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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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von sich reden dürfen? Und hab' ich denn ein einziges Mal
gesagt, daß ich krank und unglücklich bin? --

Kant in seiner Abhandlung von der Macht des Gemüthes
durch den bloßen Vorsatz, seiner krankhaften Gefühle Meister zu
sein, in welcher er auch Selbstbeobachtungen erzählt, entschuldigt
sich, daß er "ich" und nicht "wir" sagt.

Wenn ich nun aber auch nach Autorenweise gesagt hätte
z. B.: wir haben eine Bratwurst gegessen, so könnte man ja
doch nicht wohl wissen, ob nicht noch jemand dabei war. In
diesem Fall wäre offenbar die Bratwurst zu wenig. Will ich
aber damit sagen: ich hätte die Bratwurst gegessen, so scheint
mir das Wir zu viel. Doch läßt sich mit dem Wir allerlei
maskiren, z. B. "Wir haben ein Spanferkel gegessen." Es weiß
niemand recht, wie er daran ist, ob Einer allein es war, oder
nicht ein Anderer dabei war und das Beste dazu, oder viel-
mehr davon, gethan hat.

Da ich gerade vom Reden spreche, so wäre hier die schönste
Gelegenheit, noch Mehreres vom Sprechen zu reden, wenn was
dabei herauskäme.

Wenn ich nun aber vorhin die edle Einfachheit und andere
Vorzüge des häußlichen Essens rühmend anzuerkennen hatte,
so darf ich doch nicht unterlassen, eben so eifrig darauf zu
dringen, daß der Eßkünstler nicht ohne Weiterstreben auf der
genüglichen Bärenhaut rasten soll. "Es ist nichts so gut, daß
es nicht noch Besseres gäbe." Dieß bedenke der Eßkünstler
wohl, und höre nie auf, nach Erreichung eines höheren Stand-
punktes zu trachten, wodurch der Horizont zu erweitern, die
Objekte zu vervielfältigen, neue Verbindungen und Eßbarkeiten
zu entdecken, und dieselben zu prüfen, zu bewähren und mitzu-
theilen wären. Ich darf es nicht verhehlen, daß gerade Viele
aus der Klasse der Eßkünstler nur zu bald auf ihren Lorbeeren
einschlafen und zur Bärenhaut inkliniren.


von ſich reden duͤrfen? Und hab’ ich denn ein einziges Mal
geſagt, daß ich krank und ungluͤcklich bin? —

Kant in ſeiner Abhandlung von der Macht des Gemuͤthes
durch den bloßen Vorſatz, ſeiner krankhaften Gefuͤhle Meiſter zu
ſein, in welcher er auch Selbſtbeobachtungen erzaͤhlt, entſchuldigt
ſich, daß er „ich“ und nicht „wir“ ſagt.

Wenn ich nun aber auch nach Autorenweiſe geſagt haͤtte
z. B.: wir haben eine Bratwurſt gegeſſen, ſo koͤnnte man ja
doch nicht wohl wiſſen, ob nicht noch jemand dabei war. In
dieſem Fall waͤre offenbar die Bratwurſt zu wenig. Will ich
aber damit ſagen: ich haͤtte die Bratwurſt gegeſſen, ſo ſcheint
mir das Wir zu viel. Doch laͤßt ſich mit dem Wir allerlei
maskiren, z. B. „Wir haben ein Spanferkel gegeſſen.“ Es weiß
niemand recht, wie er daran iſt, ob Einer allein es war, oder
nicht ein Anderer dabei war und das Beſte dazu, oder viel-
mehr davon, gethan hat.

Da ich gerade vom Reden ſpreche, ſo waͤre hier die ſchoͤnſte
Gelegenheit, noch Mehreres vom Sprechen zu reden, wenn was
dabei herauskaͤme.

Wenn ich nun aber vorhin die edle Einfachheit und andere
Vorzuͤge des haͤußlichen Eſſens ruͤhmend anzuerkennen hatte,
ſo darf ich doch nicht unterlaſſen, eben ſo eifrig darauf zu
dringen, daß der Eßkuͤnſtler nicht ohne Weiterſtreben auf der
genuͤglichen Baͤrenhaut raſten ſoll. „Es iſt nichts ſo gut, daß
es nicht noch Beſſeres gaͤbe.“ Dieß bedenke der Eßkuͤnſtler
wohl, und hoͤre nie auf, nach Erreichung eines hoͤheren Stand-
punktes zu trachten, wodurch der Horizont zu erweitern, die
Objekte zu vervielfaͤltigen, neue Verbindungen und Eßbarkeiten
zu entdecken, und dieſelben zu pruͤfen, zu bewaͤhren und mitzu-
theilen waͤren. Ich darf es nicht verhehlen, daß gerade Viele
aus der Klaſſe der Eßkuͤnſtler nur zu bald auf ihren Lorbeeren
einſchlafen und zur Baͤrenhaut inkliniren.


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[271/0285] von ſich reden duͤrfen? Und hab’ ich denn ein einziges Mal geſagt, daß ich krank und ungluͤcklich bin? — Kant in ſeiner Abhandlung von der Macht des Gemuͤthes durch den bloßen Vorſatz, ſeiner krankhaften Gefuͤhle Meiſter zu ſein, in welcher er auch Selbſtbeobachtungen erzaͤhlt, entſchuldigt ſich, daß er „ich“ und nicht „wir“ ſagt. Wenn ich nun aber auch nach Autorenweiſe geſagt haͤtte z. B.: wir haben eine Bratwurſt gegeſſen, ſo koͤnnte man ja doch nicht wohl wiſſen, ob nicht noch jemand dabei war. In dieſem Fall waͤre offenbar die Bratwurſt zu wenig. Will ich aber damit ſagen: ich haͤtte die Bratwurſt gegeſſen, ſo ſcheint mir das Wir zu viel. Doch laͤßt ſich mit dem Wir allerlei maskiren, z. B. „Wir haben ein Spanferkel gegeſſen.“ Es weiß niemand recht, wie er daran iſt, ob Einer allein es war, oder nicht ein Anderer dabei war und das Beſte dazu, oder viel- mehr davon, gethan hat. Da ich gerade vom Reden ſpreche, ſo waͤre hier die ſchoͤnſte Gelegenheit, noch Mehreres vom Sprechen zu reden, wenn was dabei herauskaͤme. Wenn ich nun aber vorhin die edle Einfachheit und andere Vorzuͤge des haͤußlichen Eſſens ruͤhmend anzuerkennen hatte, ſo darf ich doch nicht unterlaſſen, eben ſo eifrig darauf zu dringen, daß der Eßkuͤnſtler nicht ohne Weiterſtreben auf der genuͤglichen Baͤrenhaut raſten ſoll. „Es iſt nichts ſo gut, daß es nicht noch Beſſeres gaͤbe.“ Dieß bedenke der Eßkuͤnſtler wohl, und hoͤre nie auf, nach Erreichung eines hoͤheren Stand- punktes zu trachten, wodurch der Horizont zu erweitern, die Objekte zu vervielfaͤltigen, neue Verbindungen und Eßbarkeiten zu entdecken, und dieſelben zu pruͤfen, zu bewaͤhren und mitzu- theilen waͤren. Ich darf es nicht verhehlen, daß gerade Viele aus der Klaſſe der Eßkuͤnſtler nur zu bald auf ihren Lorbeeren einſchlafen und zur Baͤrenhaut inkliniren.

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/285>, abgerufen am 24.11.2024.