Als ich noch keine Vorlesungen hielt, sondern hörte, hatte ich kein bestimmtes Prinzip, und hörte alles Mögliche mit- und durcheinander. Schelling's Methode des akademischen Stu- dium war damals noch nicht erschienen, auch Goethe's Me- phistopheles hatte sich noch nicht hierüber vernehmen lassen, und so blieb nichts übrig, als durch Schaden klug zu werden; Schade nur, daß Letzteres nicht immer auf Ersteres folgte. Ich glaubte, ehe ich mich für eine bestimmte Fakultät oder einzelne Abtheilung einer Fakultät entschied, erst sämmtliche prüfen zu müssen; wobei jedoch eine zu große Hörbegierde eher hinderlich als förderlich war. Ich erwähne nun zuvörderst, was mir aus jenen verschiedenen Vorlesungen auf die Eßkunst Bezügliches gerade beifällt.
Die philosophischen Collegia überhaupt schienen mir wenig genießbar, und ergaben eine rein negative Ausbeute; nicht ein- mal in der Aesthetik, der Geschmackslehre, war von Eßkunst die Rede. Sonderbar kam mir's vor, Moral hören zu sollen. Das wußte ich alles so unmittelbar und besser in mir selber, als mir es irgend ein Fremder sagen konnte. Als ich aber vor meinem Abgang auf die Universität in meiner Vaterstadt einer alten sehr werthgeschätzten Frau Base eine gebührende über Gebühr rührende Abschiedsvisite gemacht, übermachte mir die Gütige mehrere Stücke liebenswürdig blinkender Ducaten, mit dem Ansinnen, Sonntags nach der Kirche ein Glas Wein zu
Siebente Vorleſung. Prinzip der Eßkunst.
Als ich noch keine Vorleſungen hielt, ſondern hoͤrte, hatte ich kein beſtimmtes Prinzip, und hoͤrte alles Moͤgliche mit- und durcheinander. Schelling’s Methode des akademiſchen Stu- dium war damals noch nicht erſchienen, auch Goethe’s Me- phiſtopheles hatte ſich noch nicht hieruͤber vernehmen laſſen, und ſo blieb nichts uͤbrig, als durch Schaden klug zu werden; Schade nur, daß Letzteres nicht immer auf Erſteres folgte. Ich glaubte, ehe ich mich fuͤr eine beſtimmte Fakultaͤt oder einzelne Abtheilung einer Fakultaͤt entſchied, erſt ſaͤmmtliche pruͤfen zu muͤſſen; wobei jedoch eine zu große Hoͤrbegierde eher hinderlich als foͤrderlich war. Ich erwaͤhne nun zuvoͤrderſt, was mir aus jenen verſchiedenen Vorleſungen auf die Eßkunſt Bezuͤgliches gerade beifaͤllt.
Die philoſophiſchen Collegia uͤberhaupt ſchienen mir wenig genießbar, und ergaben eine rein negative Ausbeute; nicht ein- mal in der Aeſthetik, der Geſchmackslehre, war von Eßkunſt die Rede. Sonderbar kam mir’s vor, Moral hoͤren zu ſollen. Das wußte ich alles ſo unmittelbar und beſſer in mir ſelber, als mir es irgend ein Fremder ſagen konnte. Als ich aber vor meinem Abgang auf die Univerſitaͤt in meiner Vaterſtadt einer alten ſehr werthgeſchaͤtzten Frau Baſe eine gebuͤhrende uͤber Gebuͤhr ruͤhrende Abſchiedsviſite gemacht, uͤbermachte mir die Guͤtige mehrere Stuͤcke liebenswuͤrdig blinkender Ducaten, mit dem Anſinnen, Sonntags nach der Kirche ein Glas Wein zu
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Siebente Vorleſung.
Prinzip der Eßkunst.
Als ich noch keine Vorleſungen hielt, ſondern hoͤrte, hatte ich
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durcheinander. Schelling’s Methode des akademiſchen Stu-
dium war damals noch nicht erſchienen, auch Goethe’s Me-
phiſtopheles hatte ſich noch nicht hieruͤber vernehmen laſſen, und
ſo blieb nichts uͤbrig, als durch Schaden klug zu werden;
Schade nur, daß Letzteres nicht immer auf Erſteres folgte. Ich
glaubte, ehe ich mich fuͤr eine beſtimmte Fakultaͤt oder einzelne
Abtheilung einer Fakultaͤt entſchied, erſt ſaͤmmtliche pruͤfen zu
muͤſſen; wobei jedoch eine zu große Hoͤrbegierde eher hinderlich
als foͤrderlich war. Ich erwaͤhne nun zuvoͤrderſt, was mir aus
jenen verſchiedenen Vorleſungen auf die Eßkunſt Bezuͤgliches
gerade beifaͤllt.
Die philoſophiſchen Collegia uͤberhaupt ſchienen mir wenig
genießbar, und ergaben eine rein negative Ausbeute; nicht ein-
mal in der Aeſthetik, der Geſchmackslehre, war von Eßkunſt
die Rede. Sonderbar kam mir’s vor, Moral hoͤren zu ſollen.
Das wußte ich alles ſo unmittelbar und beſſer in mir ſelber,
als mir es irgend ein Fremder ſagen konnte. Als ich aber vor
meinem Abgang auf die Univerſitaͤt in meiner Vaterſtadt einer
alten ſehr werthgeſchaͤtzten Frau Baſe eine gebuͤhrende uͤber
Gebuͤhr ruͤhrende Abſchiedsviſite gemacht, uͤbermachte mir die
Guͤtige mehrere Stuͤcke liebenswuͤrdig blinkender Ducaten, mit
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. [139]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/153>, abgerufen am 16.02.2025.
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