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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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Die Vögel haben zwar einen Schnabel, an dem jedoch ei-
gentliche Zähne fehlen, welcher daher nicht Kau-, sondern Beiß-
organ ist. Die Articulationen dieses Schnabels, oder dieser
Schnäbel, sind merklich freier und vollkommner, das Zungen-
bein nähert sich dem der Mammalien, und doch ist noch nicht
bei allen Vögeln die Zunge eigentliches Geschmacksorgan. Es
ist gewiß nicht überflüssig, darauf aufmerksam zu machen, daß
nicht jede Zunge ein wirkliches Geschmacksorgan ist. Begeg-
nete mir doch erst neuerlich ein junger Kunstkritiker, der sogar
seinen Schnabel für eine Zunge hielt.

Unter den Mammalien erfreuen sich Fledermäuse, Raub-
thiere, Affen und auch der Mensch -- den ich jedoch, wie ich
vorsichtigerweise ausdrücklich und nachdrücklich versichere, weit
entfernt bin, hierher zu rechnen -- aller drei Arten von Zähnen,
Unterkieferbewegung und weicher, biegsamer, fleischiger, knorpel-
loser Zungen, so wie Gaumensegel. Interessant sind hier be-
sonders noch die Backentaschen, so wie die Mägen der Wieder-
käuer.

Viel zu lang wäre es nun, zu beschreiben, auf wie unend-
lich verschiedene Art und Weise, oft sehr sonderbar, diese Thiere
und Thierlein alle zu essen pflegen; als beachtungswerth mag
aber noch hervorgehoben werden, daß manches für eine Thier-
art eßbar und gedeihlich ist, welches einer anderen Verderben
bringt, wie ja auch bei den Menschen dem Einem oft etwas
schmeckt, welches ein Anderer mit aller Anstrengung nicht im
Stande ist auszuhalten.

Bekannt ist die Eintheilung in Pflanzenfresser und Fleisch-
fresser. Der Mensch nun ist von der Natur angewiesen, weder
ausschließlich Herbivor noch Carnivor zu sein; er soll beides in
sich versöhnen und verklären. Nur keine Einseitigkeit! Eben so
wenig lauter van Huysums, als lauter Wouwermans!

Tiedemann findet einen besondern Grund für diesen dop-
pelten Eßberuf des Menschen darin, daß die Affen, namentlich

Die Voͤgel haben zwar einen Schnabel, an dem jedoch ei-
gentliche Zaͤhne fehlen, welcher daher nicht Kau-, ſondern Beiß-
organ iſt. Die Articulationen dieſes Schnabels, oder dieſer
Schnaͤbel, ſind merklich freier und vollkommner, das Zungen-
bein naͤhert ſich dem der Mammalien, und doch iſt noch nicht
bei allen Voͤgeln die Zunge eigentliches Geſchmacksorgan. Es
iſt gewiß nicht uͤberfluͤſſig, darauf aufmerkſam zu machen, daß
nicht jede Zunge ein wirkliches Geſchmacksorgan iſt. Begeg-
nete mir doch erſt neuerlich ein junger Kunſtkritiker, der ſogar
ſeinen Schnabel fuͤr eine Zunge hielt.

Unter den Mammalien erfreuen ſich Fledermaͤuſe, Raub-
thiere, Affen und auch der Menſch — den ich jedoch, wie ich
vorſichtigerweiſe ausdruͤcklich und nachdruͤcklich verſichere, weit
entfernt bin, hierher zu rechnen — aller drei Arten von Zaͤhnen,
Unterkieferbewegung und weicher, biegſamer, fleiſchiger, knorpel-
loſer Zungen, ſo wie Gaumenſegel. Intereſſant ſind hier be-
ſonders noch die Backentaſchen, ſo wie die Maͤgen der Wieder-
kaͤuer.

Viel zu lang waͤre es nun, zu beſchreiben, auf wie unend-
lich verſchiedene Art und Weiſe, oft ſehr ſonderbar, dieſe Thiere
und Thierlein alle zu eſſen pflegen; als beachtungswerth mag
aber noch hervorgehoben werden, daß manches fuͤr eine Thier-
art eßbar und gedeihlich iſt, welches einer anderen Verderben
bringt, wie ja auch bei den Menſchen dem Einem oft etwas
ſchmeckt, welches ein Anderer mit aller Anſtrengung nicht im
Stande iſt auszuhalten.

Bekannt iſt die Eintheilung in Pflanzenfreſſer und Fleiſch-
freſſer. Der Menſch nun iſt von der Natur angewieſen, weder
ausſchließlich Herbivor noch Carnivor zu ſein; er ſoll beides in
ſich verſoͤhnen und verklaͤren. Nur keine Einſeitigkeit! Eben ſo
wenig lauter van Huyſums, als lauter Wouwermans!

Tiedemann findet einen beſondern Grund fuͤr dieſen dop-
pelten Eßberuf des Menſchen darin, daß die Affen, namentlich

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[7/0021] Die Voͤgel haben zwar einen Schnabel, an dem jedoch ei- gentliche Zaͤhne fehlen, welcher daher nicht Kau-, ſondern Beiß- organ iſt. Die Articulationen dieſes Schnabels, oder dieſer Schnaͤbel, ſind merklich freier und vollkommner, das Zungen- bein naͤhert ſich dem der Mammalien, und doch iſt noch nicht bei allen Voͤgeln die Zunge eigentliches Geſchmacksorgan. Es iſt gewiß nicht uͤberfluͤſſig, darauf aufmerkſam zu machen, daß nicht jede Zunge ein wirkliches Geſchmacksorgan iſt. Begeg- nete mir doch erſt neuerlich ein junger Kunſtkritiker, der ſogar ſeinen Schnabel fuͤr eine Zunge hielt. Unter den Mammalien erfreuen ſich Fledermaͤuſe, Raub- thiere, Affen und auch der Menſch — den ich jedoch, wie ich vorſichtigerweiſe ausdruͤcklich und nachdruͤcklich verſichere, weit entfernt bin, hierher zu rechnen — aller drei Arten von Zaͤhnen, Unterkieferbewegung und weicher, biegſamer, fleiſchiger, knorpel- loſer Zungen, ſo wie Gaumenſegel. Intereſſant ſind hier be- ſonders noch die Backentaſchen, ſo wie die Maͤgen der Wieder- kaͤuer. Viel zu lang waͤre es nun, zu beſchreiben, auf wie unend- lich verſchiedene Art und Weiſe, oft ſehr ſonderbar, dieſe Thiere und Thierlein alle zu eſſen pflegen; als beachtungswerth mag aber noch hervorgehoben werden, daß manches fuͤr eine Thier- art eßbar und gedeihlich iſt, welches einer anderen Verderben bringt, wie ja auch bei den Menſchen dem Einem oft etwas ſchmeckt, welches ein Anderer mit aller Anſtrengung nicht im Stande iſt auszuhalten. Bekannt iſt die Eintheilung in Pflanzenfreſſer und Fleiſch- freſſer. Der Menſch nun iſt von der Natur angewieſen, weder ausſchließlich Herbivor noch Carnivor zu ſein; er ſoll beides in ſich verſoͤhnen und verklaͤren. Nur keine Einſeitigkeit! Eben ſo wenig lauter van Huyſums, als lauter Wouwermans! Tiedemann findet einen beſondern Grund fuͤr dieſen dop- pelten Eßberuf des Menſchen darin, daß die Affen, namentlich

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/21>, abgerufen am 21.11.2024.