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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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nicht vielmehr vermuthen, daß er eben dadurch geübt und aus-
gebildet werde? Gewöhnlich kann man die ersten Male, als
man gewisse Speisen ißt, z. B. Trüffeln, Austern, denselben kei-
nen Geschmack abgewinnen; man entdeckt und unterscheidet erst
nach wiederholtem Genusse die eigenen Geschmackstheile dersel-
ben. Kann man behaupten, daß unsere Wirthe und Köche,
unsere Leckermäuler und Weinkoster einen stumpfern Geschmack
haben, als ein Wilder, der eine uns schmacklose Wurzel eben
so gut unterscheidet, wie wir unsere Gartengewächse unterschei-
den? Zeigen uns nicht die vielfältigen unglücklichen Vergiftun-
gen durch den Schierling, die Tollkirsche, die Giftschwämme
u. dergl., daß der Geschmack der nüchternen Landleute nicht
sicherer ist, als jener üppigen Städter?"

Ich frage weiter: sind Trüffeln und Austern einem guten
Geschmack nicht förderlicher als Zwiebeln und Knoblauch? wird
eine gebildete Zunge den widrigen Schierling, das ekelhafte
Bilsenkraut, die gallbittere Brechnuß und andere Gifte über
sich selber bringen können? oder wird ein Ungebildeter, der gar
nicht weiß, was wohlschmeckt, der gewohnt ist, schlechtes Zeug
zu essen, zu schlucken ohne zu schmecken, von dem man also
sagen kann, er sei von schlechtem Zeug abgestumpft, er sei so
sehr ans Schlechte gewöhnt und dadurch verwöhnt, daß er
stumpf gegen das Gute wurde, -- wird ein solcher, ungewarnt
von dem unschönen Geschmack, nicht weit eher Gefahr laufen,
damit vergiftet zu werden? Selbst die er- und verkünstelte
metallische Süßlichkeit des Arseniks, versüßten Quecksilbers, des
Bleizuckers etc., die eine ungeübte Zunge leicht für Kochzucker
nehmen könnte, wird von dem feingebildeten Eßkünstler leicht
erkannt und perhorreszirt werden. Somit liegt in der Eßkunst
gerade eine Bürgschaft gegen Vergiftung. Auch läßt sich vor-
aussetzen, daß der Eßkünstler, welcher die Natur zunächst vom
Gesichtspunkte des Genießbaren und Ungenießbaren zu betrach-
ten gewohnt ist, eher mit den bezüglichen botanischen und toxi-

nicht vielmehr vermuthen, daß er eben dadurch geuͤbt und aus-
gebildet werde? Gewoͤhnlich kann man die erſten Male, als
man gewiſſe Speiſen ißt, z. B. Truͤffeln, Auſtern, denſelben kei-
nen Geſchmack abgewinnen; man entdeckt und unterſcheidet erſt
nach wiederholtem Genuſſe die eigenen Geſchmackstheile derſel-
ben. Kann man behaupten, daß unſere Wirthe und Koͤche,
unſere Leckermaͤuler und Weinkoſter einen ſtumpfern Geſchmack
haben, als ein Wilder, der eine uns ſchmackloſe Wurzel eben
ſo gut unterſcheidet, wie wir unſere Gartengewaͤchſe unterſchei-
den? Zeigen uns nicht die vielfaͤltigen ungluͤcklichen Vergiftun-
gen durch den Schierling, die Tollkirſche, die Giftſchwaͤmme
u. dergl., daß der Geſchmack der nuͤchternen Landleute nicht
ſicherer iſt, als jener uͤppigen Staͤdter?“

