Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

zusammengerollt, aufbewahrt, und wenn man sie geben will,
in Reiswasser eingeweicht und mit einer Kraftbrühe von Zie-
genfleisch mit Gewürzen gekocht. -- Die Vogelnester aber fin-
det man auf der Küste von Tong King, von Java und Co-
chinchina in den Felsen. Sie scheinen Anfangs weiß; trocken
werden sie graulich, hart und durchsichtig. Sie sehen aus, wie
eine eingemachte Zitrone und geben den Speisen einen vor-
trefflichen Geschmack. -- Sie bestehen aus Seegewächsen, be-
sonders Tang-Arten, die sehr klebrig und gallertartig sind, ver-
mischt mit manchen Theilen von Seethieren und dem Schleim
des Drüsenmagens.

Bärenpfoten und Füße von verschiedenen anderen Thieren,
welche man gesalzen aus Siam, Camboja und der Tartarei
bringt, sind blos Leckerbissen für die Vornehmen. Dem Geflü-
gel, den Hasen, Kaninchen und anderm Wildpret, so wohlfeil
es auch in den größeren Städten zu haben ist, zieht doch der
Chinese Hund- und Pferdefleisch vor.

Das Unerträglichste aber der Chinesischen Gastmähler ist
die Chinesische Höflichkeit. Welche unausstehliche Complimen-
te und Ceremonien! Unsere deutschen großen und kleinen
Krähwinkel -- die Großen sind's oft mehr, als Kleine -- er-
scheinen fast ungenirt dagegen.

Man hat in China zwei Gattungen von Gastmählern:
ein gewöhnliches von zwölf bis funfzehn Schüsseln, und ein feierli-
ches, bei welchem achtzig Schüsseln auf jeder Tafel mit vielerlei
Gepränge aufgetragen werden.

Um das Ceremoniell gehörig zu beobachten, müssen die
Gäste durch drei Billets eingeladen werden. Das erste Mal ein
oder zwei Tage vorher; das zweite Mal am Morgen des Festes,
um die Gäste an ihr Engagement zu erinnern, mit der Bitte,
es nicht zu brechen; das dritte Mal, wenn Alles angeordnet ist.
Der Wirth will dadurch seine Ungeduld, die Eingeladenen bei
sich zu sehen, an den Tag legen.


zuſammengerollt, aufbewahrt, und wenn man ſie geben will,
in Reiswaſſer eingeweicht und mit einer Kraftbruͤhe von Zie-
genfleiſch mit Gewuͤrzen gekocht. — Die Vogelneſter aber fin-
det man auf der Kuͤſte von Tong King, von Java und Co-
chinchina in den Felſen. Sie ſcheinen Anfangs weiß; trocken
werden ſie graulich, hart und durchſichtig. Sie ſehen aus, wie
eine eingemachte Zitrone und geben den Speiſen einen vor-
trefflichen Geſchmack. — Sie beſtehen aus Seegewaͤchſen, be-
ſonders Tang-Arten, die ſehr klebrig und gallertartig ſind, ver-
miſcht mit manchen Theilen von Seethieren und dem Schleim
des Druͤſenmagens.

Baͤrenpfoten und Fuͤße von verſchiedenen anderen Thieren,
welche man geſalzen aus Siam, Camboja und der Tartarei
bringt, ſind blos Leckerbiſſen fuͤr die Vornehmen. Dem Gefluͤ-
gel, den Haſen, Kaninchen und anderm Wildpret, ſo wohlfeil
es auch in den groͤßeren Staͤdten zu haben iſt, zieht doch der
Chineſe Hund- und Pferdefleiſch vor.

Das Unertraͤglichſte aber der Chineſiſchen Gaſtmaͤhler iſt
die Chineſiſche Hoͤflichkeit. Welche unausſtehliche Complimen-
te und Ceremonien! Unſere deutſchen großen und kleinen
Kraͤhwinkel — die Großen ſind’s oft mehr, als Kleine — er-
ſcheinen faſt ungenirt dagegen.

Man hat in China zwei Gattungen von Gaſtmaͤhlern:
ein gewoͤhnliches von zwoͤlf bis funfzehn Schuͤſſeln, und ein feierli-
ches, bei welchem achtzig Schuͤſſeln auf jeder Tafel mit vielerlei
Gepraͤnge aufgetragen werden.

