gesunden Sinn wird es überhaupt schon zum und nach dem Essen nicht zusagen, auch wenn er das Undiätetische davon nicht erkennt, oder was er auch sonst von den gefrornen Ten- denzen unserer Zeit halten mag.
Noch wäre Manches zu sagen; aber nicht nur die sich endende Stunde, sondern auch die Unaussprechlichkeit mancher Objekte läßt es nicht zu. Sehr wahr sagt Hippokrates: Waizen und Waizen, und Wein und Wein, und Alles, was wir genießen, ist gar sehr von einander verschieden, und macht, daß man nicht so genau davon handeln kann."
Gewährt der Gesammteindruck schöner Gegenstände unge- theilten Vollgenuß, so wird der Kenner doch Lust und Beleh- rung auch an Prüfung und Würdigung schöner Einzelheiten finden, welche anzuregen keiner der geringsten Zwecke dieser Vorlesung war, wobei denn freilich, wie -- sans comparaison -- in der Iliade, auch Thersites nicht fehlen durfte. "Der Bauch, lehrt aber Sirach, nimmt allerlei Speise zu sich, doch ist eine Speise besser denn die andre." -- Daraus folgt nicht, daß man blos nach Einem trachten, Eines lieben müsse, sondern vielmehr alles Liebenswürdige; -- immer mit gebührender Be- achtung und Achtung des Spezifischen. Nur keine Gleich- giltigkeit! -- Shakespeare's holde Porzia sagt: Die Krähe singt so lieblich, wie die Lerche, wenn man auf keine lauschet. --
geſunden Sinn wird es uͤberhaupt ſchon zum und nach dem Eſſen nicht zuſagen, auch wenn er das Undiaͤtetiſche davon nicht erkennt, oder was er auch ſonſt von den gefrornen Ten- denzen unſerer Zeit halten mag.
Noch waͤre Manches zu ſagen; aber nicht nur die ſich endende Stunde, ſondern auch die Unausſprechlichkeit mancher Objekte laͤßt es nicht zu. Sehr wahr ſagt Hippokrates: Waizen und Waizen, und Wein und Wein, und Alles, was wir genießen, iſt gar ſehr von einander verſchieden, und macht, daß man nicht ſo genau davon handeln kann.“
Gewaͤhrt der Geſammteindruck ſchoͤner Gegenſtaͤnde unge- theilten Vollgenuß, ſo wird der Kenner doch Luſt und Beleh- rung auch an Pruͤfung und Wuͤrdigung ſchoͤner Einzelheiten finden, welche anzuregen keiner der geringſten Zwecke dieſer Vorleſung war, wobei denn freilich, wie — sans comparaison — in der Iliade, auch Therſites nicht fehlen durfte. „Der Bauch, lehrt aber Sirach, nimmt allerlei Speiſe zu ſich, doch iſt eine Speiſe beſſer denn die andre.“ — Daraus folgt nicht, daß man blos nach Einem trachten, Eines lieben muͤſſe, ſondern vielmehr alles Liebenswuͤrdige; — immer mit gebuͤhrender Be- achtung und Achtung des Spezifiſchen. Nur keine Gleich- giltigkeit! — Shakeſpeare’s holde Porzia ſagt: Die Kraͤhe ſingt ſo lieblich, wie die Lerche, wenn man auf keine lauſchet. —
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0256"n="242"/>
geſunden Sinn wird es uͤberhaupt ſchon zum und nach dem<lb/>
Eſſen nicht zuſagen, auch wenn er das Undiaͤtetiſche davon<lb/>
nicht erkennt, oder was er auch ſonſt von den gefrornen Ten-<lb/>
denzen unſerer Zeit halten mag.</p><lb/><p>Noch waͤre Manches zu ſagen; aber nicht nur die ſich<lb/>
endende Stunde, ſondern auch die Unausſprechlichkeit mancher<lb/>
Objekte laͤßt es nicht zu. Sehr wahr ſagt <hirendition="#g">Hippokrates</hi>:<lb/>
Waizen und Waizen, und Wein und Wein, und Alles, was<lb/>
wir genießen, iſt gar ſehr von einander verſchieden, und macht,<lb/>
daß man nicht ſo genau davon handeln kann.“</p><lb/><p>Gewaͤhrt der Geſammteindruck ſchoͤner Gegenſtaͤnde unge-<lb/>
theilten Vollgenuß, ſo wird der Kenner doch Luſt und Beleh-<lb/>
rung auch an Pruͤfung und Wuͤrdigung ſchoͤner Einzelheiten<lb/>
finden, welche anzuregen keiner der geringſten Zwecke dieſer<lb/>
Vorleſung war, wobei denn freilich, wie —<hirendition="#aq">sans comparaison</hi><lb/>— in der Iliade, auch <hirendition="#g">Therſites</hi> nicht fehlen durfte. „Der<lb/>
Bauch, lehrt aber <hirendition="#g">Sirach</hi>, nimmt allerlei Speiſe zu ſich, doch<lb/>
iſt eine Speiſe beſſer denn die andre.“— Daraus folgt nicht,<lb/>
daß man blos nach Einem trachten, Eines lieben muͤſſe, ſondern<lb/>
vielmehr alles Liebenswuͤrdige; — immer mit gebuͤhrender Be-<lb/>
achtung und Achtung des Spezifiſchen. Nur keine Gleich-<lb/>
giltigkeit! —<hirendition="#g">Shakeſpeare’s</hi> holde <hirendition="#g">Porzia</hi>ſagt: Die Kraͤhe<lb/>ſingt ſo lieblich, wie die Lerche, wenn man auf keine lauſchet. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></body></text></TEI>
[242/0256]
geſunden Sinn wird es uͤberhaupt ſchon zum und nach dem
Eſſen nicht zuſagen, auch wenn er das Undiaͤtetiſche davon
nicht erkennt, oder was er auch ſonſt von den gefrornen Ten-
denzen unſerer Zeit halten mag.
Noch waͤre Manches zu ſagen; aber nicht nur die ſich
endende Stunde, ſondern auch die Unausſprechlichkeit mancher
Objekte laͤßt es nicht zu. Sehr wahr ſagt Hippokrates:
Waizen und Waizen, und Wein und Wein, und Alles, was
wir genießen, iſt gar ſehr von einander verſchieden, und macht,
daß man nicht ſo genau davon handeln kann.“
Gewaͤhrt der Geſammteindruck ſchoͤner Gegenſtaͤnde unge-
theilten Vollgenuß, ſo wird der Kenner doch Luſt und Beleh-
rung auch an Pruͤfung und Wuͤrdigung ſchoͤner Einzelheiten
finden, welche anzuregen keiner der geringſten Zwecke dieſer
Vorleſung war, wobei denn freilich, wie — sans comparaison
— in der Iliade, auch Therſites nicht fehlen durfte. „Der
Bauch, lehrt aber Sirach, nimmt allerlei Speiſe zu ſich, doch
iſt eine Speiſe beſſer denn die andre.“ — Daraus folgt nicht,
daß man blos nach Einem trachten, Eines lieben muͤſſe, ſondern
vielmehr alles Liebenswuͤrdige; — immer mit gebuͤhrender Be-
achtung und Achtung des Spezifiſchen. Nur keine Gleich-
giltigkeit! — Shakeſpeare’s holde Porzia ſagt: Die Kraͤhe
ſingt ſo lieblich, wie die Lerche, wenn man auf keine lauſchet. —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/256>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.