Deutschland aber quänkelt und klatscht über die Französi- sche Küche, während es gar keinen bestimmt ausgeprägten Styl, keine Nationalspeisen hat. Oder wollen wohl gar die Oester- reichischen Knödel und Strudel, die Baierischen Dampfnudeln und Bauchstecherl, die Würtemberger Spätzle und Knöpfle, die Sächsischen süßsauren Würste mit Mandeln und Rosinen, die Teltower Rüben oder die Pommerischen geräucherten Spick- gänse sich erkühnen, darauf Ansprüche geltend zu machen?
Man lese im "Geist der Kochkunst" was wir der Franzö- sischen Küche verdanken, und verstumme.
Es wäre thörigt, gegen das Nachahmen überhaupt zu ei- fern. Warum sollte man das als gut Erkannte sich nicht an- eignen? Aber man thue es mit Bewußtsein und Freiheit! Ist's ja doch gar zu kläglich, das Nachgeahmte für verwerflich zu erklären und doch es nachzuahmen.
Da ich selbst ein gewisses ergiebiges Quantum liebe, so bin ich um so weiter entfernt, der Deutschen und Englischen Nation einen Vorwurf deßhalb zu machen, daß sie über die Französische wegen deren Frugalität die Achseln zuckt. Aber das Französische Volk ist nun einmal mäßig im Essen und Trinken, und wer ist für Natureigenheiten verantwortlich? Und haben sich denn nicht auch in diesem Volke begabtere Naturen loszu- ringen gesucht von dieser Beschränktheit? Ist Frankreich nicht das Vaterland eines Alexander Balthasar Laurent Gri- mod de la Reyniere, des unsterblichen Verfassers des, dem großen Cambaceres gewidmeten, acht Bände starken Alma- nac des gourmands und des Manuel des Amphitryons? -- Werke, die in Deutschland so wenig bekannt scheinen, daß es mir, was ich bei diesen Vorlesungen schmerzlichst zu beklagen habe, trotz aller erdenklichen Anstrengungen, nicht gelang, sie aufzutreiben.
Tadelt aber der Engländer die Französische Mannigfaltig- keit und verfeinerte Vielfältigkeit der Objekte oder gemischten
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Deutſchland aber quaͤnkelt und klatſcht uͤber die Franzoͤſi- ſche Kuͤche, waͤhrend es gar keinen beſtimmt ausgepraͤgten Styl, keine Nationalſpeiſen hat. Oder wollen wohl gar die Oeſter- reichiſchen Knoͤdel und Strudel, die Baieriſchen Dampfnudeln und Bauchſtecherl, die Wuͤrtemberger Spaͤtzle und Knoͤpfle, die Saͤchſiſchen ſuͤßſauren Wuͤrſte mit Mandeln und Roſinen, die Teltower Ruͤben oder die Pommeriſchen geraͤucherten Spick- gaͤnſe ſich erkuͤhnen, darauf Anſpruͤche geltend zu machen?
Man leſe im „Geiſt der Kochkunſt“ was wir der Franzoͤ- ſiſchen Kuͤche verdanken, und verſtumme.
Es waͤre thoͤrigt, gegen das Nachahmen uͤberhaupt zu ei- fern. Warum ſollte man das als gut Erkannte ſich nicht an- eignen? Aber man thue es mit Bewußtſein und Freiheit! Iſt’s ja doch gar zu klaͤglich, das Nachgeahmte fuͤr verwerflich zu erklaͤren und doch es nachzuahmen.
Da ich ſelbſt ein gewiſſes ergiebiges Quantum liebe, ſo bin ich um ſo weiter entfernt, der Deutſchen und Engliſchen Nation einen Vorwurf deßhalb zu machen, daß ſie uͤber die Franzoͤſiſche wegen deren Frugalitaͤt die Achſeln zuckt. Aber das Franzoͤſiſche Volk iſt nun einmal maͤßig im Eſſen und Trinken, und wer iſt fuͤr Natureigenheiten verantwortlich? Und haben ſich denn nicht auch in dieſem Volke begabtere Naturen loszu- ringen geſucht von dieſer Beſchraͤnktheit? Iſt Frankreich nicht das Vaterland eines Alexander Balthaſar Laurent Gri- mod de la Reynière, des unſterblichen Verfaſſers des, dem großen Cambacérès gewidmeten, acht Baͤnde ſtarken Alma- nac des gourmands und des Manuel des Amphitryons? — Werke, die in Deutſchland ſo wenig bekannt ſcheinen, daß es mir, was ich bei dieſen Vorleſungen ſchmerzlichſt zu beklagen habe, trotz aller erdenklichen Anſtrengungen, nicht gelang, ſie aufzutreiben.
Tadelt aber der Englaͤnder die Franzoͤſiſche Mannigfaltig- keit und verfeinerte Vielfaͤltigkeit der Objekte oder gemiſchten
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Deutſchland aber quaͤnkelt und klatſcht uͤber die Franzoͤſi-
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keine Nationalſpeiſen hat. Oder wollen wohl gar die Oeſter-
reichiſchen Knoͤdel und Strudel, die Baieriſchen Dampfnudeln
und Bauchſtecherl, die Wuͤrtemberger Spaͤtzle und Knoͤpfle, die
Saͤchſiſchen ſuͤßſauren Wuͤrſte mit Mandeln und Roſinen, die
Teltower Ruͤben oder die Pommeriſchen geraͤucherten Spick-
gaͤnſe ſich erkuͤhnen, darauf Anſpruͤche geltend zu machen?
Man leſe im „Geiſt der Kochkunſt“ was wir der Franzoͤ-
ſiſchen Kuͤche verdanken, und verſtumme.
Es waͤre thoͤrigt, gegen das Nachahmen uͤberhaupt zu ei-
fern. Warum ſollte man das als gut Erkannte ſich nicht an-
eignen? Aber man thue es mit Bewußtſein und Freiheit!
Iſt’s ja doch gar zu klaͤglich, das Nachgeahmte fuͤr verwerflich
zu erklaͤren und doch es nachzuahmen.
Da ich ſelbſt ein gewiſſes ergiebiges Quantum liebe, ſo
bin ich um ſo weiter entfernt, der Deutſchen und Engliſchen
Nation einen Vorwurf deßhalb zu machen, daß ſie uͤber die
Franzoͤſiſche wegen deren Frugalitaͤt die Achſeln zuckt. Aber das
Franzoͤſiſche Volk iſt nun einmal maͤßig im Eſſen und Trinken,
und wer iſt fuͤr Natureigenheiten verantwortlich? Und haben
ſich denn nicht auch in dieſem Volke begabtere Naturen loszu-
ringen geſucht von dieſer Beſchraͤnktheit? Iſt Frankreich nicht
das Vaterland eines Alexander Balthaſar Laurent Gri-
mod de la Reynière, des unſterblichen Verfaſſers des, dem
großen Cambacérès gewidmeten, acht Baͤnde ſtarken Alma-
nac des gourmands und des Manuel des Amphitryons? —
Werke, die in Deutſchland ſo wenig bekannt ſcheinen, daß es
mir, was ich bei dieſen Vorleſungen ſchmerzlichſt zu beklagen
habe, trotz aller erdenklichen Anſtrengungen, nicht gelang, ſie
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Tadelt aber der Englaͤnder die Franzoͤſiſche Mannigfaltig-
keit und verfeinerte Vielfaͤltigkeit der Objekte oder gemiſchten
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/79>, abgerufen am 23.07.2024.
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