erwies ihm deßhalb gleiche göttliche Ehre wie dem Bacchus, ja sie ertheilte ihm sogar den Zunamen Jupiter Aristäus. (Auch bei den Römern klingt noch dergleichen nach. Fulvius Herpinus wurde unter die Götter versetzt, weil er das Schne- ckenmästen erfand.)
Wenn aber die Götter recht hart strafen wollten, so ge- schah es immer in Beziehung auf's Essen, wie bei uns heutzu- tage auch noch durch die Schärfung: "bei Wasser und Brod" üblich ist. Dem Frevler Phineus schickten sie die unappetit- lichen Harpyen, die ihm alle Speisen, welche er genießen wollte, entrissen oder besudelten. Dem Tantalus ging's bekanntlich noch schlimmer. Denn während dem Phineus der Appetit verdorben wurde, was freilich immer hart genug ist, wurde Tantalus zu einem ewigen ungestillten Appetit verdammt, und diese Strafart wurde auch von denkenden Menschen aller Zeiten als die furchtbarste erkannt. Einige neuere Melancho- liker, die nicht zu essen verstanden, hielten sie gar für ein Sym- bol des Looses der Sterblichen überhaupt. Solche närrische Lebensansichten entspringen daraus, wenn Begriff, Werth und Bedeutung des Essens im Menschen nicht zum Durchbruch kommt. Die alten Menschen vor Alters waren gescheidter und lustiger, als jetzt die Jungen. Ohne zu lamentiren ließ man sich's damals schmecken. Gegenwärtig ist in der Welt ein Ge- zier und Gesperr, eine überschwengliche Hungerleiderei und Ernsthaftigkeit, bei deren Betrachtung man öfter einen solchen Appetit bekommt, daß man beinahe selber nichts essen mag. Es war doch wahrlich etwas, als die arme Niobe an einem Tag zwölf Kinder "Sechs der lieblichen Töchter, und sechs aufblühende Söhne" verlor.
"Dennoch dachte der Speise die Traurende, müde der Thränen."
erwies ihm deßhalb gleiche goͤttliche Ehre wie dem Bacchus, ja ſie ertheilte ihm ſogar den Zunamen Jupiter Ariſtaͤus. (Auch bei den Roͤmern klingt noch dergleichen nach. Fulvius Herpinus wurde unter die Goͤtter verſetzt, weil er das Schne- ckenmaͤſten erfand.)
Wenn aber die Goͤtter recht hart ſtrafen wollten, ſo ge- ſchah es immer in Beziehung auf’s Eſſen, wie bei uns heutzu- tage auch noch durch die Schaͤrfung: „bei Waſſer und Brod“ uͤblich iſt. Dem Frevler Phineus ſchickten ſie die unappetit- lichen Harpyen, die ihm alle Speiſen, welche er genießen wollte, entriſſen oder beſudelten. Dem Tantalus ging’s bekanntlich noch ſchlimmer. Denn waͤhrend dem Phineus der Appetit verdorben wurde, was freilich immer hart genug iſt, wurde Tantalus zu einem ewigen ungeſtillten Appetit verdammt, und dieſe Strafart wurde auch von denkenden Menſchen aller Zeiten als die furchtbarſte erkannt. Einige neuere Melancho- liker, die nicht zu eſſen verſtanden, hielten ſie gar fuͤr ein Sym- bol des Looſes der Sterblichen uͤberhaupt. Solche naͤrriſche Lebensanſichten entſpringen daraus, wenn Begriff, Werth und Bedeutung des Eſſens im Menſchen nicht zum Durchbruch kommt. Die alten Menſchen vor Alters waren geſcheidter und luſtiger, als jetzt die Jungen. Ohne zu lamentiren ließ man ſich’s damals ſchmecken. Gegenwaͤrtig iſt in der Welt ein Ge- zier und Geſperr, eine uͤberſchwengliche Hungerleiderei und Ernſthaftigkeit, bei deren Betrachtung man oͤfter einen ſolchen Appetit bekommt, daß man beinahe ſelber nichts eſſen mag. Es war doch wahrlich etwas, als die arme Niobe an einem Tag zwoͤlf Kinder „Sechs der lieblichen Toͤchter, und ſechs aufbluͤhende Soͤhne“ verlor.
„Dennoch dachte der Speiſe die Traurende, muͤde der Thraͤnen.“
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erwies ihm deßhalb gleiche goͤttliche Ehre wie dem Bacchus,
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(Auch bei den Roͤmern klingt noch dergleichen nach. Fulvius
Herpinus wurde unter die Goͤtter verſetzt, weil er das Schne-
ckenmaͤſten erfand.)
Wenn aber die Goͤtter recht hart ſtrafen wollten, ſo ge-
ſchah es immer in Beziehung auf’s Eſſen, wie bei uns heutzu-
tage auch noch durch die Schaͤrfung: „bei Waſſer und Brod“
uͤblich iſt. Dem Frevler Phineus ſchickten ſie die unappetit-
lichen Harpyen, die ihm alle Speiſen, welche er genießen wollte,
entriſſen oder beſudelten. Dem Tantalus ging’s bekanntlich
noch ſchlimmer. Denn waͤhrend dem Phineus der Appetit
verdorben wurde, was freilich immer hart genug iſt, wurde
Tantalus zu einem ewigen ungeſtillten Appetit verdammt,
und dieſe Strafart wurde auch von denkenden Menſchen aller
Zeiten als die furchtbarſte erkannt. Einige neuere Melancho-
liker, die nicht zu eſſen verſtanden, hielten ſie gar fuͤr ein Sym-
bol des Looſes der Sterblichen uͤberhaupt. Solche naͤrriſche
Lebensanſichten entſpringen daraus, wenn Begriff, Werth und
Bedeutung des Eſſens im Menſchen nicht zum Durchbruch
kommt. Die alten Menſchen vor Alters waren geſcheidter und
luſtiger, als jetzt die Jungen. Ohne zu lamentiren ließ man
ſich’s damals ſchmecken. Gegenwaͤrtig iſt in der Welt ein Ge-
zier und Geſperr, eine uͤberſchwengliche Hungerleiderei und
Ernſthaftigkeit, bei deren Betrachtung man oͤfter einen ſolchen
Appetit bekommt, daß man beinahe ſelber nichts eſſen mag.
Es war doch wahrlich etwas, als die arme Niobe an einem
Tag zwoͤlf Kinder
„Sechs der lieblichen Toͤchter, und ſechs aufbluͤhende Soͤhne“
verlor.
„Dennoch dachte der Speiſe die Traurende, muͤde der Thraͤnen.“
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/37>, abgerufen am 23.07.2024.
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