denn, was man zu viel oder zu wenig in sich hat? und warum sollte man denn, wenn man z. B. fromm ist, durch Fastenspeisen, Mandelmilch und Eibischthee sich nicht noch frömmer, -- wenn man tapfer ist, durch Roastbeef und Burgunder nicht noch tapferer machen dürfen? Es läuft denn doch das Ganze auf das vage: "zu viel ist ungesund" hinaus.
Näher kommen wir der Sache durch Darwin, welcher sagt: Fleischdiät und Pflanzenkost sind beides die natürliche Nahrung für den Menschen, und Hildebrandt, welcher die Speisen definirt, als solche thierische und vegetabilische Mate- rien, welche dazu dienen, unsere thierische Materie zu ersetzen.
Also soll man Fleisch essen?
Die gewichtigen Auktoritäten Broussonet, Buffon, Haller, Blumenbach, Hunter, Humboldt, Tiedemann sind dafür. Die obscuren Cocchi und Wallis, so wie der paradoxe Rousseau, der von der Sache nichts verstand, reden der ausschließlichen Pflanzennahrung das Wort. Auch Hufe- land ist sehr für vegetabilische Nahrung und führt eclatante Beispiele langlebender Vegetabilienesser an, welche meistens von Milch und Käse lebten. -- Wenn man Wildpret hat, kann man noch leichter auf Fleisch verzichten. Helvetius, Tyson, Andry, Arbuthnot und Bianchi dagegen wollen, man solle ein absoluter Carnivor sein.
Es ist nicht zu widersprechen, daß Fleisch eine gröbere, derbere Speise ist, durch welche der feinern Empfindlichkeit der Nerven ein gewisser Gegensatz gegeben, ja auch wohl selbst Ab- bruch gethan wird. Der problematische Caspar Hauser zeigte, welche enorme abnorme Nervenreizbarkeit durch bloße pflanz- liche Nahrung etc. bewirkt werden kann. Ich selbst litt einst an einer heftigen Lugenentzündung, welche wiederholte beträchtliche Blutentziehungen nöthig machte. Zehn Tage lang aß ich gar nichts und weitere vierzehn Tage blos Wassersuppen oder Reis, Gerste, Sago etc. in Wasser gekocht und zwar täglich nur einen
denn, was man zu viel oder zu wenig in ſich hat? und warum ſollte man denn, wenn man z. B. fromm iſt, durch Faſtenſpeiſen, Mandelmilch und Eibiſchthee ſich nicht noch froͤmmer, — wenn man tapfer iſt, durch Roaſtbeef und Burgunder nicht noch tapferer machen duͤrfen? Es laͤuft denn doch das Ganze auf das vage: „zu viel iſt ungeſund“ hinaus.
Naͤher kommen wir der Sache durch Darwin, welcher ſagt: Fleiſchdiaͤt und Pflanzenkoſt ſind beides die natuͤrliche Nahrung fuͤr den Menſchen, und Hildebrandt, welcher die Speiſen definirt, als ſolche thieriſche und vegetabiliſche Mate- rien, welche dazu dienen, unſere thieriſche Materie zu erſetzen.
Alſo ſoll man Fleiſch eſſen?
Die gewichtigen Auktoritaͤten Brouſſonet, Buffon, Haller, Blumenbach, Hunter, Humboldt, Tiedemann ſind dafuͤr. Die obſcuren Cocchi und Wallis, ſo wie der paradoxe Rouſſeau, der von der Sache nichts verſtand, reden der ausſchließlichen Pflanzennahrung das Wort. Auch Hufe- land iſt ſehr fuͤr vegetabiliſche Nahrung und fuͤhrt eclatante Beiſpiele langlebender Vegetabilieneſſer an, welche meiſtens von Milch und Kaͤſe lebten. — Wenn man Wildpret hat, kann man noch leichter auf Fleiſch verzichten. Helvetius, Tyſon, Andry, Arbuthnot und Bianchi dagegen wollen, man ſolle ein abſoluter Carnivor ſein.
