dasselbe gerade beim Stiel anzufassen. Dieß läßt allerdings bei Trauben z. B. gut; mehr als überflüssig ist dieser Rath aber, wenn das Obst gar keinen Stiel hat.
Hippel bemerkt schön: Obst aus Frauenzimmerhänden wäre wie beinahe vom Baume. --
Da ich vom Essen handle, kann ich zwar die Tischgespräche nicht umgehen, aber eben so wenig lange dabei verweilen.
Wenn es allerdings unschicklich ist, Speisen zu tadeln, so ist's doch auch höchst lästig, sie in Einem fort loben zu sollen. Oft kommt man vor lauter Loben gar nicht zum Essen. Ach, wie manches Gastmahl, wie manche Kunstsammlung ist mir dadurch schon auf's Trübste verleidet worden! Die Eßkunst ist eine freie Kunst, und alles Forcirte, jeglicher Zwang zum Essen und Loben ist gleich verhaßt. Wie schrecklich ist's, wenn einem was schmecken muß! -- Lob aber mit Diskretion, z. B. nur durch strahlende Heiterkeit des Antlitzes, durch reichliches, starkes Essen etc. ausgedrückt, ist oft viel aus- und eindrucksvoller und viel wahrer, ermuthigt auch Andere sehr; wie umgekehrt eine widerliche ekelnde Miene Vielen den Appetit stören kann und überhaupt unverzeihlich ist.
Während nun aber die Kunstkritik ein modifirtes Urtheil verlangt, und die Exclamationen: Gut! Schön! Sehr gut! Sehr schön! Vortrefflich! etc. als eigentlich nichtssagend mit Recht verwirft, so sind gerade bei Urtheilen über Speisen weitere Modifirungen und Begründungen unzulässig, und z. B. die mit Ausdruck und entsprechenden Gesichtszügen vorgebrachte kurze Interjektion: "Delikat!" -- ist hier viel besser als die längste Auseinandersetzung eines Urtheils.
Goethe sagt als Hofmann sehr richtig: Von rechts- wegen soll eine gesellige Unterhaltung nur etwas mehr als nichts sein. -- Es ist aber schwerer, als mancher glaubt, Nichts zu sagen. Auch haben die wenigsten Menschen (manche aber wider Wissen und Willen) diese hohe Stufe der Civilisation
daſſelbe gerade beim Stiel anzufaſſen. Dieß laͤßt allerdings bei Trauben z. B. gut; mehr als uͤberfluͤſſig iſt dieſer Rath aber, wenn das Obſt gar keinen Stiel hat.
Hippel bemerkt ſchoͤn: Obſt aus Frauenzimmerhaͤnden waͤre wie beinahe vom Baume. —
Da ich vom Eſſen handle, kann ich zwar die Tiſchgeſpraͤche nicht umgehen, aber eben ſo wenig lange dabei verweilen.
Wenn es allerdings unſchicklich iſt, Speiſen zu tadeln, ſo iſt’s doch auch hoͤchſt laͤſtig, ſie in Einem fort loben zu ſollen. Oft kommt man vor lauter Loben gar nicht zum Eſſen. Ach, wie manches Gaſtmahl, wie manche Kunſtſammlung iſt mir dadurch ſchon auf’s Truͤbſte verleidet worden! Die Eßkunſt iſt eine freie Kunſt, und alles Forcirte, jeglicher Zwang zum Eſſen und Loben iſt gleich verhaßt. Wie ſchrecklich iſt’s, wenn einem was ſchmecken muß! — Lob aber mit Diskretion, z. B. nur durch ſtrahlende Heiterkeit des Antlitzes, durch reichliches, ſtarkes Eſſen ꝛc. ausgedruͤckt, iſt oft viel aus- und eindrucksvoller und viel wahrer, ermuthigt auch Andere ſehr; wie umgekehrt eine widerliche ekelnde Miene Vielen den Appetit ſtoͤren kann und uͤberhaupt unverzeihlich iſt.
Waͤhrend nun aber die Kunſtkritik ein modifirtes Urtheil verlangt, und die Exclamationen: Gut! Schoͤn! Sehr gut! Sehr ſchoͤn! Vortrefflich! ꝛc. als eigentlich nichtsſagend mit Recht verwirft, ſo ſind gerade bei Urtheilen uͤber Speiſen weitere Modifirungen und Begruͤndungen unzulaͤſſig, und z. B. die mit Ausdruck und entſprechenden Geſichtszuͤgen vorgebrachte kurze Interjektion: „Delikat!“ — iſt hier viel beſſer als die laͤngſte Auseinanderſetzung eines Urtheils.
