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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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das Butterbrod. Diesem schließt sich Honigbrod an. -- Ge-
steigert in seiner Qualität fühlt man solchen einfachen Gegen-
satz, wenn man gut ausgebacknes schwarzes Brod oder geröstete
Semmelscheiben und warmes Mark aus einem tüchtigen, so
eben der kochenden Brühe enthobenen Rindsröhrenknochen mit
etwas Salz darauf verspeist. Avicenna räth es zu pfeffern.
Dadurch wird jedoch der zarte Geschmack zu sehr überschrieen.

Ein weiteres Beispiel dieses einfachen Gegensatzes auf erster
Stufe giebt das schon benannte Huhn im Reis. Auch Nudeln
bilden dazu eine passende Antithese.

Eine dampfende Kartoffel ist etwas sehr Gutes. Aber ihre
spröde Trockenheit wird nicht nur durch zugegebene Butter oder
Gänsefett auf das Mildeste supplirt und ameliorirt, sondern
auch damit der entsprechendste animalische Gegensatz gesetzt.

Bei Goethe's Götz von Berlichingen giebt's gekochte
weiße Rüben und Lammsbraten; -- eine Verbindung, welche
von der tiefen Einsicht des Dichters auch in dieses Fach Kunde
giebt. Denn nicht nur harmonirt die charakteristische Eigen-
thümlichkeit des Lammsbratens überhaupt mit den milden Rü-
ben, sondern es kommt noch das Temperaturverhältniß in Be-
tracht. Es heißt nämlich: "gekochte weiße Rüben" -- also ist
von Warmem die Rede, und in der That duldet gerade Lamms-
braten von allen Braten am wenigsten kalte Gegensätze, worauf
schon dessen Geneigtheit zur Gerinnung und Erstarrung seines
Fettes hindeutet.

Wer jemals eine gute Krautwurst gegessen, wird wahrge-
nommen haben, wie harmonisch verklärt diese die fragliche Idee
in sich verschlossen trägt.

Es ist aber durchaus nicht der gemeine Nutzen, welcher
diese Gegensätze hervorruft. Denn warum gäbe man einem
gebratenen Spanferkel einen Apfel oder eine Citrone in's Maul?
-- Schon der liebenswürdige Anblick rechtfertigt es. Es hat
aber auch noch tiefere Gründe. Manchmal zeigt sich eine be-

das Butterbrod. Dieſem ſchließt ſich Honigbrod an. — Ge-
ſteigert in ſeiner Qualitaͤt fuͤhlt man ſolchen einfachen Gegen-
ſatz, wenn man gut ausgebacknes ſchwarzes Brod oder geroͤſtete
Semmelſcheiben und warmes Mark aus einem tuͤchtigen, ſo
eben der kochenden Bruͤhe enthobenen Rindsroͤhrenknochen mit
etwas Salz darauf verſpeiſt. Avicenna raͤth es zu pfeffern.
Dadurch wird jedoch der zarte Geſchmack zu ſehr uͤberſchrieen.

Ein weiteres Beiſpiel dieſes einfachen Gegenſatzes auf erſter
Stufe giebt das ſchon benannte Huhn im Reis. Auch Nudeln
bilden dazu eine paſſende Antitheſe.

Eine dampfende Kartoffel iſt etwas ſehr Gutes. Aber ihre
ſproͤde Trockenheit wird nicht nur durch zugegebene Butter oder
Gaͤnſefett auf das Mildeſte ſupplirt und ameliorirt, ſondern
auch damit der entſprechendſte animaliſche Gegenſatz geſetzt.

Bei Goethe’s Goͤtz von Berlichingen giebt’s gekochte
weiße Ruͤben und Lammsbraten; — eine Verbindung, welche
von der tiefen Einſicht des Dichters auch in dieſes Fach Kunde
giebt. Denn nicht nur harmonirt die charakteriſtiſche Eigen-
thuͤmlichkeit des Lammsbratens uͤberhaupt mit den milden Ruͤ-
ben, ſondern es kommt noch das Temperaturverhaͤltniß in Be-
tracht. Es heißt naͤmlich: „gekochte weiße Ruͤben“ — alſo iſt
von Warmem die Rede, und in der That duldet gerade Lamms-
braten von allen Braten am wenigſten kalte Gegenſaͤtze, worauf
ſchon deſſen Geneigtheit zur Gerinnung und Erſtarrung ſeines
Fettes hindeutet.

Wer jemals eine gute Krautwurſt gegeſſen, wird wahrge-
nommen haben, wie harmoniſch verklaͤrt dieſe die fragliche Idee
in ſich verſchloſſen traͤgt.

Es iſt aber durchaus nicht der gemeine Nutzen, welcher
dieſe Gegenſaͤtze hervorruft. Denn warum gaͤbe man einem
gebratenen Spanferkel einen Apfel oder eine Citrone in’s Maul?
— Schon der liebenswuͤrdige Anblick rechtfertigt es. Es hat
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[151/0165] das Butterbrod. Dieſem ſchließt ſich Honigbrod an. — Ge- ſteigert in ſeiner Qualitaͤt fuͤhlt man ſolchen einfachen Gegen- ſatz, wenn man gut ausgebacknes ſchwarzes Brod oder geroͤſtete Semmelſcheiben und warmes Mark aus einem tuͤchtigen, ſo eben der kochenden Bruͤhe enthobenen Rindsroͤhrenknochen mit etwas Salz darauf verſpeiſt. Avicenna raͤth es zu pfeffern. Dadurch wird jedoch der zarte Geſchmack zu ſehr uͤberſchrieen. Ein weiteres Beiſpiel dieſes einfachen Gegenſatzes auf erſter Stufe giebt das ſchon benannte Huhn im Reis. Auch Nudeln bilden dazu eine paſſende Antitheſe. Eine dampfende Kartoffel iſt etwas ſehr Gutes. Aber ihre ſproͤde Trockenheit wird nicht nur durch zugegebene Butter oder Gaͤnſefett auf das Mildeſte ſupplirt und ameliorirt, ſondern auch damit der entſprechendſte animaliſche Gegenſatz geſetzt. Bei Goethe’s Goͤtz von Berlichingen giebt’s gekochte weiße Ruͤben und Lammsbraten; — eine Verbindung, welche von der tiefen Einſicht des Dichters auch in dieſes Fach Kunde giebt. Denn nicht nur harmonirt die charakteriſtiſche Eigen- thuͤmlichkeit des Lammsbratens uͤberhaupt mit den milden Ruͤ- ben, ſondern es kommt noch das Temperaturverhaͤltniß in Be- tracht. Es heißt naͤmlich: „gekochte weiße Ruͤben“ — alſo iſt von Warmem die Rede, und in der That duldet gerade Lamms- braten von allen Braten am wenigſten kalte Gegenſaͤtze, worauf ſchon deſſen Geneigtheit zur Gerinnung und Erſtarrung ſeines Fettes hindeutet. Wer jemals eine gute Krautwurſt gegeſſen, wird wahrge- nommen haben, wie harmoniſch verklaͤrt dieſe die fragliche Idee in ſich verſchloſſen traͤgt. Es iſt aber durchaus nicht der gemeine Nutzen, welcher dieſe Gegenſaͤtze hervorruft. Denn warum gaͤbe man einem gebratenen Spanferkel einen Apfel oder eine Citrone in’s Maul? — Schon der liebenswuͤrdige Anblick rechtfertigt es. Es hat aber auch noch tiefere Gruͤnde. Manchmal zeigt ſich eine be-

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/165>, abgerufen am 24.11.2024.