!" Was soll uns noch ein waldumrauschtes Eiland? Du wandelst um den Stadtwall auch durchs Thor! Du bist nicht scheu wie deine Waldgespenster, Du setzt auch in die Großstadt deinen Fuß Und wehst tagtäglich durch das offne Fenster Mir in das Stübchen deinen Morgengruß. Arno Holz. Rings um die wiederweißen Marmormäler Spielt laut ein Kinderſchwarm nun Blindekuh, Und heimlich giebt der Backfiſch dem Pennäler Am Goldfiſchteich das erſte Rendezvous. Und macht die Nacht dann ihre ſtille Runde Und blitzt es licht durchs dunkle Firmament, Dann iſt’s dieſelbe Lenznacht, die zur Stunde Sich lagert um den Buſen von Sorrent. Dann iſt’s derſelbe Mond, der rings das Pflaſter Weich überdeckt mit ſeinem goldnen Vließ, Den vor Jahrtauſenden ſchon Zoroaſter Als ewgen Herold aller Lenze pries. — O Frühling! Frühling, dem die Welt entlodert, Du führſt im Schild ein Röslein ohne Dorn! Daß uns das Herz nicht ganz vermorſcht und modert, Stößt du noch immer in dein Wunderhorn. Noch immer läßt du deine Nachtigallen Ins Frühroth ſchlagen, wie zur Zeit Homers, Und hebſt empor die Engel, die gefallen, Die kranken Söhne Fauſts und Ahasvers. Ob du vor Zeiten einſt als junge Sonne Glorreich emporſtiegſt über Salamis, Indeß Diogenes in ſeiner Tonne Sich philoſophiſch in die Nägel biß; Und ob dir heute noch im fernſten Norden Ein Opfer bringt der fromme Eskimo, Wie weiland an des Südmeers blauen Borden Der alte Mythenkönig Pharao: Du biſt und bleibſt der einzig wahre Heiland, Dein ſchöner Wahlſpruch jauchzt: „Empor! Empor!“ Was ſoll uns noch ein waldumrauſchtes Eiland? Du wandelſt um den Stadtwall auch durchs Thor! Du biſt nicht ſcheu wie deine Waldgeſpenſter, Du ſetzt auch in die Großſtadt deinen Fuß Und wehſt tagtäglich durch das offne Fenſter Mir in das Stübchen deinen Morgengruß. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <lg n="15"> <pb facs="#f0160" n="142"/> <fw place="top" type="header">Arno Holz.</fw><lb/> <l>Rings um die wiederweißen Marmormäler</l><lb/> <l>Spielt laut ein Kinderſchwarm nun Blindekuh,</l><lb/> <l>Und heimlich giebt der Backfiſch dem Pennäler</l><lb/> <l>Am Goldfiſchteich das erſte Rendezvous.</l> </lg><lb/> <lg n="16"> <l>Und macht die Nacht dann ihre ſtille Runde</l><lb/> <l>Und blitzt es licht durchs dunkle Firmament,</l><lb/> <l>Dann iſt’s dieſelbe Lenznacht, die zur Stunde</l><lb/> <l>Sich lagert um den Buſen von Sorrent.</l><lb/> <l>Dann iſt’s derſelbe Mond, der rings das Pflaſter</l><lb/> <l>Weich überdeckt mit ſeinem goldnen Vließ,</l><lb/> <l>Den vor Jahrtauſenden ſchon Zoroaſter</l><lb/> <l>Als ewgen Herold aller Lenze pries. —</l> </lg><lb/> <lg n="17"> <l>O Frühling! 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Arno Holz.
Rings um die wiederweißen Marmormäler
Spielt laut ein Kinderſchwarm nun Blindekuh,
Und heimlich giebt der Backfiſch dem Pennäler
Am Goldfiſchteich das erſte Rendezvous.
Und macht die Nacht dann ihre ſtille Runde
Und blitzt es licht durchs dunkle Firmament,
Dann iſt’s dieſelbe Lenznacht, die zur Stunde
Sich lagert um den Buſen von Sorrent.
Dann iſt’s derſelbe Mond, der rings das Pflaſter
Weich überdeckt mit ſeinem goldnen Vließ,
Den vor Jahrtauſenden ſchon Zoroaſter
Als ewgen Herold aller Lenze pries. —
O Frühling! Frühling, dem die Welt entlodert,
Du führſt im Schild ein Röslein ohne Dorn!
Daß uns das Herz nicht ganz vermorſcht und modert,
Stößt du noch immer in dein Wunderhorn.
Noch immer läßt du deine Nachtigallen
Ins Frühroth ſchlagen, wie zur Zeit Homers,
Und hebſt empor die Engel, die gefallen,
Die kranken Söhne Fauſts und Ahasvers.
Ob du vor Zeiten einſt als junge Sonne
Glorreich emporſtiegſt über Salamis,
Indeß Diogenes in ſeiner Tonne
Sich philoſophiſch in die Nägel biß;
Und ob dir heute noch im fernſten Norden
Ein Opfer bringt der fromme Eskimo,
Wie weiland an des Südmeers blauen Borden
Der alte Mythenkönig Pharao:
Du biſt und bleibſt der einzig wahre Heiland,
Dein ſchöner Wahlſpruch jauchzt: „Empor! Empor!“
Was ſoll uns noch ein waldumrauſchtes Eiland?
Du wandelſt um den Stadtwall auch durchs Thor!
Du biſt nicht ſcheu wie deine Waldgeſpenſter,
Du ſetzt auch in die Großſtadt deinen Fuß
Und wehſt tagtäglich durch das offne Fenſter
Mir in das Stübchen deinen Morgengruß.
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