scheiden zu seinem Genusse ein!" -- In Schubert's Symbo- lik des Traums heißt es: "Jede Lebensbewegung ist ein Nah- rungsnehmen, ein an sich Ziehen der niederen Basis." -- Man kann darüber beliebig weiter nachdenken und wer was exquisit Tiefsinniges hierüber will, lese Jacob Böhme's vierten Send- brief v. 12 bis 14. --
Endlich kommt nun aber vollends noch eine Menge Volks, groß und klein, statt eines menschlichen Appetits rohen Hun- ger mitbringend, ohne Geschmack und Kritik, ohne Sinn und Witz, und prätendirt gleichwohl auch essen zu können. Das Allererschütterndste ist aber, wenn Leute, die nicht einmal essen können, kochen und transchiren wollen. Vielleicht mäkeln und tadeln solche auch die angedeutete Lebensansicht. Mögen sie's! Ich erspare mir die Mühe, mit unmusikalischen Menschen über den Zauber der Melodie und Harmonie zu reden, und spreche hier ein für allemal aus, daß diese Vorlesungen für Sinnbe- gabte, für Gesunde, und für Männer bestimmt sind.
Man erwartet vielleicht eine Apologie über die dargelegte ungeheure Eßtendenz der Natur. Es kommt mir aber curios vor, das Daseiende erst rechtfertigen zu wollen. Sollte es nicht so sein, so wär's gewiß anders. Wer aber dergleichen weiter ausgeführt haben will, sei auf des seeligen Engel Phi- losophen für die Welt, welcher vielleicht älteren Literaten noch bekannt ist, und zwar auf die Abhandlung: "Der Habicht" verwiesen, wo das Unnöthige in nöthiger Breite zu finden.
Mir ist's genug, daß die Sache wahr und schön ist. Ob- gleich zunächst nur von jenem die Rede sein soll, will ich doch schon hier im Allgemeinen auch dieses berücksichtigen. Wer könnte, frage ich, in der Anschauung dieser zum Theil essender, zum Theil gegessen werdender Wesen das schöne Wechselspiel der Komi-Tragödie des Lebens verkennen? Genuß und Unter- gang in der appetitlichsten Verklärung, welches freilich mit klassi- scher Ruhe und Klarheit angeschaut werden will. Oder kann
ſcheiden zu ſeinem Genuſſe ein!“ — In Schubert’s Symbo- lik des Traums heißt es: „Jede Lebensbewegung iſt ein Nah- rungsnehmen, ein an ſich Ziehen der niederen Baſis.“ — Man kann daruͤber beliebig weiter nachdenken und wer was exquiſit Tiefſinniges hieruͤber will, leſe Jacob Boͤhme’s vierten Send- brief v. 12 bis 14. —
Endlich kommt nun aber vollends noch eine Menge Volks, groß und klein, ſtatt eines menſchlichen Appetits rohen Hun- ger mitbringend, ohne Geſchmack und Kritik, ohne Sinn und Witz, und praͤtendirt gleichwohl auch eſſen zu koͤnnen. Das Allererſchuͤtterndſte iſt aber, wenn Leute, die nicht einmal eſſen koͤnnen, kochen und tranſchiren wollen. Vielleicht maͤkeln und tadeln ſolche auch die angedeutete Lebensanſicht. Moͤgen ſie’s! Ich erſpare mir die Muͤhe, mit unmuſikaliſchen Menſchen uͤber den Zauber der Melodie und Harmonie zu reden, und ſpreche hier ein fuͤr allemal aus, daß dieſe Vorleſungen fuͤr Sinnbe- gabte, fuͤr Geſunde, und fuͤr Maͤnner beſtimmt ſind.
