den Doctrinen um ihrer selbst willen mehr, sondern überall un- geduldiges Zappeln und Ueberpurzeln, überall ein unseliges un- ruhiges Rennen, Streben und Trachten, überall Unzufrieden- heit und Essenwollen statt friedlichen Essens selber!
Als ich examinirt wurde, standen weingefüllte blinkende Gläser, appetitlich aufgeschnittene Schinken, Zungen und Cer- velatwürste, Torten und Kuchen auf der ehrwürdigen Tafel. Es mahnte an die dem Cerberus dargebotenen Kuchen. Essende Examinatoren sind nicht halb so ernst und furchtbar. Wie freundlich war das Alles! Das encouragirte, das hob und ver- schönerte das ganze, sonst lästige, Geschäft, und man entwickelte die tiefsten und umfassendsten Kenntnisse auf die leichteste und anmuthigste Weise. Freilich bei den gegenwärtig üblichen Ge- sinnungs-Examinibus haben weder Examinatoren noch Exami- nanden mehr rechten Appetit.
Ob ich nun gleich solche traurige Rezidive im Culturgang des Menschengeschlechts nicht umhin kann zuzugestehen, sehe ich doch meine fröhliche Ueberzeugung von einem Fortschreiten im Allgemeinen und Ganzen auch bei Erwägung des Gegenstandes, über welchen ich hier vorzutragen die Ehre habe, auf das Glän- zendste bestätigt. Ist ja doch gegenwärtig irgend ein reisender Handlungsdiener besser bedient, als die Götter Griechenlands, die nicht einmal Gabeln und Servietten kannten.
Wie hoch aber die seligen Götter das Essen schätzten, lehrt ihr Verkehr mit dem Menschenvolk, mochte er sich nun liebend oder zürnend äußern. Welche Gnaden verdienten sich Philemon und Baucis von Zeus für einen Gansbraten, wie dankbar war Ceres gegen Celeus für ein Abendessen! Ei- nes der segensvollsten Geschenke, welche den Bewohnern von Delos für ihre Gastfreundschaft gegen Latona zu Theil wur- de, war die Entdeckung, Hühner zu mästen und fett zu machen. Aristäus, ein Sohn des Apollo und der Cyrene, war Er- finder des Käses. Die Menschheit wußte das zu würdigen und
den Doctrinen um ihrer ſelbſt willen mehr, ſondern uͤberall un- geduldiges Zappeln und Ueberpurzeln, uͤberall ein unſeliges un- ruhiges Rennen, Streben und Trachten, uͤberall Unzufrieden- heit und Eſſenwollen ſtatt friedlichen Eſſens ſelber!
Als ich examinirt wurde, ſtanden weingefuͤllte blinkende Glaͤſer, appetitlich aufgeſchnittene Schinken, Zungen und Cer- velatwuͤrſte, Torten und Kuchen auf der ehrwuͤrdigen Tafel. Es mahnte an die dem Cerberus dargebotenen Kuchen. Eſſende Examinatoren ſind nicht halb ſo ernſt und furchtbar. Wie freundlich war das Alles! Das encouragirte, das hob und ver- ſchoͤnerte das ganze, ſonſt laͤſtige, Geſchaͤft, und man entwickelte die tiefſten und umfaſſendſten Kenntniſſe auf die leichteſte und anmuthigſte Weiſe. Freilich bei den gegenwaͤrtig uͤblichen Ge- ſinnungs-Examinibus haben weder Examinatoren noch Exami- nanden mehr rechten Appetit.
Ob ich nun gleich ſolche traurige Rezidive im Culturgang des Menſchengeſchlechts nicht umhin kann zuzugeſtehen, ſehe ich doch meine froͤhliche Ueberzeugung von einem Fortſchreiten im Allgemeinen und Ganzen auch bei Erwaͤgung des Gegenſtandes, uͤber welchen ich hier vorzutragen die Ehre habe, auf das Glaͤn- zendſte beſtaͤtigt. Iſt ja doch gegenwaͤrtig irgend ein reiſender Handlungsdiener beſſer bedient, als die Goͤtter Griechenlands, die nicht einmal Gabeln und Servietten kannten.
