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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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Viele Eßkünstler hegen eine nicht zu billigende Gering-
schätzung gegen Gemüse. Allerdings bilden Gemüse keine
Speise für sich, und sollen dieß auch nicht; aber durch sie und
die Salate können ja zunächst nur die schon besprochenen Ge-
gensätze verwirklicht werden, und wie einzige, wie unersetzliche
Geschmäcke und Genüsse gewähren z. B. die blutreinigenden
und erfrischenden, versüßenden, mildernden und erquickenden
Gemüse: Blumenkohl, Artischocken, Broccoli, Spargel, junge
Erbsen und Bohnenschoten, Schwarzwurzel, Wersich, Spinat,
Endivien, Kohlrabi, Rübchen etc. etc.

Häufig werden Gemüse zerhackt aufgetragen und auf diese
Art die oft so schöne Blumen- und Blattform ganz zerstört.
Ein sinnig Essender wird, wo es geht, die Form auch mitessen
wollen und also an diesem Verfahren keine Freude finden. Man
giebt Blumenkohl auch kalt als Salat; warm als Gemüse ge-
gessen wird aber seine Zartheit wohl zusagender verstanden wer-
den. Auch Scorzonera ist so besser. -- Der Spargel wird
warm als Gemüse fast zu weichlich, und scheint als Salat zu
gewinnen. Wenn Gratarolus räth, den Spargel vor anderen
Speisen zu essen, so beweist dieß blos, daß ihm die neuerkannte
Bedeutung der Gegensätze völlig unbekannt war. -- Junge
Bohnen zeigen sich als Gemüse und Salat gleich gut und lie-
benswürdig.

In Beziehung auf die Salate verdiente wohl die Franzö-
sische Sitte allgemeinere Nachahmung, daß der Salat ohne
Essig, Oel und Gewürz aufgetragen, und vom Esser selber ge-
mischt und nach Belieben zurecht gemacht wird. Meistens trifft
man auch in Deutschland einen ungebührlichen Ueberschuß von
Essig im Salat, während umgekehrt viel mehr Oel als Essig
entsprechend ist. Leider schmeckt aber das Oel häufigst so schlecht,
daß man froh ist, es durch den Essig überdeckt und überstimmt
zu finden. Hat man aber gutes Oel, so wird durch dessen
Ueberschuß und durch geringeren Essigzusatz der zarte Ge-

Viele Eßkuͤnſtler hegen eine nicht zu billigende Gering-
ſchaͤtzung gegen Gemuͤſe. Allerdings bilden Gemuͤſe keine
Speiſe fuͤr ſich, und ſollen dieß auch nicht; aber durch ſie und
die Salate koͤnnen ja zunaͤchſt nur die ſchon beſprochenen Ge-
genſaͤtze verwirklicht werden, und wie einzige, wie unerſetzliche
Geſchmaͤcke und Genuͤſſe gewaͤhren z. B. die blutreinigenden
und erfriſchenden, verſuͤßenden, mildernden und erquickenden
Gemuͤſe: Blumenkohl, Artiſchocken, Broccoli, Spargel, junge
Erbſen und Bohnenſchoten, Schwarzwurzel, Werſich, Spinat,
Endivien, Kohlrabi, Ruͤbchen ꝛc. ꝛc.

Haͤufig werden Gemuͤſe zerhackt aufgetragen und auf dieſe
Art die oft ſo ſchoͤne Blumen- und Blattform ganz zerſtoͤrt.
Ein ſinnig Eſſender wird, wo es geht, die Form auch miteſſen
wollen und alſo an dieſem Verfahren keine Freude finden. Man
giebt Blumenkohl auch kalt als Salat; warm als Gemuͤſe ge-
geſſen wird aber ſeine Zartheit wohl zuſagender verſtanden wer-
den. Auch Scorzonera iſt ſo beſſer. — Der Spargel wird
warm als Gemuͤſe faſt zu weichlich, und ſcheint als Salat zu
gewinnen. Wenn Gratarolus raͤth, den Spargel vor anderen
Speiſen zu eſſen, ſo beweiſt dieß blos, daß ihm die neuerkannte
Bedeutung der Gegenſaͤtze voͤllig unbekannt war. — Junge
Bohnen zeigen ſich als Gemuͤſe und Salat gleich gut und lie-
benswuͤrdig.

