der ernsteren Plastik fremd bleiben, auch wenn's dem Darge- stellten noch so gut schmeckt. Ueberhaupt sollte die Kunst mehr darauf bedacht sein, Geschmackvolles darzustellen, als Schmek- kendes. Hier hat offenbar die Natur das Prevenir. Das vergessen auch die Dichter gar zu oft, wie auch manche Predi- ger meinen, wenn sie selber weinten, hätten sie rührend gepre- digt. Und doch brächte mich eine wirkliche, natürliche, absichts- lose Zwiebel leichter zu Thränen, als ein solcher Rührungspre- diger. Wie nun aber wenn die Zwiebel sich einbilden wollte, sie rühre, weil sie macht, daß man weinen muß? Wenn denn überhaupt auf der Welt geweint sein muß, so bleibt's doch ein großer Unterschied, ob man über das Trauerspiel, oder den Trauerspieldichter weint. Nicht selten möchte man über den Trauerspieler zugleich mitweinen und hat dann eine complete dreistimmig besetzte Rührung. Doch ich schweife ab.
Zwar habe ich ein Duett zweier pubertätsreifer, verschie- den geschlechtlicher, nuder Menschenkinder, auf einem Weinblatt liegend, in einer aus diesen Verhältnissen leicht begreiflichen Attitude, aus schneeweißem Alabaster -- wie mir versichert wurde, ein Divertissement Thorwaldsen's -- gesehen, welches mir durchaus nicht mißfallen konnte. Aber das Ganze war nicht größer als ein wirkliches Weinblatt, und weil so etwas nicht groß ist, darf's auch nicht groß gebildet werden.
Wäre es nun wünschenswerth, es möchte die Eßkunst kei- nem Künstler fremd sein, da sie nothwendig den heitersten Ein- fluß auf seine Weltanschauung sowohl, als auf das Zarte und Geschmackvolle seiner besonderen Darstellungen üben müßte, so ist sie doch dem Schauspieler geradezu unerläßlich. Bekannt- lich haben wir nicht wenige Trauer-Schau- und Lustspiele so wie Opern, in denen gegessen wird. Obgleich nun zu wünschen wäre, Dichter und Schauspieler möchten dem Zuschauer etwas zu schmecken geben, auch ohne Eßdarstellungen, so hat nun ein- mal diese wichtige Thätigkeit auch auf den Welt bedeutenden
der ernſteren Plaſtik fremd bleiben, auch wenn’s dem Darge- ſtellten noch ſo gut ſchmeckt. Ueberhaupt ſollte die Kunſt mehr darauf bedacht ſein, Geſchmackvolles darzuſtellen, als Schmek- kendes. Hier hat offenbar die Natur das Prévenir. Das vergeſſen auch die Dichter gar zu oft, wie auch manche Predi- ger meinen, wenn ſie ſelber weinten, haͤtten ſie ruͤhrend gepre- digt. Und doch braͤchte mich eine wirkliche, natuͤrliche, abſichts- loſe Zwiebel leichter zu Thraͤnen, als ein ſolcher Ruͤhrungspre- diger. Wie nun aber wenn die Zwiebel ſich einbilden wollte, ſie ruͤhre, weil ſie macht, daß man weinen muß? Wenn denn uͤberhaupt auf der Welt geweint ſein muß, ſo bleibt’s doch ein großer Unterſchied, ob man uͤber das Trauerſpiel, oder den Trauerſpieldichter weint. Nicht ſelten moͤchte man uͤber den Trauerſpieler zugleich mitweinen und hat dann eine complete dreiſtimmig beſetzte Ruͤhrung. Doch ich ſchweife ab.
Zwar habe ich ein Duett zweier pubertaͤtsreifer, verſchie- den geſchlechtlicher, nuder Menſchenkinder, auf einem Weinblatt liegend, in einer aus dieſen Verhaͤltniſſen leicht begreiflichen Attitude, aus ſchneeweißem Alabaſter — wie mir verſichert wurde, ein Divertiſſement Thorwaldſen’s — geſehen, welches mir durchaus nicht mißfallen konnte. Aber das Ganze war nicht groͤßer als ein wirkliches Weinblatt, und weil ſo etwas nicht groß iſt, darf’s auch nicht groß gebildet werden.
