Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Karl August Hückinghaus. Seh senken ich darin nieder ... Wild press' ich die Stirn auf's Pfühl! Mich schüttelt der Sehnsucht Fieber Nach dir, o Todte, nach dir. Christus-Prometheus. Originalbeitrag. Und wieder kam die erste Osternacht, Und "Auferstehen" jauchzt es aller Landen, Da führt ein Geist mich fort mit Zaubermacht: Auf steilem Felsen liegt ein Mensch in Banden, Allein, sein einziger Genosse ist Ein Adler, der an seinem Herzen zehrt und frißt. Am Felsen festgebannt durch starken Stahl, Sein Mark durchwühlen Schmerzen nimmergleiche, So duldet er Jahrhunderte die Qual. Da, wie ich ihm in's Angesicht, das bleiche, Die leidenvollen, edlen Züge seh, Erkenn' ich ihn, den Dulder von Gethsemane. Von seinem Munde macht ein Wort sich frei: Was klingt ihr, Glocken, in den Ostertagen? Nun lügt ihr frech, daß ich erstanden sei Und habt auf's Neue mich an's Kreuz geschlagen, In meiner Kirche, an dem Weihaltar Da predigst du den Wahn, o Pharisäerschaar. Die heil'ge Gluth, die ich vom Himmel trug, Die Lehre von dem göttlich-großen Lieben, Gewandelt war sie schnell in einen Fluch Von Wortverfälschern und von Wahrheitsdieben. Zur Lüge ward verkehrt mein reines Wort, Die heil'ge Gluth mißbraucht zu Brand und Mord. 9
Karl Auguſt Hückinghaus. Seh ſenken ich darin nieder … Wild preſſ’ ich die Stirn auf’s Pfühl! Mich ſchüttelt der Sehnſucht Fieber Nach dir, o Todte, nach dir. Chriſtus-Prometheus. Originalbeitrag. Und wieder kam die erſte Oſternacht, Und „Auferſtehen“ jauchzt es aller Landen, Da führt ein Geiſt mich fort mit Zaubermacht: Auf ſteilem Felſen liegt ein Menſch in Banden, Allein, ſein einziger Genoſſe iſt Ein Adler, der an ſeinem Herzen zehrt und frißt. Am Felſen feſtgebannt durch ſtarken Stahl, Sein Mark durchwühlen Schmerzen nimmergleiche, So duldet er Jahrhunderte die Qual. Da, wie ich ihm in’s Angeſicht, das bleiche, Die leidenvollen, edlen Züge ſeh, Erkenn’ ich ihn, den Dulder von Gethſemane. Von ſeinem Munde macht ein Wort ſich frei: Was klingt ihr, Glocken, in den Oſtertagen? Nun lügt ihr frech, daß ich erſtanden ſei Und habt auf’s Neue mich an’s Kreuz geſchlagen, In meiner Kirche, an dem Weihaltar Da predigſt du den Wahn, o Phariſäerſchaar. Die heil’ge Gluth, die ich vom Himmel trug, Die Lehre von dem göttlich-großen Lieben, Gewandelt war ſie ſchnell in einen Fluch Von Wortverfälſchern und von Wahrheitsdieben. Zur Lüge ward verkehrt mein reines Wort, Die heil’ge Gluth mißbraucht zu Brand und Mord. 9
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Karl Auguſt Hückinghaus.
Seh ſenken ich darin nieder …
Wild preſſ’ ich die Stirn auf’s Pfühl!
Mich ſchüttelt der Sehnſucht Fieber
Nach dir, o Todte, nach dir.
Chriſtus-Prometheus.
Originalbeitrag.
Und wieder kam die erſte Oſternacht,
Und „Auferſtehen“ jauchzt es aller Landen,
Da führt ein Geiſt mich fort mit Zaubermacht:
Auf ſteilem Felſen liegt ein Menſch in Banden,
Allein, ſein einziger Genoſſe iſt
Ein Adler, der an ſeinem Herzen zehrt und frißt.
Am Felſen feſtgebannt durch ſtarken Stahl,
Sein Mark durchwühlen Schmerzen nimmergleiche,
So duldet er Jahrhunderte die Qual.
Da, wie ich ihm in’s Angeſicht, das bleiche,
Die leidenvollen, edlen Züge ſeh,
Erkenn’ ich ihn, den Dulder von Gethſemane.
Von ſeinem Munde macht ein Wort ſich frei:
Was klingt ihr, Glocken, in den Oſtertagen?
Nun lügt ihr frech, daß ich erſtanden ſei
Und habt auf’s Neue mich an’s Kreuz geſchlagen,
In meiner Kirche, an dem Weihaltar
Da predigſt du den Wahn, o Phariſäerſchaar.
Die heil’ge Gluth, die ich vom Himmel trug,
Die Lehre von dem göttlich-großen Lieben,
Gewandelt war ſie ſchnell in einen Fluch
Von Wortverfälſchern und von Wahrheitsdieben.
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Zitationshilfe: | Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/147>, abgerufen am 01.03.2025. |