darzuthun, wie klug und lohnend es vielmehr sich im Leben erweise. Da funktionirt z. B. so ein Salernitaner als Leibarzt eines Fürsten, der, wie ein Mensch, gern und lustig über Tisch trinkt. Der Salernitaner sagt: inter prandendum sit saepe bibendum; das "parum" verschluckt er. Dem Fürsten thut's aber nicht mehr gut, es ändern sich die Zeiten, Witterungs- verhältnisse, Ansichten und der Magen. Der Salernitaner sagt, er hab' es längst gesagt, und sage es auf's Neue, es tauge, un- maßgeblich, nichts. Wie sicher, verdienstvoll und edel steht der Salernitaner da! er kann alle Tage einen Orden bekommen, und warum denn nicht?
Ohne nun zu solcher edlen Wahrheit in der Mitte zu ge- hören, bin ich gleichwohl weder auf der Seite derer, welche absolut und starr wollen, man solle gar nicht trinken, noch auf Seiten derjenigen, die gar behaupten, man solle saufen. Muß man denn gerade rechts oder links oder in der Mitte stehen, kann man nicht auch vernünftig sein?
Wenn nun also das Trinken über Tisch im Allgemeinen nicht nur als zulässig, sondern auch als relativ empfehlungs- werth erachtet werden soll, so ist damit noch nicht darüber entschieden, was soll man über Tisch trinken?
Krüger in seinen Träumen, die wohl noch jetzt gelesen zu werden verdienten, erzählt von einem hypochondrischen Um- standskrämer: "Das Sonderbarste an ihm war, daß er niemals trinken wollte, ob er gleich dürstete. Denn, sagte er, der Wein ist ungesund, die Milch ist zu nahrhaft und macht Säure, das Bier hat unzählige Fehler und wird vom Wasser gemacht, welches zu trinken ich großes Bedenken trage. Denn das Regenwasser nimmt aus der Luft so viele Insekten und Unrei- nigkeiten mit, daß es nothwendig höchst schädlich sein muß. Das Quellwasser ist nichts, als anderes Regenwasser, das sich in die Erde gezogen, und dadurch noch mehr verunreinigt wor- den. Das Flußwasser ist noch unreiner, und man möchte sich
darzuthun, wie klug und lohnend es vielmehr ſich im Leben erweiſe. Da funktionirt z. B. ſo ein Salernitaner als Leibarzt eines Fuͤrſten, der, wie ein Menſch, gern und luſtig uͤber Tiſch trinkt. Der Salernitaner ſagt: inter prandendum sit saepe bibendum; das „parum“ verſchluckt er. Dem Fuͤrſten thut’s aber nicht mehr gut, es aͤndern ſich die Zeiten, Witterungs- verhaͤltniſſe, Anſichten und der Magen. Der Salernitaner ſagt, er hab’ es laͤngſt geſagt, und ſage es auf’s Neue, es tauge, un- maßgeblich, nichts. Wie ſicher, verdienſtvoll und edel ſteht der Salernitaner da! er kann alle Tage einen Orden bekommen, und warum denn nicht?
Ohne nun zu ſolcher edlen Wahrheit in der Mitte zu ge- hoͤren, bin ich gleichwohl weder auf der Seite derer, welche abſolut und ſtarr wollen, man ſolle gar nicht trinken, noch auf Seiten derjenigen, die gar behaupten, man ſolle ſaufen. Muß man denn gerade rechts oder links oder in der Mitte ſtehen, kann man nicht auch vernuͤnftig ſein?
Wenn nun alſo das Trinken uͤber Tiſch im Allgemeinen nicht nur als zulaͤſſig, ſondern auch als relativ empfehlungs- werth erachtet werden ſoll, ſo iſt damit noch nicht daruͤber entſchieden, was ſoll man uͤber Tiſch trinken?
Kruͤger in ſeinen Traͤumen, die wohl noch jetzt geleſen zu werden verdienten, erzaͤhlt von einem hypochondriſchen Um- ſtandskraͤmer: „Das Sonderbarſte an ihm war, daß er niemals trinken wollte, ob er gleich duͤrſtete. Denn, ſagte er, der Wein iſt ungeſund, die Milch iſt zu nahrhaft und macht Saͤure, das Bier hat unzaͤhlige Fehler und wird vom Waſſer gemacht, welches zu trinken ich großes Bedenken trage. Denn das Regenwaſſer nimmt aus der Luft ſo viele Inſekten und Unrei- nigkeiten mit, daß es nothwendig hoͤchſt ſchaͤdlich ſein muß. Das Quellwaſſer iſt nichts, als anderes Regenwaſſer, das ſich in die Erde gezogen, und dadurch noch mehr verunreinigt wor- den. Das Flußwaſſer iſt noch unreiner, und man moͤchte ſich
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darzuthun, wie klug und lohnend es vielmehr ſich im Leben
erweiſe. Da funktionirt z. B. ſo ein Salernitaner als Leibarzt
eines Fuͤrſten, der, wie ein Menſch, gern und luſtig uͤber Tiſch
trinkt. Der Salernitaner ſagt: inter prandendum sit saepe
bibendum; das „parum“ verſchluckt er. Dem Fuͤrſten thut’s
aber nicht mehr gut, es aͤndern ſich die Zeiten, Witterungs-
verhaͤltniſſe, Anſichten und der Magen. Der Salernitaner ſagt,
er hab’ es laͤngſt geſagt, und ſage es auf’s Neue, es tauge, un-
maßgeblich, nichts. Wie ſicher, verdienſtvoll und edel ſteht
der Salernitaner da! er kann alle Tage einen Orden bekommen,
und warum denn nicht?
Ohne nun zu ſolcher edlen Wahrheit in der Mitte zu ge-
hoͤren, bin ich gleichwohl weder auf der Seite derer, welche
abſolut und ſtarr wollen, man ſolle gar nicht trinken, noch auf
Seiten derjenigen, die gar behaupten, man ſolle ſaufen. Muß
man denn gerade rechts oder links oder in der Mitte ſtehen,
kann man nicht auch vernuͤnftig ſein?
Wenn nun alſo das Trinken uͤber Tiſch im Allgemeinen
nicht nur als zulaͤſſig, ſondern auch als relativ empfehlungs-
werth erachtet werden ſoll, ſo iſt damit noch nicht daruͤber
entſchieden, was ſoll man uͤber Tiſch trinken?
Kruͤger in ſeinen Traͤumen, die wohl noch jetzt geleſen
zu werden verdienten, erzaͤhlt von einem hypochondriſchen Um-
ſtandskraͤmer: „Das Sonderbarſte an ihm war, daß er niemals
trinken wollte, ob er gleich duͤrſtete. Denn, ſagte er, der Wein
iſt ungeſund, die Milch iſt zu nahrhaft und macht Saͤure, das
Bier hat unzaͤhlige Fehler und wird vom Waſſer gemacht,
welches zu trinken ich großes Bedenken trage. Denn das
Regenwaſſer nimmt aus der Luft ſo viele Inſekten und Unrei-
nigkeiten mit, daß es nothwendig hoͤchſt ſchaͤdlich ſein muß.
Das Quellwaſſer iſt nichts, als anderes Regenwaſſer, das ſich
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/260>, abgerufen am 16.02.2025.
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