Waͤre es nun wuͤnſchenswerth, es moͤchte die Eßkunſt kei- nem Kuͤnſtler fremd ſein, da ſie nothwendig den heiterſten Ein- fluß auf ſeine Weltanſchauung ſowohl, als auf das Zarte und Geſchmackvolle ſeiner beſonderen Darſtellungen uͤben muͤßte, ſo iſt ſie doch dem Schauſpieler geradezu unerlaͤßlich. Bekannt- lich haben wir nicht wenige Trauer-Schau- und Luſtſpiele ſo wie Opern, in denen gegeſſen wird. Obgleich nun zu wuͤnſchen waͤre, Dichter und Schauſpieler moͤchten dem Zuſchauer etwas zu ſchmecken geben, auch ohne Eßdarſtellungen, ſo hat nun ein- mal dieſe wichtige Thaͤtigkeit auch auf den Welt bedeutenden
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der ernſteren Plaſtik fremd bleiben, auch wenn’s dem Darge-
ſtellten noch ſo gut ſchmeckt. Ueberhaupt ſollte die Kunſt mehr
darauf bedacht ſein, Geſchmackvolles darzuſtellen, als Schmek-
kendes. Hier hat offenbar die Natur das Prévenir. Das
vergeſſen auch die Dichter gar zu oft, wie auch manche Predi-
ger meinen, wenn ſie ſelber weinten, haͤtten ſie ruͤhrend gepre-
digt. Und doch braͤchte mich eine wirkliche, natuͤrliche, abſichts-
loſe Zwiebel leichter zu Thraͤnen, als ein ſolcher Ruͤhrungspre-
diger. Wie nun aber wenn die Zwiebel ſich einbilden wollte,
ſie ruͤhre, weil ſie macht, daß man weinen muß? Wenn denn
uͤberhaupt auf der Welt geweint ſein muß, ſo bleibt’s doch ein
großer Unterſchied, ob man uͤber das Trauerſpiel, oder den
Trauerſpieldichter weint. Nicht ſelten moͤchte man uͤber den
Trauerſpieler zugleich mitweinen und hat dann eine complete
dreiſtimmig beſetzte Ruͤhrung. Doch ich ſchweife ab.
Zwar habe ich ein Duett zweier pubertaͤtsreifer, verſchie-
den geſchlechtlicher, nuder Menſchenkinder, auf einem Weinblatt
liegend, in einer aus dieſen Verhaͤltniſſen leicht begreiflichen
Attitude, aus ſchneeweißem Alabaſter — wie mir verſichert
wurde, ein Divertiſſement Thorwaldſen’s — geſehen, welches
mir durchaus nicht mißfallen konnte. Aber das Ganze war nicht
groͤßer als ein wirkliches Weinblatt, und weil ſo etwas nicht
groß iſt, darf’s auch nicht groß gebildet werden.
Waͤre es nun wuͤnſchenswerth, es moͤchte die Eßkunſt kei-
nem Kuͤnſtler fremd ſein, da ſie nothwendig den heiterſten Ein-
fluß auf ſeine Weltanſchauung ſowohl, als auf das Zarte und
Geſchmackvolle ſeiner beſonderen Darſtellungen uͤben muͤßte, ſo
iſt ſie doch dem Schauſpieler geradezu unerlaͤßlich. Bekannt-
lich haben wir nicht wenige Trauer-Schau- und Luſtſpiele ſo
wie Opern, in denen gegeſſen wird. Obgleich nun zu wuͤnſchen
waͤre, Dichter und Schauſpieler moͤchten dem Zuſchauer etwas
zu ſchmecken geben, auch ohne Eßdarſtellungen, ſo hat nun ein-
mal dieſe wichtige Thaͤtigkeit auch auf den Welt bedeutenden
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/98>, abgerufen am 23.07.2024.
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