Wie hoch aber die ſeligen Goͤtter das Eſſen ſchaͤtzten, lehrt ihr Verkehr mit dem Menſchenvolk, mochte er ſich nun liebend oder zuͤrnend aͤußern. Welche Gnaden verdienten ſich Philemon und Baucis von Zeus fuͤr einen Gansbraten, wie dankbar war Ceres gegen Celeus fuͤr ein Abendeſſen! Ei- nes der ſegensvollſten Geſchenke, welche den Bewohnern von Delos fuͤr ihre Gaſtfreundſchaft gegen Latona zu Theil wur- de, war die Entdeckung, Huͤhner zu maͤſten und fett zu machen. Ariſtaͤus, ein Sohn des Apollo und der Cyrene, war Er- finder des Kaͤſes. Die Menſchheit wußte das zu wuͤrdigen und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0036"n="22"/>
den Doctrinen um ihrer ſelbſt willen mehr, ſondern uͤberall un-<lb/>
geduldiges Zappeln und Ueberpurzeln, uͤberall ein unſeliges un-<lb/>
ruhiges Rennen, Streben und Trachten, uͤberall Unzufrieden-<lb/>
heit und Eſſenwollen ſtatt friedlichen Eſſens ſelber!</p><lb/><p>Als ich examinirt wurde, ſtanden weingefuͤllte blinkende<lb/>
Glaͤſer, appetitlich aufgeſchnittene Schinken, Zungen und Cer-<lb/>
velatwuͤrſte, Torten und Kuchen auf der ehrwuͤrdigen Tafel.<lb/>
Es mahnte an die dem Cerberus dargebotenen Kuchen. Eſſende<lb/>
Examinatoren ſind nicht halb ſo ernſt und furchtbar. Wie<lb/>
freundlich war das Alles! Das encouragirte, das hob und ver-<lb/>ſchoͤnerte das ganze, ſonſt laͤſtige, Geſchaͤft, und man entwickelte<lb/>
die tiefſten und umfaſſendſten Kenntniſſe auf die leichteſte und<lb/>
anmuthigſte Weiſe. Freilich bei den gegenwaͤrtig uͤblichen Ge-<lb/>ſinnungs-Examinibus haben weder Examinatoren noch Exami-<lb/>
nanden mehr rechten Appetit.</p><lb/><p>Ob ich nun gleich ſolche traurige Rezidive im Culturgang<lb/>
des Menſchengeſchlechts nicht umhin kann zuzugeſtehen, ſehe ich<lb/>
doch meine froͤhliche Ueberzeugung von einem Fortſchreiten im<lb/>
Allgemeinen und Ganzen auch bei Erwaͤgung des Gegenſtandes,<lb/>
uͤber welchen ich hier vorzutragen die Ehre habe, auf das Glaͤn-<lb/>
zendſte beſtaͤtigt. Iſt ja doch gegenwaͤrtig irgend ein reiſender<lb/>
Handlungsdiener beſſer bedient, als die Goͤtter Griechenlands,<lb/>
die nicht einmal Gabeln und Servietten kannten.</p><lb/><p>Wie hoch aber die ſeligen Goͤtter das Eſſen ſchaͤtzten,<lb/>
lehrt ihr Verkehr mit dem Menſchenvolk, mochte er ſich nun<lb/>
liebend oder zuͤrnend aͤußern. Welche Gnaden verdienten ſich<lb/><hirendition="#g">Philemon</hi> und <hirendition="#g">Baucis</hi> von <hirendition="#g">Zeus</hi> fuͤr einen Gansbraten,<lb/>
wie dankbar war <hirendition="#g">Ceres</hi> gegen <hirendition="#g">Celeus</hi> fuͤr ein Abendeſſen! Ei-<lb/>
nes der ſegensvollſten Geſchenke, welche den Bewohnern von<lb/>
Delos fuͤr ihre Gaſtfreundſchaft gegen <hirendition="#g">Latona</hi> zu Theil wur-<lb/>
de, war die Entdeckung, Huͤhner zu maͤſten und fett zu machen.<lb/><hirendition="#g">Ariſtaͤus</hi>, ein Sohn des <hirendition="#g">Apollo</hi> und der <hirendition="#g">Cyrene</hi>, war Er-<lb/>
finder des Kaͤſes. Die Menſchheit wußte das zu wuͤrdigen und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[22/0036]
den Doctrinen um ihrer ſelbſt willen mehr, ſondern uͤberall un-
geduldiges Zappeln und Ueberpurzeln, uͤberall ein unſeliges un-
ruhiges Rennen, Streben und Trachten, uͤberall Unzufrieden-
heit und Eſſenwollen ſtatt friedlichen Eſſens ſelber!
Als ich examinirt wurde, ſtanden weingefuͤllte blinkende
Glaͤſer, appetitlich aufgeſchnittene Schinken, Zungen und Cer-
velatwuͤrſte, Torten und Kuchen auf der ehrwuͤrdigen Tafel.
Es mahnte an die dem Cerberus dargebotenen Kuchen. Eſſende
Examinatoren ſind nicht halb ſo ernſt und furchtbar. Wie
freundlich war das Alles! Das encouragirte, das hob und ver-
ſchoͤnerte das ganze, ſonſt laͤſtige, Geſchaͤft, und man entwickelte
die tiefſten und umfaſſendſten Kenntniſſe auf die leichteſte und
anmuthigſte Weiſe. Freilich bei den gegenwaͤrtig uͤblichen Ge-
ſinnungs-Examinibus haben weder Examinatoren noch Exami-
nanden mehr rechten Appetit.
Ob ich nun gleich ſolche traurige Rezidive im Culturgang
des Menſchengeſchlechts nicht umhin kann zuzugeſtehen, ſehe ich
doch meine froͤhliche Ueberzeugung von einem Fortſchreiten im
Allgemeinen und Ganzen auch bei Erwaͤgung des Gegenſtandes,
uͤber welchen ich hier vorzutragen die Ehre habe, auf das Glaͤn-
zendſte beſtaͤtigt. Iſt ja doch gegenwaͤrtig irgend ein reiſender
Handlungsdiener beſſer bedient, als die Goͤtter Griechenlands,
die nicht einmal Gabeln und Servietten kannten.
Wie hoch aber die ſeligen Goͤtter das Eſſen ſchaͤtzten,
lehrt ihr Verkehr mit dem Menſchenvolk, mochte er ſich nun
liebend oder zuͤrnend aͤußern. Welche Gnaden verdienten ſich
Philemon und Baucis von Zeus fuͤr einen Gansbraten,
wie dankbar war Ceres gegen Celeus fuͤr ein Abendeſſen! Ei-
nes der ſegensvollſten Geſchenke, welche den Bewohnern von
Delos fuͤr ihre Gaſtfreundſchaft gegen Latona zu Theil wur-
de, war die Entdeckung, Huͤhner zu maͤſten und fett zu machen.
Ariſtaͤus, ein Sohn des Apollo und der Cyrene, war Er-
finder des Kaͤſes. Die Menſchheit wußte das zu wuͤrdigen und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/36>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.