Man erwartet vielleicht eine Apologie uͤber die dargelegte ungeheure Eßtendenz der Natur. Es kommt mir aber curios vor, das Daſeiende erſt rechtfertigen zu wollen. Sollte es nicht ſo ſein, ſo waͤr’s gewiß anders. Wer aber dergleichen weiter ausgefuͤhrt haben will, ſei auf des ſeeligen Engel Phi- loſophen fuͤr die Welt, welcher vielleicht aͤlteren Literaten noch bekannt iſt, und zwar auf die Abhandlung: „Der Habicht“ verwieſen, wo das Unnoͤthige in noͤthiger Breite zu finden.
Mir iſt’s genug, daß die Sache wahr und ſchoͤn iſt. Ob- gleich zunaͤchſt nur von jenem die Rede ſein ſoll, will ich doch ſchon hier im Allgemeinen auch dieſes beruͤckſichtigen. Wer koͤnnte, frage ich, in der Anſchauung dieſer zum Theil eſſender, zum Theil gegeſſen werdender Weſen das ſchoͤne Wechſelſpiel der Komi-Tragoͤdie des Lebens verkennen? Genuß und Unter- gang in der appetitlichſten Verklaͤrung, welches freilich mit klaſſi- ſcher Ruhe und Klarheit angeſchaut werden will. Oder kann
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ſcheiden zu ſeinem Genuſſe ein!“ — In Schubert’s Symbo-
lik des Traums heißt es: „Jede Lebensbewegung iſt ein Nah-
rungsnehmen, ein an ſich Ziehen der niederen Baſis.“ — Man
kann daruͤber beliebig weiter nachdenken und wer was exquiſit
Tiefſinniges hieruͤber will, leſe Jacob Boͤhme’s vierten Send-
brief v. 12 bis 14. —
Endlich kommt nun aber vollends noch eine Menge Volks,
groß und klein, ſtatt eines menſchlichen Appetits rohen Hun-
ger mitbringend, ohne Geſchmack und Kritik, ohne Sinn und
Witz, und praͤtendirt gleichwohl auch eſſen zu koͤnnen. Das
Allererſchuͤtterndſte iſt aber, wenn Leute, die nicht einmal eſſen
koͤnnen, kochen und tranſchiren wollen. Vielleicht maͤkeln und
tadeln ſolche auch die angedeutete Lebensanſicht. Moͤgen ſie’s!
Ich erſpare mir die Muͤhe, mit unmuſikaliſchen Menſchen uͤber
den Zauber der Melodie und Harmonie zu reden, und ſpreche
hier ein fuͤr allemal aus, daß dieſe Vorleſungen fuͤr Sinnbe-
gabte, fuͤr Geſunde, und fuͤr Maͤnner beſtimmt ſind.
Man erwartet vielleicht eine Apologie uͤber die dargelegte
ungeheure Eßtendenz der Natur. Es kommt mir aber curios
vor, das Daſeiende erſt rechtfertigen zu wollen. Sollte es
nicht ſo ſein, ſo waͤr’s gewiß anders. Wer aber dergleichen
weiter ausgefuͤhrt haben will, ſei auf des ſeeligen Engel Phi-
loſophen fuͤr die Welt, welcher vielleicht aͤlteren Literaten noch
bekannt iſt, und zwar auf die Abhandlung: „Der Habicht“
verwieſen, wo das Unnoͤthige in noͤthiger Breite zu finden.
Mir iſt’s genug, daß die Sache wahr und ſchoͤn iſt. Ob-
gleich zunaͤchſt nur von jenem die Rede ſein ſoll, will ich doch
ſchon hier im Allgemeinen auch dieſes beruͤckſichtigen. Wer
koͤnnte, frage ich, in der Anſchauung dieſer zum Theil eſſender,
zum Theil gegeſſen werdender Weſen das ſchoͤne Wechſelſpiel
der Komi-Tragoͤdie des Lebens verkennen? Genuß und Unter-
gang in der appetitlichſten Verklaͤrung, welches freilich mit klaſſi-
ſcher Ruhe und Klarheit angeſchaut werden will. Oder kann
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/24>, abgerufen am 23.07.2024.
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