Die mit Sinn und Urtheil die gigantischen Blätter der Weltgeschichte unseres kleinen Planeten überblickten, haben es längst erkannt und beklagt, wie oft mühsam errungen Civilisa- tion von ihrem strahlendsten Gipfel plötzlich wieder herabstürzt, und in der Nacht der Barbarei versinkt. Wem drängen sich nicht schaudrig wehmüthige Erinnerungen an die großen Na- men "Griechenland und Rom" hier auf? -- Im Vaterlande Aristipp's gehört gegenwärtig ein Stück Bockfleisch zu den Leckerbissen, und die gewaltige Roma, welche drei Apicier her- vorbrachte, lungert jetzt unter der neueren Institution der Fast- tage!
Während die Helden Homer's schon mit Sinn und Ge- schmack zu schmaußen wußten, ließen sich spätere Spartaner auf die Geschmacklosigkeit einer miserablen schwarzen Suppe redu- ziren, ja waren so roh, unwissend und ohne Sinn für den Eß- genius, daß sie den Nauklides des Landes verweisen wollten, weil der Treffliche in seinem wohlgemästeten Bäuchlein ein Do- kument ausgebildeteren Geschmacks nicht verhehlen konnte.
Der berühmte Römische Staatsmann, Jurist und Redner, der Consul Quintus Hortensius, verdiente sich den Dank seiner Zeitgenossen dadurch, daß er die erste Anleitung gab, Pfauen zuzurichten und zu essen. Marcus Aufidius Lurco erfand die Kunst, Pfauen zu mästen, wodurch er sich, beiläufig gesagt, in kurzer Zeit 60,000 Sesterzien verdiente. Auch von
Zweite Vorleſung. Geſchichtliches.
Die mit Sinn und Urtheil die gigantiſchen Blaͤtter der Weltgeſchichte unſeres kleinen Planeten uͤberblickten, haben es laͤngſt erkannt und beklagt, wie oft muͤhſam errungen Civiliſa- tion von ihrem ſtrahlendſten Gipfel ploͤtzlich wieder herabſtuͤrzt, und in der Nacht der Barbarei verſinkt. Wem draͤngen ſich nicht ſchaudrig wehmuͤthige Erinnerungen an die großen Na- men „Griechenland und Rom“ hier auf? — Im Vaterlande Ariſtipp’s gehoͤrt gegenwaͤrtig ein Stuͤck Bockfleiſch zu den Leckerbiſſen, und die gewaltige Roma, welche drei Apicier her- vorbrachte, lungert jetzt unter der neueren Inſtitution der Faſt- tage!
Waͤhrend die Helden Homer’s ſchon mit Sinn und Ge- ſchmack zu ſchmaußen wußten, ließen ſich ſpaͤtere Spartaner auf die Geſchmackloſigkeit einer miſerablen ſchwarzen Suppe redu- ziren, ja waren ſo roh, unwiſſend und ohne Sinn fuͤr den Eß- genius, daß ſie den Nauklides des Landes verweiſen wollten, weil der Treffliche in ſeinem wohlgemaͤſteten Baͤuchlein ein Do- kument ausgebildeteren Geſchmacks nicht verhehlen konnte.
Der beruͤhmte Roͤmiſche Staatsmann, Juriſt und Redner, der Conſul Quintus Hortenſius, verdiente ſich den Dank ſeiner Zeitgenoſſen dadurch, daß er die erſte Anleitung gab, Pfauen zuzurichten und zu eſſen. Marcus Aufidius Lurco erfand die Kunſt, Pfauen zu maͤſten, wodurch er ſich, beilaͤufig geſagt, in kurzer Zeit 60,000 Seſterzien verdiente. Auch von
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laͤngſt erkannt und beklagt, wie oft muͤhſam errungen Civiliſa-
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und in der Nacht der Barbarei verſinkt. Wem draͤngen ſich
nicht ſchaudrig wehmuͤthige Erinnerungen an die großen Na-
men „Griechenland und Rom“ hier auf? — Im Vaterlande
Ariſtipp’s gehoͤrt gegenwaͤrtig ein Stuͤck Bockfleiſch zu den
Leckerbiſſen, und die gewaltige Roma, welche drei Apicier her-
vorbrachte, lungert jetzt unter der neueren Inſtitution der Faſt-
tage!
Waͤhrend die Helden Homer’s ſchon mit Sinn und Ge-
ſchmack zu ſchmaußen wußten, ließen ſich ſpaͤtere Spartaner auf
die Geſchmackloſigkeit einer miſerablen ſchwarzen Suppe redu-
ziren, ja waren ſo roh, unwiſſend und ohne Sinn fuͤr den Eß-
genius, daß ſie den Nauklides des Landes verweiſen wollten,
weil der Treffliche in ſeinem wohlgemaͤſteten Baͤuchlein ein Do-
kument ausgebildeteren Geſchmacks nicht verhehlen konnte.
Der beruͤhmte Roͤmiſche Staatsmann, Juriſt und Redner,
der Conſul Quintus Hortenſius, verdiente ſich den Dank
ſeiner Zeitgenoſſen dadurch, daß er die erſte Anleitung gab,
Pfauen zuzurichten und zu eſſen. Marcus Aufidius Lurco
erfand die Kunſt, Pfauen zu maͤſten, wodurch er ſich, beilaͤufig
geſagt, in kurzer Zeit 60,000 Seſterzien verdiente. Auch von
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. [20]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/34>, abgerufen am 16.02.2025.
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