Um das Ceremoniell gehoͤrig zu beobachten, muͤſſen die
Gaͤſte durch drei Billets eingeladen werden. Das erſte Mal ein
oder zwei Tage vorher; das zweite Mal am Morgen des Feſtes,
um die Gaͤſte an ihr Engagement zu erinnern, mit der Bitte,
es nicht zu brechen; das dritte Mal, wenn Alles angeordnet iſt.
Der Wirth will dadurch ſeine Ungeduld, die Eingeladenen bei
ſich zu ſehen, an den Tag legen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0058" n="44"/>
zu&#x017F;ammengerollt, aufbewahrt, und wenn man &#x017F;ie geben will,<lb/>
in Reiswa&#x017F;&#x017F;er eingeweicht und mit einer Kraftbru&#x0364;he von Zie-<lb/>
genflei&#x017F;ch mit Gewu&#x0364;rzen gekocht. &#x2014; Die Vogelne&#x017F;ter aber fin-<lb/>
det man auf der Ku&#x0364;&#x017F;te von Tong King, von Java und Co-<lb/>
chinchina in den Fel&#x017F;en. Sie &#x017F;cheinen Anfangs weiß; trocken<lb/>
werden &#x017F;ie graulich, hart und durch&#x017F;ichtig. Sie &#x017F;ehen aus, wie<lb/>
eine eingemachte Zitrone und geben den Spei&#x017F;en einen vor-<lb/>
trefflichen Ge&#x017F;chmack. &#x2014; Sie be&#x017F;tehen aus Seegewa&#x0364;ch&#x017F;en, be-<lb/>
&#x017F;onders Tang-Arten, die &#x017F;ehr klebrig und gallertartig &#x017F;ind, ver-<lb/>
mi&#x017F;cht mit manchen Theilen von Seethieren und dem Schleim<lb/>
des Dru&#x0364;&#x017F;enmagens.</p><lb/>
        <p>Ba&#x0364;renpfoten und Fu&#x0364;ße von ver&#x017F;chiedenen anderen Thieren,<lb/>
welche man ge&#x017F;alzen aus Siam, Camboja und der Tartarei<lb/>
bringt, &#x017F;ind blos Leckerbi&#x017F;&#x017F;en fu&#x0364;r die Vornehmen. Dem Geflu&#x0364;-<lb/>
gel, den Ha&#x017F;en, Kaninchen und anderm Wildpret, &#x017F;o wohlfeil<lb/>
es auch in den gro&#x0364;ßeren Sta&#x0364;dten zu haben i&#x017F;t, zieht doch der<lb/>
Chine&#x017F;e Hund- und Pferdeflei&#x017F;ch vor.</p><lb/>
        <p>Das Unertra&#x0364;glich&#x017F;te aber der Chine&#x017F;i&#x017F;chen Ga&#x017F;tma&#x0364;hler i&#x017F;t<lb/>
die Chine&#x017F;i&#x017F;che Ho&#x0364;flichkeit. Welche unaus&#x017F;tehliche Complimen-<lb/>
te und Ceremonien! Un&#x017F;ere deut&#x017F;chen großen und kleinen<lb/>
Kra&#x0364;hwinkel &#x2014; die Großen &#x017F;ind&#x2019;s oft mehr, als Kleine &#x2014; er-<lb/>
&#x017F;cheinen fa&#x017F;t ungenirt dagegen.</p><lb/>
        <p>Man hat in China zwei Gattungen von Ga&#x017F;tma&#x0364;hlern:<lb/>
ein gewo&#x0364;hnliches von zwo&#x0364;lf bis funfzehn Schu&#x0364;&#x017F;&#x017F;eln, und ein feierli-<lb/>
ches, bei welchem achtzig Schu&#x0364;&#x017F;&#x017F;eln auf jeder Tafel mit vielerlei<lb/>
Gepra&#x0364;nge aufgetragen werden.</p><lb/>
        <p>Um das Ceremoniell geho&#x0364;rig zu beobachten, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die<lb/>
Ga&#x0364;&#x017F;te durch drei Billets eingeladen werden. Das er&#x017F;te Mal ein<lb/>
oder zwei Tage vorher; das zweite Mal am Morgen des Fe&#x017F;tes,<lb/>
um die Ga&#x0364;&#x017F;te an ihr Engagement zu erinnern, mit der Bitte,<lb/>
es nicht zu brechen; das dritte Mal, wenn Alles angeordnet i&#x017F;t.<lb/>
Der Wirth will dadurch &#x017F;eine Ungeduld, die Eingeladenen bei<lb/>
&#x017F;ich zu &#x017F;ehen, an den Tag legen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0058] zuſammengerollt, aufbewahrt, und wenn man ſie geben will, in Reiswaſſer eingeweicht und mit einer Kraftbruͤhe von Zie- genfleiſch mit Gewuͤrzen gekocht. — Die Vogelneſter aber fin- det man auf der Kuͤſte von Tong King, von Java und Co- chinchina in den Felſen. Sie ſcheinen Anfangs weiß; trocken werden ſie graulich, hart und durchſichtig. Sie ſehen aus, wie eine eingemachte Zitrone und geben den Speiſen einen vor- trefflichen Geſchmack. — Sie beſtehen aus Seegewaͤchſen, be- ſonders Tang-Arten, die ſehr klebrig und gallertartig ſind, ver- miſcht mit manchen Theilen von Seethieren und dem Schleim des Druͤſenmagens. Baͤrenpfoten und Fuͤße von verſchiedenen anderen Thieren, welche man geſalzen aus Siam, Camboja und der Tartarei bringt, ſind blos Leckerbiſſen fuͤr die Vornehmen. Dem Gefluͤ- gel, den Haſen, Kaninchen und anderm Wildpret, ſo wohlfeil es auch in den groͤßeren Staͤdten zu haben iſt, zieht doch der Chineſe Hund- und Pferdefleiſch vor. Das Unertraͤglichſte aber der Chineſiſchen Gaſtmaͤhler iſt die Chineſiſche Hoͤflichkeit. Welche unausſtehliche Complimen- te und Ceremonien! Unſere deutſchen großen und kleinen Kraͤhwinkel — die Großen ſind’s oft mehr, als Kleine — er- ſcheinen faſt ungenirt dagegen. Man hat in China zwei Gattungen von Gaſtmaͤhlern: ein gewoͤhnliches von zwoͤlf bis funfzehn Schuͤſſeln, und ein feierli- ches, bei welchem achtzig Schuͤſſeln auf jeder Tafel mit vielerlei Gepraͤnge aufgetragen werden. Um das Ceremoniell gehoͤrig zu beobachten, muͤſſen die Gaͤſte durch drei Billets eingeladen werden. Das erſte Mal ein oder zwei Tage vorher; das zweite Mal am Morgen des Feſtes, um die Gaͤſte an ihr Engagement zu erinnern, mit der Bitte, es nicht zu brechen; das dritte Mal, wenn Alles angeordnet iſt. Der Wirth will dadurch ſeine Ungeduld, die Eingeladenen bei ſich zu ſehen, an den Tag legen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/58
Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/58>, abgerufen am 24.11.2024.