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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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Menschlichkeit wird herrschend. Erst gestern las ich ein Zeitungs-
blatt, welches dafür zeugt, indem es erzählt, daß die Humani-
tät mehrerer Bürger einer Stadt, durch einen Kutscher, welcher
seine Pferde sehr mißhandelte, so indignirt wurde, daß sie den-
selben ohne Weiteres tüchtig durchprügelten.

Wird mit etwas Gutem auf der Welt Mißbrauch getrieben,
so ist es mit den so verschieden beurtheilten Austern. Es hat
etwas Schauderhaftes, zuzusehen, wie Manche Austern zu vielen
Dutzenden und Hunderten verschlucken, denn vom Schmecken
und eigentlichen Essen ist dabei gar keine Rede. Es sind
Beispiele vorhanden, daß dreißig Dutzend und mehr ver-
schlungen wurden.

Sonderbar ist's, daß man sich scheuen würde z. B. ein
Dutzend Bratwürste zu verlangen, Austern aber immer nach
Dutzenden und Hunderten bestellt oder bestellen zu müssen
glaubt, so daß Austern essen und viel essen für identisch ge-
nommen wird. Daher stammt denn wohl die Sage, als ob
die Austern überhaupt schwerverdaulich seien. Sie sind aber
nichts weniger als dieß, wie ich mich durch, hier nicht wohl zu
erzählende, Beobachtungen zur Evidenz überzeugte. Ißt man
freilich mehrere Dutzend und trinkt noch schlechten Wein dazu,
dann kann man freilich sterbenskrank werden.

Der mit Geschmack und Sinn essende Mensch wird, mit
Maaß sie genießend, finden, daß wenigere besser schmecken als
zu viel, und so Lust behalten, sich öfter daran zu erquicken.

Für den angehenden Eßkünstler mag bemerkt sein, daß,
im Falle sie nicht schon ohne Bart aufgetragen werden, dieser
zu beseitigen ist; daß man, um sie zu schmecken, auch zu kauen,
und nicht, wie oft geschieht, blos zu schlucken habe; und daß,
ehe man öffentlich als Austernesser auftritt, man wohlthut, eine
oder ein paar Privatvorübungen vorzunehmen. Im Anfang
wird etwas Pfeffer dazu gut sein, welcher freilich wegbleiben

Menſchlichkeit wird herrſchend. Erſt geſtern las ich ein Zeitungs-
blatt, welches dafuͤr zeugt, indem es erzaͤhlt, daß die Humani-
taͤt mehrerer Buͤrger einer Stadt, durch einen Kutſcher, welcher
ſeine Pferde ſehr mißhandelte, ſo indignirt wurde, daß ſie den-
ſelben ohne Weiteres tuͤchtig durchpruͤgelten.

Wird mit etwas Gutem auf der Welt Mißbrauch getrieben,
ſo iſt es mit den ſo verſchieden beurtheilten Auſtern. Es hat
etwas Schauderhaftes, zuzuſehen, wie Manche Auſtern zu vielen
Dutzenden und Hunderten verſchlucken, denn vom Schmecken
und eigentlichen Eſſen iſt dabei gar keine Rede. Es ſind
Beiſpiele vorhanden, daß dreißig Dutzend und mehr ver-
ſchlungen wurden.

Sonderbar iſt’s, daß man ſich ſcheuen wuͤrde z. B. ein
Dutzend Bratwuͤrſte zu verlangen, Auſtern aber immer nach
Dutzenden und Hunderten beſtellt oder beſtellen zu muͤſſen
glaubt, ſo daß Auſtern eſſen und viel eſſen fuͤr identiſch ge-
nommen wird. Daher ſtammt denn wohl die Sage, als ob
die Auſtern uͤberhaupt ſchwerverdaulich ſeien. Sie ſind aber
nichts weniger als dieß, wie ich mich durch, hier nicht wohl zu
erzaͤhlende, Beobachtungen zur Evidenz uͤberzeugte. Ißt man
freilich mehrere Dutzend und trinkt noch ſchlechten Wein dazu,
dann kann man freilich ſterbenskrank werden.

Der mit Geſchmack und Sinn eſſende Menſch wird, mit
Maaß ſie genießend, finden, daß wenigere beſſer ſchmecken als
zu viel, und ſo Luſt behalten, ſich oͤfter daran zu erquicken.

Fuͤr den angehenden Eßkuͤnſtler mag bemerkt ſein, daß,
im Falle ſie nicht ſchon ohne Bart aufgetragen werden, dieſer
zu beſeitigen iſt; daß man, um ſie zu ſchmecken, auch zu kauen,
und nicht, wie oft geſchieht, blos zu ſchlucken habe; und daß,
ehe man oͤffentlich als Auſterneſſer auftritt, man wohlthut, eine
oder ein paar Privatvoruͤbungen vorzunehmen. Im Anfang
wird etwas Pfeffer dazu gut ſein, welcher freilich wegbleiben

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[239/0253] Menſchlichkeit wird herrſchend. Erſt geſtern las ich ein Zeitungs- blatt, welches dafuͤr zeugt, indem es erzaͤhlt, daß die Humani- taͤt mehrerer Buͤrger einer Stadt, durch einen Kutſcher, welcher ſeine Pferde ſehr mißhandelte, ſo indignirt wurde, daß ſie den- ſelben ohne Weiteres tuͤchtig durchpruͤgelten. Wird mit etwas Gutem auf der Welt Mißbrauch getrieben, ſo iſt es mit den ſo verſchieden beurtheilten Auſtern. Es hat etwas Schauderhaftes, zuzuſehen, wie Manche Auſtern zu vielen Dutzenden und Hunderten verſchlucken, denn vom Schmecken und eigentlichen Eſſen iſt dabei gar keine Rede. Es ſind Beiſpiele vorhanden, daß dreißig Dutzend und mehr ver- ſchlungen wurden. Sonderbar iſt’s, daß man ſich ſcheuen wuͤrde z. B. ein Dutzend Bratwuͤrſte zu verlangen, Auſtern aber immer nach Dutzenden und Hunderten beſtellt oder beſtellen zu muͤſſen glaubt, ſo daß Auſtern eſſen und viel eſſen fuͤr identiſch ge- nommen wird. Daher ſtammt denn wohl die Sage, als ob die Auſtern uͤberhaupt ſchwerverdaulich ſeien. Sie ſind aber nichts weniger als dieß, wie ich mich durch, hier nicht wohl zu erzaͤhlende, Beobachtungen zur Evidenz uͤberzeugte. Ißt man freilich mehrere Dutzend und trinkt noch ſchlechten Wein dazu, dann kann man freilich ſterbenskrank werden. Der mit Geſchmack und Sinn eſſende Menſch wird, mit Maaß ſie genießend, finden, daß wenigere beſſer ſchmecken als zu viel, und ſo Luſt behalten, ſich oͤfter daran zu erquicken. Fuͤr den angehenden Eßkuͤnſtler mag bemerkt ſein, daß, im Falle ſie nicht ſchon ohne Bart aufgetragen werden, dieſer zu beſeitigen iſt; daß man, um ſie zu ſchmecken, auch zu kauen, und nicht, wie oft geſchieht, blos zu ſchlucken habe; und daß, ehe man oͤffentlich als Auſterneſſer auftritt, man wohlthut, eine oder ein paar Privatvoruͤbungen vorzunehmen. Im Anfang wird etwas Pfeffer dazu gut ſein, welcher freilich wegbleiben

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/253>, abgerufen am 24.11.2024.