Stengelglas, den zierlichen Perlmuttergriff eines dabei liegen- den Messers, den schönen Uebergang der weißen feinen Haasen- haare am Bauch in die bräunlichen des Rückens, ein paar zartbe- fiederte Rebhühner daneben, kaum an. Ich will, fährt er fort, zwei hundert Maler im Nu zusammen haben, die Schlachtstücke malen, wozu Eduard Collow im vorjährigen Kunstblatt ein so ergötzliches Rezept mitgetheilt, daß die Leute Mäuler und Augen aufreißen; keine zwanzig aber, die ein Stillleben zu malen im Stande sind, welches das Anschauen verlohnte.
Eine verbreitete höhere Eßkunst müßte freilich auch die Kochkunst heben und bessern. Gescheidter wär's aber, die Ver- besserung der Eßkunst ginge von denen aus, die kochen.
Dieses Lob der zarten Stillleben hindert den Eßkünstler keineswegs, die in der ersten Vorlesung ausgesprochene Freß- tendenz der Natur als wirklich anzuerkennen. Denn, sagt er, in der Natur muß ich gelten lassen, was da ist und wie es da ist, und mag es so befremdend, schauerlich und ungeheuerlich sein als es will, -- wobei mir es immer noch freisteht, die appetitlichste Seite hervorzuheben -- in der Kunst will ich gar nichts Anderes, als vollkommenes, vollendetes, makelloses Sein, lediglich das Schöne und gar nichts An- deres, als allein das Schöne, und nur das Schöne. Aller- dings ist mir eine flüchtige Skizze lieber als ein noch so ausge- führtes gelecktes Gemälde, wenn jene geschmackvoll und gescheidt, und dieses es nicht ist. Es bedeutet aber Alles etwas und dem, der denkt, kann Alles Symbol sein; das blos Bedeutende jedoch, wenn es nicht schön ist, gehört wo anders hin, als in die Kunst. Dreiecke und Hieroglyphen sind keine Kunstwerke. Bornitur aber ist der Kunst und Natur zu enge. Ich habe, versichert er, nicht das Mindeste gegen christliche Kunst und bin ein Christ wie irgend ein anderer auch, -- aber wenn ich, wo ich auch hinschauen mag, oben und unten, links und rechts, hinten und vorn, in der Mitte und an allen Seiten nichts weiter,
Stengelglas, den zierlichen Perlmuttergriff eines dabei liegen- den Meſſers, den ſchoͤnen Uebergang der weißen feinen Haaſen- haare am Bauch in die braͤunlichen des Ruͤckens, ein paar zartbe- fiederte Rebhuͤhner daneben, kaum an. Ich will, faͤhrt er fort, zwei hundert Maler im Nu zuſammen haben, die Schlachtſtuͤcke malen, wozu Eduard Collow im vorjaͤhrigen Kunſtblatt ein ſo ergoͤtzliches Rezept mitgetheilt, daß die Leute Maͤuler und Augen aufreißen; keine zwanzig aber, die ein Stillleben zu malen im Stande ſind, welches das Anſchauen verlohnte.
Eine verbreitete hoͤhere Eßkunſt muͤßte freilich auch die Kochkunſt heben und beſſern. Geſcheidter waͤr’s aber, die Ver- beſſerung der Eßkunſt ginge von denen aus, die kochen.
Dieſes Lob der zarten Stillleben hindert den Eßkuͤnſtler keineswegs, die in der erſten Vorleſung ausgeſprochene Freß- tendenz der Natur als wirklich anzuerkennen. Denn, ſagt er, in der Natur muß ich gelten laſſen, was da iſt und wie es da iſt, und mag es ſo befremdend, ſchauerlich und ungeheuerlich ſein als es will, — wobei mir es immer noch freiſteht, die appetitlichſte Seite hervorzuheben — in der Kunſt will ich gar nichts Anderes, als vollkommenes, vollendetes, makelloſes Sein, lediglich das Schoͤne und gar nichts An- deres, als allein das Schoͤne, und nur das Schoͤne. Aller- dings iſt mir eine fluͤchtige Skizze lieber als ein noch ſo ausge- fuͤhrtes gelecktes Gemaͤlde, wenn jene geſchmackvoll und geſcheidt, und dieſes es nicht iſt. Es bedeutet aber Alles etwas und dem, der denkt, kann Alles Symbol ſein; das blos Bedeutende jedoch, wenn es nicht ſchoͤn iſt, gehoͤrt wo anders hin, als in die Kunſt. Dreiecke und Hieroglyphen ſind keine Kunſtwerke. Bornitur aber iſt der Kunſt und Natur zu enge. Ich habe, verſichert er, nicht das Mindeſte gegen chriſtliche Kunſt und bin ein Chriſt wie irgend ein anderer auch, — aber wenn ich, wo ich auch hinſchauen mag, oben und unten, links und rechts, hinten und vorn, in der Mitte und an allen Seiten nichts weiter,
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Stengelglas, den zierlichen Perlmuttergriff eines dabei liegen-
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haare am Bauch in die braͤunlichen des Ruͤckens, ein paar zartbe-
fiederte Rebhuͤhner daneben, kaum an. Ich will, faͤhrt er fort,
zwei hundert Maler im Nu zuſammen haben, die Schlachtſtuͤcke
malen, wozu Eduard Collow im vorjaͤhrigen Kunſtblatt ein
ſo ergoͤtzliches Rezept mitgetheilt, daß die Leute Maͤuler und
Augen aufreißen; keine zwanzig aber, die ein Stillleben zu malen
im Stande ſind, welches das Anſchauen verlohnte.
Eine verbreitete hoͤhere Eßkunſt muͤßte freilich auch die
Kochkunſt heben und beſſern. Geſcheidter waͤr’s aber, die Ver-
beſſerung der Eßkunſt ginge von denen aus, die kochen.
Dieſes Lob der zarten Stillleben hindert den Eßkuͤnſtler
keineswegs, die in der erſten Vorleſung ausgeſprochene Freß-
tendenz der Natur als wirklich anzuerkennen. Denn, ſagt
er, in der Natur muß ich gelten laſſen, was da iſt und
wie es da iſt, und mag es ſo befremdend, ſchauerlich und
ungeheuerlich ſein als es will, — wobei mir es immer noch
freiſteht, die appetitlichſte Seite hervorzuheben — in der Kunſt
will ich gar nichts Anderes, als vollkommenes, vollendetes,
makelloſes Sein, lediglich das Schoͤne und gar nichts An-
deres, als allein das Schoͤne, und nur das Schoͤne. Aller-
dings iſt mir eine fluͤchtige Skizze lieber als ein noch ſo ausge-
fuͤhrtes gelecktes Gemaͤlde, wenn jene geſchmackvoll und geſcheidt,
und dieſes es nicht iſt. Es bedeutet aber Alles etwas und
dem, der denkt, kann Alles Symbol ſein; das blos Bedeutende
jedoch, wenn es nicht ſchoͤn iſt, gehoͤrt wo anders hin, als in
die Kunſt. Dreiecke und Hieroglyphen ſind keine Kunſtwerke.
Bornitur aber iſt der Kunſt und Natur zu enge. Ich habe,
verſichert er, nicht das Mindeſte gegen chriſtliche Kunſt und bin
ein Chriſt wie irgend ein anderer auch, — aber wenn ich, wo
ich auch hinſchauen mag, oben und unten, links und rechts,
hinten und vorn, in der Mitte und an allen Seiten nichts weiter,
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/88>, abgerufen am 23.07.2024.
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