Es iſt nicht zu widerſprechen, daß Fleiſch eine groͤbere, derbere Speiſe iſt, durch welche der feinern Empfindlichkeit der Nerven ein gewiſſer Gegenſatz gegeben, ja auch wohl ſelbſt Ab- bruch gethan wird. Der problematiſche Caspar Hauſer zeigte, welche enorme abnorme Nervenreizbarkeit durch bloße pflanz- liche Nahrung ꝛc. bewirkt werden kann. Ich ſelbſt litt einſt an einer heftigen Lugenentzuͤndung, welche wiederholte betraͤchtliche Blutentziehungen noͤthig machte. Zehn Tage lang aß ich gar nichts und weitere vierzehn Tage blos Waſſerſuppen oder Reis, Gerſte, Sago ꝛc. in Waſſer gekocht und zwar taͤglich nur einen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0160"n="146"/>
denn, was man zu viel oder zu wenig in ſich hat? und warum<lb/>ſollte man denn, wenn man z. B. fromm iſt, durch Faſtenſpeiſen,<lb/>
Mandelmilch und Eibiſchthee ſich nicht noch froͤmmer, — wenn<lb/>
man tapfer iſt, durch Roaſtbeef und Burgunder nicht noch<lb/>
tapferer machen duͤrfen? Es laͤuft denn doch das Ganze auf das<lb/>
vage: „zu viel iſt ungeſund“ hinaus.</p><lb/><p>Naͤher kommen wir der Sache durch <hirendition="#g">Darwin</hi>, welcher<lb/>ſagt: Fleiſchdiaͤt und Pflanzenkoſt ſind beides die natuͤrliche<lb/>
Nahrung fuͤr den Menſchen, und <hirendition="#g">Hildebrandt</hi>, welcher die<lb/>
Speiſen definirt, als ſolche thieriſche und vegetabiliſche Mate-<lb/>
rien, welche dazu dienen, unſere thieriſche Materie zu erſetzen.</p><lb/><p>Alſo ſoll man Fleiſch eſſen?</p><lb/><p>Die gewichtigen Auktoritaͤten <hirendition="#g">Brouſſonet, Buffon,<lb/>
Haller, Blumenbach, Hunter, Humboldt, Tiedemann</hi><lb/>ſind dafuͤr. Die obſcuren <hirendition="#g">Cocchi</hi> und <hirendition="#g">Wallis</hi>, ſo wie der<lb/>
paradoxe <hirendition="#g">Rouſſeau</hi>, der von der Sache nichts verſtand, reden<lb/>
der ausſchließlichen Pflanzennahrung das Wort. Auch <hirendition="#g">Hufe-<lb/>
land</hi> iſt ſehr fuͤr vegetabiliſche Nahrung und fuͤhrt eclatante<lb/>
Beiſpiele langlebender Vegetabilieneſſer an, welche meiſtens<lb/>
von Milch und Kaͤſe lebten. — Wenn man Wildpret hat, kann<lb/>
man noch leichter auf Fleiſch verzichten. <hirendition="#g">Helvetius, Tyſon,<lb/>
Andry, Arbuthnot</hi> und <hirendition="#g">Bianchi</hi> dagegen wollen, man ſolle<lb/>
ein abſoluter Carnivor ſein.</p><lb/><p>Es iſt nicht zu widerſprechen, daß Fleiſch eine groͤbere,<lb/>
derbere Speiſe iſt, durch welche der feinern Empfindlichkeit der<lb/>
Nerven ein gewiſſer Gegenſatz gegeben, ja auch wohl ſelbſt Ab-<lb/>
bruch gethan wird. Der problematiſche <hirendition="#g">Caspar Hauſer</hi> zeigte,<lb/>
welche enorme abnorme Nervenreizbarkeit durch bloße pflanz-<lb/>
liche Nahrung ꝛc. bewirkt werden kann. Ich ſelbſt litt einſt an<lb/>
einer heftigen Lugenentzuͤndung, welche wiederholte betraͤchtliche<lb/>
Blutentziehungen noͤthig machte. Zehn Tage lang aß ich gar<lb/>
nichts und weitere vierzehn Tage blos Waſſerſuppen oder Reis,<lb/>
Gerſte, Sago ꝛc. in Waſſer gekocht und zwar taͤglich nur einen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[146/0160]
denn, was man zu viel oder zu wenig in ſich hat? und warum
ſollte man denn, wenn man z. B. fromm iſt, durch Faſtenſpeiſen,
Mandelmilch und Eibiſchthee ſich nicht noch froͤmmer, — wenn
man tapfer iſt, durch Roaſtbeef und Burgunder nicht noch
tapferer machen duͤrfen? Es laͤuft denn doch das Ganze auf das
vage: „zu viel iſt ungeſund“ hinaus.
Naͤher kommen wir der Sache durch Darwin, welcher
ſagt: Fleiſchdiaͤt und Pflanzenkoſt ſind beides die natuͤrliche
Nahrung fuͤr den Menſchen, und Hildebrandt, welcher die
Speiſen definirt, als ſolche thieriſche und vegetabiliſche Mate-
rien, welche dazu dienen, unſere thieriſche Materie zu erſetzen.
Alſo ſoll man Fleiſch eſſen?
Die gewichtigen Auktoritaͤten Brouſſonet, Buffon,
Haller, Blumenbach, Hunter, Humboldt, Tiedemann
ſind dafuͤr. Die obſcuren Cocchi und Wallis, ſo wie der
paradoxe Rouſſeau, der von der Sache nichts verſtand, reden
der ausſchließlichen Pflanzennahrung das Wort. Auch Hufe-
land iſt ſehr fuͤr vegetabiliſche Nahrung und fuͤhrt eclatante
Beiſpiele langlebender Vegetabilieneſſer an, welche meiſtens
von Milch und Kaͤſe lebten. — Wenn man Wildpret hat, kann
man noch leichter auf Fleiſch verzichten. Helvetius, Tyſon,
Andry, Arbuthnot und Bianchi dagegen wollen, man ſolle
ein abſoluter Carnivor ſein.
Es iſt nicht zu widerſprechen, daß Fleiſch eine groͤbere,
derbere Speiſe iſt, durch welche der feinern Empfindlichkeit der
Nerven ein gewiſſer Gegenſatz gegeben, ja auch wohl ſelbſt Ab-
bruch gethan wird. Der problematiſche Caspar Hauſer zeigte,
welche enorme abnorme Nervenreizbarkeit durch bloße pflanz-
liche Nahrung ꝛc. bewirkt werden kann. Ich ſelbſt litt einſt an
einer heftigen Lugenentzuͤndung, welche wiederholte betraͤchtliche
Blutentziehungen noͤthig machte. Zehn Tage lang aß ich gar
nichts und weitere vierzehn Tage blos Waſſerſuppen oder Reis,
Gerſte, Sago ꝛc. in Waſſer gekocht und zwar taͤglich nur einen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/160>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.