das Todte jemals lieblicher erscheinen, als in so fern es als eßbar betrachtet wird? Ist denn ein Kalbsbraten als Symbol des Todes nicht um Vieles freundlicher, als der schwermüthige Ge- nius mit der umgekehrten Fackel?
Wär's nicht schön, hätte Goethe nicht gesungen:
"So frißt's Würmlein frisch Keimlein-Blatt, Das Würmlein macht das Lerchlein satt, Und weil ich auch bin zu essen hier, Mir das Lerchlein zu Gemüthe führ.'"
Es findet hier wohl schicklich die Mittheilung eines Tage- buch-Fragmentes, als Ergebniß einer in früherer Zeit gemach- ten südlichen Meerfahrt, ihre Stelle.
-- Als ich so in der heiligen Stille der Nacht hinabsah vom Bord auf das unermeßliche, geheimnißvolle, fischwimmeln- de Meer, und mir dessen Bewohner vergegenwärtigte, wie sie wechselsweise gegenseitig nach einander schnappen, und sich fres- sen, trat die ungeheure Weltbedeutung des Essens in ihrer gan- zen erschütternden Mächtigkeit vor meine Seele. Ich wandte meinen Blick ab vom Ungeheuren, und vermittelte den mensch- lichen Schauder, wie Goethe, durch Bilder. -- Gleich lieb- lichen Tönen aus der Ferne, gleich fröhlichen Erinnerungen des seligen Knabenalters, drängte sich der Wohlgeruch und Ge- schmack leckerer Bricken, Forellen, Hechte, Lachse, Stockfische vor meine Seele, und weckte die lieblichsten Associationen an die über allen Ausdruck erhabene Eigenthümlichkeit der Austern, den unaussprechlichen Wohlgeschmack gebratenen Karpfen-Rog- gens, die pikante Entschiedenheit des Caviar und anderer Nep- tunischer Gaben.
Der erfrischende Morgen war gekommen. Meine Blicke wandten sich aufwärts zu der lichten Bläue des Himmels. Schaaren von wilden Enten schwebten in der Luft. Welche Reminiscenzen! Sauergebraten wilde Enten!
das Todte jemals lieblicher erſcheinen, als in ſo fern es als eßbar betrachtet wird? Iſt denn ein Kalbsbraten als Symbol des Todes nicht um Vieles freundlicher, als der ſchwermuͤthige Ge- nius mit der umgekehrten Fackel?
Waͤr’s nicht ſchoͤn, haͤtte Goethe nicht geſungen:
„So frißt’s Wuͤrmlein friſch Keimlein-Blatt, Das Wuͤrmlein macht das Lerchlein ſatt, Und weil ich auch bin zu eſſen hier, Mir das Lerchlein zu Gemuͤthe fuͤhr.’“
Es findet hier wohl ſchicklich die Mittheilung eines Tage- buch-Fragmentes, als Ergebniß einer in fruͤherer Zeit gemach- ten ſuͤdlichen Meerfahrt, ihre Stelle.
— Als ich ſo in der heiligen Stille der Nacht hinabſah vom Bord auf das unermeßliche, geheimnißvolle, fiſchwimmeln- de Meer, und mir deſſen Bewohner vergegenwaͤrtigte, wie ſie wechſelsweiſe gegenſeitig nach einander ſchnappen, und ſich freſ- ſen, trat die ungeheure Weltbedeutung des Eſſens in ihrer gan- zen erſchuͤtternden Maͤchtigkeit vor meine Seele. Ich wandte meinen Blick ab vom Ungeheuren, und vermittelte den menſch- lichen Schauder, wie Goethe, durch Bilder. — Gleich lieb- lichen Toͤnen aus der Ferne, gleich froͤhlichen Erinnerungen des ſeligen Knabenalters, draͤngte ſich der Wohlgeruch und Ge- ſchmack leckerer Bricken, Forellen, Hechte, Lachſe, Stockfiſche vor meine Seele, und weckte die lieblichſten Aſſociationen an die uͤber allen Ausdruck erhabene Eigenthuͤmlichkeit der Auſtern, den unausſprechlichen Wohlgeſchmack gebratenen Karpfen-Rog- gens, die pikante Entſchiedenheit des Caviar und anderer Nep- tuniſcher Gaben.
Der erfriſchende Morgen war gekommen. Meine Blicke wandten ſich aufwaͤrts zu der lichten Blaͤue des Himmels. Schaaren von wilden Enten ſchwebten in der Luft. Welche Reminiscenzen! Sauergebraten wilde Enten!
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das Todte jemals lieblicher erſcheinen, als in ſo fern es als eßbar
betrachtet wird? Iſt denn ein Kalbsbraten als Symbol des
Todes nicht um Vieles freundlicher, als der ſchwermuͤthige Ge-
nius mit der umgekehrten Fackel?
Waͤr’s nicht ſchoͤn, haͤtte Goethe nicht geſungen:
„So frißt’s Wuͤrmlein friſch Keimlein-Blatt,
Das Wuͤrmlein macht das Lerchlein ſatt,
Und weil ich auch bin zu eſſen hier,
Mir das Lerchlein zu Gemuͤthe fuͤhr.’“
Es findet hier wohl ſchicklich die Mittheilung eines Tage-
buch-Fragmentes, als Ergebniß einer in fruͤherer Zeit gemach-
ten ſuͤdlichen Meerfahrt, ihre Stelle.
— Als ich ſo in der heiligen Stille der Nacht hinabſah
vom Bord auf das unermeßliche, geheimnißvolle, fiſchwimmeln-
de Meer, und mir deſſen Bewohner vergegenwaͤrtigte, wie ſie
wechſelsweiſe gegenſeitig nach einander ſchnappen, und ſich freſ-
ſen, trat die ungeheure Weltbedeutung des Eſſens in ihrer gan-
zen erſchuͤtternden Maͤchtigkeit vor meine Seele. Ich wandte
meinen Blick ab vom Ungeheuren, und vermittelte den menſch-
lichen Schauder, wie Goethe, durch Bilder. — Gleich lieb-
lichen Toͤnen aus der Ferne, gleich froͤhlichen Erinnerungen
des ſeligen Knabenalters, draͤngte ſich der Wohlgeruch und Ge-
ſchmack leckerer Bricken, Forellen, Hechte, Lachſe, Stockfiſche
vor meine Seele, und weckte die lieblichſten Aſſociationen an
die uͤber allen Ausdruck erhabene Eigenthuͤmlichkeit der Auſtern,
den unausſprechlichen Wohlgeſchmack gebratenen Karpfen-Rog-
gens, die pikante Entſchiedenheit des Caviar und anderer Nep-
tuniſcher Gaben.
Der erfriſchende Morgen war gekommen. Meine Blicke
wandten ſich aufwaͤrts zu der lichten Blaͤue des Himmels.
Schaaren von wilden Enten ſchwebten in der Luft. Welche
Reminiscenzen! Sauergebraten wilde Enten!
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/25>, abgerufen am 23.07.2024.
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