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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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rochen, als sie singen zu müssen glauben, und nicht rasten
können, bis sie einen Rundgesang zu Stande gebracht haben.
Diese notenlosen Gesänge haben die gemeinschaftliche Eigen-
thümlichkeit, daß sie, gewöhnlich von den fürchterlichsten Stim-
men, mehr gebrüllt, als gesungen zu werden pflegen, und daß
solche leidige Sänger brüderlich, wie es eben trifft, in die Ober-
stimme, und tiefer Organisirte in deren Oktave sich theilen.
Höchstens hört man noch von dem und jenem, der etwa einmal
ein Flötenduett geblasen, zu dieser edel einfältigen Octavhar-
monie, welche die Allegri's und Palaestrina's zu überbie-
ten strebt, eine Seconde einschwärzen und ad libitum dazu
wimmern. Dieses heißt man in Deutscher Landessprache einen
Rundgesang. Das süßeste Dessert wird dabei in dem Magen
dessen, der Ohren hat, in Gift und Galle verwandelt. Um die
Qual zu vollenden, ist der Inhalt dieser Trinklieder und Rund-
gesänge in der Regel so beschaffen, daß man zu dem despera-
testen Durst gerührt wird, und in dieser Pein leicht in Gefahr
kommt, das Uebel ärger zu machen. Das Dümmste ist, wenn solche
Lieder gescheidt sein wollen. So kommen in der Ode unseres
größten Barden an den Rheinwein Impertinenzen von Weis-
heit, Kummer, Sterben und dergleichen vor; umgekehrt ist
dessen berühmtes: "Wein und Wasser" so spaßhaft, daß man's
nicht ohne Thränen in den Augen und Rührung im Magen
hören kann.

In neuerer Zeit hat man sich mehr auf's Gemüthliche ge-
worfen; ein gar liebes Genre. -- Ein solches Liederbuch hat
das Motto auf dem Titel:

"Wo man singt, da laßt Euch fröhlich nieder,
Böse Menschen singen keine Lieder."

Dieses Buch erschien zu einer Zeit, in welcher die Maaß-
regeln der hochnothpeinlichen Polizei in vielen Deutschen Ge-
müthern eine complete Armensünderangst hervorriefen. Kamen

rochen, als ſie ſingen zu muͤſſen glauben, und nicht raſten
koͤnnen, bis ſie einen Rundgeſang zu Stande gebracht haben.
Dieſe notenloſen Geſaͤnge haben die gemeinſchaftliche Eigen-
thuͤmlichkeit, daß ſie, gewoͤhnlich von den fuͤrchterlichſten Stim-
men, mehr gebruͤllt, als geſungen zu werden pflegen, und daß
ſolche leidige Saͤnger bruͤderlich, wie es eben trifft, in die Ober-
ſtimme, und tiefer Organiſirte in deren Oktave ſich theilen.
Hoͤchſtens hoͤrt man noch von dem und jenem, der etwa einmal
ein Floͤtenduett geblaſen, zu dieſer edel einfaͤltigen Octavhar-
monie, welche die Allegri’s und Palaeſtrina’s zu uͤberbie-
ten ſtrebt, eine Seconde einſchwaͤrzen und ad libitum dazu
wimmern. Dieſes heißt man in Deutſcher Landesſprache einen
Rundgeſang. Das ſuͤßeſte Deſſert wird dabei in dem Magen
deſſen, der Ohren hat, in Gift und Galle verwandelt. Um die
Qual zu vollenden, iſt der Inhalt dieſer Trinklieder und Rund-
geſaͤnge in der Regel ſo beſchaffen, daß man zu dem deſpera-
teſten Durſt geruͤhrt wird, und in dieſer Pein leicht in Gefahr
kommt, das Uebel aͤrger zu machen. Das Duͤmmſte iſt, wenn ſolche
Lieder geſcheidt ſein wollen. So kommen in der Ode unſeres
groͤßten Barden an den Rheinwein Impertinenzen von Weis-
heit, Kummer, Sterben und dergleichen vor; umgekehrt iſt
deſſen beruͤhmtes: „Wein und Waſſer“ ſo ſpaßhaft, daß man’s
nicht ohne Thraͤnen in den Augen und Ruͤhrung im Magen
hoͤren kann.

In neuerer Zeit hat man ſich mehr auf’s Gemuͤthliche ge-
worfen; ein gar liebes Genre. — Ein ſolches Liederbuch hat
das Motto auf dem Titel:

„Wo man ſingt, da laßt Euch froͤhlich nieder,
Boͤſe Menſchen ſingen keine Lieder.“

Dieſes Buch erſchien zu einer Zeit, in welcher die Maaß-
regeln der hochnothpeinlichen Polizei in vielen Deutſchen Ge-
muͤthern eine complete Armenſuͤnderangſt hervorriefen. Kamen

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[261/0275] rochen, als ſie ſingen zu muͤſſen glauben, und nicht raſten koͤnnen, bis ſie einen Rundgeſang zu Stande gebracht haben. Dieſe notenloſen Geſaͤnge haben die gemeinſchaftliche Eigen- thuͤmlichkeit, daß ſie, gewoͤhnlich von den fuͤrchterlichſten Stim- men, mehr gebruͤllt, als geſungen zu werden pflegen, und daß ſolche leidige Saͤnger bruͤderlich, wie es eben trifft, in die Ober- ſtimme, und tiefer Organiſirte in deren Oktave ſich theilen. Hoͤchſtens hoͤrt man noch von dem und jenem, der etwa einmal ein Floͤtenduett geblaſen, zu dieſer edel einfaͤltigen Octavhar- monie, welche die Allegri’s und Palaeſtrina’s zu uͤberbie- ten ſtrebt, eine Seconde einſchwaͤrzen und ad libitum dazu wimmern. Dieſes heißt man in Deutſcher Landesſprache einen Rundgeſang. Das ſuͤßeſte Deſſert wird dabei in dem Magen deſſen, der Ohren hat, in Gift und Galle verwandelt. Um die Qual zu vollenden, iſt der Inhalt dieſer Trinklieder und Rund- geſaͤnge in der Regel ſo beſchaffen, daß man zu dem deſpera- teſten Durſt geruͤhrt wird, und in dieſer Pein leicht in Gefahr kommt, das Uebel aͤrger zu machen. Das Duͤmmſte iſt, wenn ſolche Lieder geſcheidt ſein wollen. So kommen in der Ode unſeres groͤßten Barden an den Rheinwein Impertinenzen von Weis- heit, Kummer, Sterben und dergleichen vor; umgekehrt iſt deſſen beruͤhmtes: „Wein und Waſſer“ ſo ſpaßhaft, daß man’s nicht ohne Thraͤnen in den Augen und Ruͤhrung im Magen hoͤren kann. In neuerer Zeit hat man ſich mehr auf’s Gemuͤthliche ge- worfen; ein gar liebes Genre. — Ein ſolches Liederbuch hat das Motto auf dem Titel: „Wo man ſingt, da laßt Euch froͤhlich nieder, Boͤſe Menſchen ſingen keine Lieder.“ Dieſes Buch erſchien zu einer Zeit, in welcher die Maaß- regeln der hochnothpeinlichen Polizei in vielen Deutſchen Ge- muͤthern eine complete Armenſuͤnderangſt hervorriefen. Kamen

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/275>, abgerufen am 22.11.2024.