Goethe ſagt als Hofmann ſehr richtig: Von rechts- wegen ſoll eine geſellige Unterhaltung nur etwas mehr als nichts ſein. — Es iſt aber ſchwerer, als mancher glaubt, Nichts zu ſagen. Auch haben die wenigſten Menſchen (manche aber wider Wiſſen und Willen) dieſe hohe Stufe der Civiliſation
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0199"n="185"/>
daſſelbe gerade beim Stiel anzufaſſen. Dieß laͤßt allerdings bei<lb/>
Trauben z. B. gut; mehr als uͤberfluͤſſig iſt dieſer Rath aber,<lb/>
wenn das Obſt gar keinen Stiel hat.</p><lb/><p><hirendition="#g">Hippel</hi> bemerkt ſchoͤn: Obſt aus Frauenzimmerhaͤnden<lb/>
waͤre wie beinahe vom Baume. —</p><lb/><p>Da ich vom Eſſen handle, kann ich zwar die Tiſchgeſpraͤche<lb/>
nicht umgehen, aber eben ſo wenig lange dabei verweilen.</p><lb/><p>Wenn es allerdings unſchicklich iſt, Speiſen zu tadeln, ſo<lb/>
iſt’s doch auch hoͤchſt laͤſtig, ſie in Einem fort loben zu ſollen.<lb/>
Oft kommt man vor lauter Loben gar nicht zum Eſſen. Ach,<lb/>
wie manches Gaſtmahl, wie manche Kunſtſammlung iſt mir<lb/>
dadurch ſchon auf’s Truͤbſte verleidet worden! Die Eßkunſt iſt<lb/>
eine freie Kunſt, und alles Forcirte, jeglicher Zwang zum Eſſen<lb/>
und Loben iſt gleich verhaßt. Wie ſchrecklich iſt’s, wenn einem<lb/>
was ſchmecken muß! — Lob aber mit Diskretion, z. B. nur<lb/>
durch ſtrahlende Heiterkeit des Antlitzes, durch reichliches, ſtarkes<lb/>
Eſſen ꝛc. ausgedruͤckt, iſt oft viel aus- und eindrucksvoller und<lb/>
viel wahrer, ermuthigt auch Andere ſehr; wie umgekehrt eine<lb/>
widerliche ekelnde Miene Vielen den Appetit ſtoͤren kann und<lb/>
uͤberhaupt unverzeihlich iſt.</p><lb/><p>Waͤhrend nun aber die Kunſtkritik ein modifirtes Urtheil<lb/>
verlangt, und die Exclamationen: Gut! Schoͤn! Sehr gut!<lb/>
Sehr ſchoͤn! Vortrefflich! ꝛc. als eigentlich nichtsſagend mit<lb/>
Recht verwirft, ſo ſind gerade bei Urtheilen uͤber Speiſen weitere<lb/>
Modifirungen und Begruͤndungen unzulaͤſſig, und z. B. die<lb/>
mit Ausdruck und entſprechenden Geſichtszuͤgen vorgebrachte<lb/>
kurze Interjektion: „Delikat!“— iſt hier viel beſſer als die<lb/>
laͤngſte Auseinanderſetzung eines Urtheils.</p><lb/><p><hirendition="#g">Goethe</hi>ſagt als Hofmann ſehr richtig: Von rechts-<lb/>
wegen ſoll eine geſellige Unterhaltung nur etwas mehr als<lb/>
nichts ſein. — Es iſt aber ſchwerer, als mancher glaubt, Nichts<lb/>
zu ſagen. Auch haben die wenigſten Menſchen (manche aber<lb/>
wider Wiſſen und Willen) dieſe hohe Stufe der Civiliſation<lb/></p></div></body></text></TEI>
[185/0199]
daſſelbe gerade beim Stiel anzufaſſen. Dieß laͤßt allerdings bei
Trauben z. B. gut; mehr als uͤberfluͤſſig iſt dieſer Rath aber,
wenn das Obſt gar keinen Stiel hat.
Hippel bemerkt ſchoͤn: Obſt aus Frauenzimmerhaͤnden
waͤre wie beinahe vom Baume. —
Da ich vom Eſſen handle, kann ich zwar die Tiſchgeſpraͤche
nicht umgehen, aber eben ſo wenig lange dabei verweilen.
Wenn es allerdings unſchicklich iſt, Speiſen zu tadeln, ſo
iſt’s doch auch hoͤchſt laͤſtig, ſie in Einem fort loben zu ſollen.
Oft kommt man vor lauter Loben gar nicht zum Eſſen. Ach,
wie manches Gaſtmahl, wie manche Kunſtſammlung iſt mir
dadurch ſchon auf’s Truͤbſte verleidet worden! Die Eßkunſt iſt
eine freie Kunſt, und alles Forcirte, jeglicher Zwang zum Eſſen
und Loben iſt gleich verhaßt. Wie ſchrecklich iſt’s, wenn einem
was ſchmecken muß! — Lob aber mit Diskretion, z. B. nur
durch ſtrahlende Heiterkeit des Antlitzes, durch reichliches, ſtarkes
Eſſen ꝛc. ausgedruͤckt, iſt oft viel aus- und eindrucksvoller und
viel wahrer, ermuthigt auch Andere ſehr; wie umgekehrt eine
widerliche ekelnde Miene Vielen den Appetit ſtoͤren kann und
uͤberhaupt unverzeihlich iſt.
Waͤhrend nun aber die Kunſtkritik ein modifirtes Urtheil
verlangt, und die Exclamationen: Gut! Schoͤn! Sehr gut!
Sehr ſchoͤn! Vortrefflich! ꝛc. als eigentlich nichtsſagend mit
Recht verwirft, ſo ſind gerade bei Urtheilen uͤber Speiſen weitere
Modifirungen und Begruͤndungen unzulaͤſſig, und z. B. die
mit Ausdruck und entſprechenden Geſichtszuͤgen vorgebrachte
kurze Interjektion: „Delikat!“ — iſt hier viel beſſer als die
laͤngſte Auseinanderſetzung eines Urtheils.
Goethe ſagt als Hofmann ſehr richtig: Von rechts-
wegen ſoll eine geſellige Unterhaltung nur etwas mehr als
nichts ſein. — Es iſt aber ſchwerer, als mancher glaubt, Nichts
zu ſagen. Auch haben die wenigſten Menſchen (manche aber
wider Wiſſen und Willen) dieſe hohe Stufe der Civiliſation
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/199>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.