Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.Eine sehr zu beherzigende Regel ist, zum Essen nicht zu -- "Suppe kocht und siedet ein, Braten will verbrennen" -- so verdirbt durch zu langes Warten und zu spätes Essen der Sehr zweckmäßig und räthlich ist es dagegen, nicht unmit- In Deutschland pflegt man häufig guten Appetit zu wun- Eine ſehr zu beherzigende Regel iſt, zum Eſſen nicht zu — „Suppe kocht und ſiedet ein, Braten will verbrennen“ — ſo verdirbt durch zu langes Warten und zu ſpaͤtes Eſſen der Sehr zweckmaͤßig und raͤthlich iſt es dagegen, nicht unmit- In Deutſchland pflegt man haͤufig guten Appetit zu wun- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0180" n="166"/> <p>Eine ſehr zu beherzigende Regel iſt, zum Eſſen nicht zu<lb/> ſpaͤt zu kommen, das Eſſen uͤberhaupt nie zu lange uͤber die<lb/> beſtimmte Zeit hinauszuſchieben. Abgeſehen von der dadurch<lb/> fuͤr Tiſchgaͤſte erwachſende Beleidigung und Beeintraͤchtigung,<lb/> abgeſehen ſelbſt von dem unverantwortlichen Verderben, Verko-<lb/> chen, Verbraten der Speiſen</p><lb/> <lg type="poem"> <l>— „Suppe kocht und ſiedet ein,</l><lb/> <l>Braten will verbrennen“ —</l> </lg><lb/> <p>ſo verdirbt durch zu langes Warten und zu ſpaͤtes Eſſen der<lb/> Appetit; roher Hunger ſetzt ſich an deſſen Stelle, und ſelbſt<lb/> dieſer beginnt, bei laͤnger aufgeſchobener Befriedigung, patholo-<lb/> giſch zu tendiren, in’s Krankhafte zu deflektiren, wodurch dann<lb/> die beſte Mahlzeit illuſoriſch wird. Ich weiß nicht mehr, in wel-<lb/> chem Luſtſpiele der Schulmeiſter ſagt, als er vom gnaͤdigen<lb/> Herrn zur Tafel geladen wird, er wuͤrde nicht ermangeln,<lb/> vierundzwanzig Stunden vorher zu faſten, um der zugedachten<lb/> hohen Ehre pflichtſchuldigſt und nach Moͤglichkeit nachkommen<lb/> zu koͤnnen. Es iſt nicht noͤthig, das Zweckwidrige dieſes Ver-<lb/> fahrens weiter zu eroͤrtern.</p><lb/> <p>Sehr zweckmaͤßig und raͤthlich iſt es dagegen, nicht unmit-<lb/> telbar vor Tiſch Briefe zu eroͤffnen, oder wenn man Schrift-<lb/> ſteller iſt, keine Literaturzeitungen zu leſen und dergl.</p><lb/> <p>In Deutſchland pflegt man haͤufig guten Appetit zu wun-<lb/> ſchen, ja mir wurde von einigen Wirthen ſogar „beſter Appetit“<lb/> gewuͤnſcht. Letzteres war nicht ohne Grund, welcher Grund<lb/> ſelbſt aber leider auf einer tiefen Ironie beruhte. Erſteres hat<lb/> im Allgemeinen immer etwas Freundliches und Sittliches. Wie<lb/> aber der Staatsbuͤrger je nach dem zeitweiligen Barometerſtand<lb/> ein Belobungsſchreiben oder eine Naſe, oder nach Zeit und Ort<lb/> fuͤr eine und dieſelbe Leiſtung ein Band in’s Knopfloch oder<lb/> einen Strick um den Hals acquiriren kann, — wie bei Weſt-<lb/> wind etwas zeitgemaͤß und lobenswuͤrdig iſt, welches bei Nordoſt<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [166/0180]
Eine ſehr zu beherzigende Regel iſt, zum Eſſen nicht zu
ſpaͤt zu kommen, das Eſſen uͤberhaupt nie zu lange uͤber die
beſtimmte Zeit hinauszuſchieben. Abgeſehen von der dadurch
fuͤr Tiſchgaͤſte erwachſende Beleidigung und Beeintraͤchtigung,
abgeſehen ſelbſt von dem unverantwortlichen Verderben, Verko-
chen, Verbraten der Speiſen
— „Suppe kocht und ſiedet ein,
Braten will verbrennen“ —
ſo verdirbt durch zu langes Warten und zu ſpaͤtes Eſſen der
Appetit; roher Hunger ſetzt ſich an deſſen Stelle, und ſelbſt
dieſer beginnt, bei laͤnger aufgeſchobener Befriedigung, patholo-
giſch zu tendiren, in’s Krankhafte zu deflektiren, wodurch dann
die beſte Mahlzeit illuſoriſch wird. Ich weiß nicht mehr, in wel-
chem Luſtſpiele der Schulmeiſter ſagt, als er vom gnaͤdigen
Herrn zur Tafel geladen wird, er wuͤrde nicht ermangeln,
vierundzwanzig Stunden vorher zu faſten, um der zugedachten
hohen Ehre pflichtſchuldigſt und nach Moͤglichkeit nachkommen
zu koͤnnen. Es iſt nicht noͤthig, das Zweckwidrige dieſes Ver-
fahrens weiter zu eroͤrtern.
Sehr zweckmaͤßig und raͤthlich iſt es dagegen, nicht unmit-
telbar vor Tiſch Briefe zu eroͤffnen, oder wenn man Schrift-
ſteller iſt, keine Literaturzeitungen zu leſen und dergl.
In Deutſchland pflegt man haͤufig guten Appetit zu wun-
ſchen, ja mir wurde von einigen Wirthen ſogar „beſter Appetit“
gewuͤnſcht. Letzteres war nicht ohne Grund, welcher Grund
ſelbſt aber leider auf einer tiefen Ironie beruhte. Erſteres hat
im Allgemeinen immer etwas Freundliches und Sittliches. Wie
aber der Staatsbuͤrger je nach dem zeitweiligen Barometerſtand
ein Belobungsſchreiben oder eine Naſe, oder nach Zeit und Ort
fuͤr eine und dieſelbe Leiſtung ein Band in’s Knopfloch oder
einen Strick um den Hals acquiriren kann, — wie bei Weſt-
wind etwas zeitgemaͤß und lobenswuͤrdig iſt, welches bei Nordoſt
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