In Beziehung auf die Salate verdiente wohl die Franzoͤ-
ſiſche Sitte allgemeinere Nachahmung, daß der Salat ohne
Eſſig, Oel und Gewuͤrz aufgetragen, und vom Eſſer ſelber ge-
miſcht und nach Belieben zurecht gemacht wird. Meiſtens trifft
man auch in Deutſchland einen ungebuͤhrlichen Ueberſchuß von
Eſſig im Salat, waͤhrend umgekehrt viel mehr Oel als Eſſig
entſprechend iſt. Leider ſchmeckt aber das Oel haͤufigſt ſo ſchlecht,
daß man froh iſt, es durch den Eſſig uͤberdeckt und uͤberſtimmt
zu finden. Hat man aber gutes Oel, ſo wird durch deſſen
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[220/0234] Viele Eßkuͤnſtler hegen eine nicht zu billigende Gering- ſchaͤtzung gegen Gemuͤſe. Allerdings bilden Gemuͤſe keine Speiſe fuͤr ſich, und ſollen dieß auch nicht; aber durch ſie und die Salate koͤnnen ja zunaͤchſt nur die ſchon beſprochenen Ge- genſaͤtze verwirklicht werden, und wie einzige, wie unerſetzliche Geſchmaͤcke und Genuͤſſe gewaͤhren z. B. die blutreinigenden und erfriſchenden, verſuͤßenden, mildernden und erquickenden Gemuͤſe: Blumenkohl, Artiſchocken, Broccoli, Spargel, junge Erbſen und Bohnenſchoten, Schwarzwurzel, Werſich, Spinat, Endivien, Kohlrabi, Ruͤbchen ꝛc. ꝛc. Haͤufig werden Gemuͤſe zerhackt aufgetragen und auf dieſe Art die oft ſo ſchoͤne Blumen- und Blattform ganz zerſtoͤrt. Ein ſinnig Eſſender wird, wo es geht, die Form auch miteſſen wollen und alſo an dieſem Verfahren keine Freude finden. Man giebt Blumenkohl auch kalt als Salat; warm als Gemuͤſe ge- geſſen wird aber ſeine Zartheit wohl zuſagender verſtanden wer- den. Auch Scorzonera iſt ſo beſſer. — Der Spargel wird warm als Gemuͤſe faſt zu weichlich, und ſcheint als Salat zu gewinnen. Wenn Gratarolus raͤth, den Spargel vor anderen Speiſen zu eſſen, ſo beweiſt dieß blos, daß ihm die neuerkannte Bedeutung der Gegenſaͤtze voͤllig unbekannt war. — Junge Bohnen zeigen ſich als Gemuͤſe und Salat gleich gut und lie- benswuͤrdig. In Beziehung auf die Salate verdiente wohl die Franzoͤ- ſiſche Sitte allgemeinere Nachahmung, daß der Salat ohne Eſſig, Oel und Gewuͤrz aufgetragen, und vom Eſſer ſelber ge- miſcht und nach Belieben zurecht gemacht wird. Meiſtens trifft man auch in Deutſchland einen ungebuͤhrlichen Ueberſchuß von Eſſig im Salat, waͤhrend umgekehrt viel mehr Oel als Eſſig entſprechend iſt. Leider ſchmeckt aber das Oel haͤufigſt ſo ſchlecht, daß man froh iſt, es durch den Eſſig uͤberdeckt und uͤberſtimmt zu finden. Hat man aber gutes Oel, ſo wird durch deſſen Ueberſchuß und durch geringeren Eſſigzuſatz der zarte Ge-

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/234>, abgerufen am 24.11.2024.