Ich frage weiter: ſind Truͤffeln und Auſtern einem guten
Geſchmack nicht foͤrderlicher als Zwiebeln und Knoblauch? wird
eine gebildete Zunge den widrigen Schierling, das ekelhafte
Bilſenkraut, die gallbittere Brechnuß und andere Gifte uͤber
ſich ſelber bringen koͤnnen? oder wird ein Ungebildeter, der gar
nicht weiß, was wohlſchmeckt, der gewohnt iſt, ſchlechtes Zeug
zu eſſen, zu ſchlucken ohne zu ſchmecken, von dem man alſo
ſagen kann, er ſei von ſchlechtem Zeug abgeſtumpft, er ſei ſo
ſehr ans Schlechte gewoͤhnt und dadurch verwoͤhnt, daß er
ſtumpf gegen das Gute wurde, — wird ein ſolcher, ungewarnt
von dem unſchoͤnen Geſchmack, nicht weit eher Gefahr laufen,
damit vergiftet zu werden? Selbſt die er- und verkuͤnſtelte
metalliſche Suͤßlichkeit des Arſeniks, verſuͤßten Queckſilbers, des
Bleizuckers ꝛc., die eine ungeuͤbte Zunge leicht fuͤr Kochzucker
nehmen koͤnnte, wird von dem feingebildeten Eßkuͤnſtler leicht
erkannt und perhorreszirt werden. Somit liegt in der Eßkunſt
gerade eine Buͤrgſchaft gegen Vergiftung. Auch laͤßt ſich vor-
ausſetzen, daß der Eßkuͤnſtler, welcher die Natur zunaͤchſt vom
Geſichtspunkte des Genießbaren und Ungenießbaren zu betrach-
ten gewohnt iſt, eher mit den bezuͤglichen botaniſchen und toxi-

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[127/0141] nicht vielmehr vermuthen, daß er eben dadurch geuͤbt und aus- gebildet werde? Gewoͤhnlich kann man die erſten Male, als man gewiſſe Speiſen ißt, z. B. Truͤffeln, Auſtern, denſelben kei- nen Geſchmack abgewinnen; man entdeckt und unterſcheidet erſt nach wiederholtem Genuſſe die eigenen Geſchmackstheile derſel- ben. Kann man behaupten, daß unſere Wirthe und Koͤche, unſere Leckermaͤuler und Weinkoſter einen ſtumpfern Geſchmack haben, als ein Wilder, der eine uns ſchmackloſe Wurzel eben ſo gut unterſcheidet, wie wir unſere Gartengewaͤchſe unterſchei- den? Zeigen uns nicht die vielfaͤltigen ungluͤcklichen Vergiftun- gen durch den Schierling, die Tollkirſche, die Giftſchwaͤmme u. dergl., daß der Geſchmack der nuͤchternen Landleute nicht ſicherer iſt, als jener uͤppigen Staͤdter?“ Ich frage weiter: ſind Truͤffeln und Auſtern einem guten Geſchmack nicht foͤrderlicher als Zwiebeln und Knoblauch? wird eine gebildete Zunge den widrigen Schierling, das ekelhafte Bilſenkraut, die gallbittere Brechnuß und andere Gifte uͤber ſich ſelber bringen koͤnnen? oder wird ein Ungebildeter, der gar nicht weiß, was wohlſchmeckt, der gewohnt iſt, ſchlechtes Zeug zu eſſen, zu ſchlucken ohne zu ſchmecken, von dem man alſo ſagen kann, er ſei von ſchlechtem Zeug abgeſtumpft, er ſei ſo ſehr ans Schlechte gewoͤhnt und dadurch verwoͤhnt, daß er ſtumpf gegen das Gute wurde, — wird ein ſolcher, ungewarnt von dem unſchoͤnen Geſchmack, nicht weit eher Gefahr laufen, damit vergiftet zu werden? Selbſt die er- und verkuͤnſtelte metalliſche Suͤßlichkeit des Arſeniks, verſuͤßten Queckſilbers, des Bleizuckers ꝛc., die eine ungeuͤbte Zunge leicht fuͤr Kochzucker nehmen koͤnnte, wird von dem feingebildeten Eßkuͤnſtler leicht erkannt und perhorreszirt werden. Somit liegt in der Eßkunſt gerade eine Buͤrgſchaft gegen Vergiftung. Auch laͤßt ſich vor- ausſetzen, daß der Eßkuͤnſtler, welcher die Natur zunaͤchſt vom Geſichtspunkte des Genießbaren und Ungenießbaren zu betrach- ten gewohnt iſt, eher mit den bezuͤglichen botaniſchen und toxi-

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/141>, abgerufen am 22.11.2024.