wegung der Gedärme, und dadurch die Verdauung befördern, -- und Johann Jacob Wagner lehrt: "Daß gemeinsame Mahl- zeiten bei allen Völkern und zu allen Zeiten als ein Menschen verbindendes Mittel angesehen worden sind, hat seinen tiefen Grund in der menschlichen Natur selbst, als welche aus Himm- lischen und Irdischen zu schöner Verschmelzung beider Elemente gemischt den Genuß der Speise über die thierische Form hinaus- heben und durch Einwebung gemüthlichen und geistigen Lebens veredeln will. Haben ja Manche von der Hoheit der Menschen- natur tief ergriffen, unter der Form des Tischgebets sogar reli- giöses Leben hineinzubringen gesucht, und Philosophen der Vor- zeit haben die schönsten Aufgaben ihrer wissenschaftlichen Dar- stellung unter der Form eines Gastmahles der Speisen lösen zu können geglaubt. Wenn nun die Vermenschlichung des Ge- nusses der Speisen in der That an eine Gemeinheit der Spei- senden gebunden erscheint, so ist auch die Mahlzeit selbst eine Ruhezeit von den Mühseligkeiten des Lebens, also ein festlicher Punkt im Leben, und die Labung, welche hier dem Leibe durch Speise und Trank widerfährt, bringt auch von selbst eine zur Mittheilung im Wechselgespräche geneigte Stimmung in das Gemüth etc. etc."
Ohne daß hiergegen das Mindeste eingewendet sein soll, wird der Eßkünstler immer das Essen selbst als Haupt-, das Reden aber als Nebensache betrachten.
Von wie viel Seiten aber eine und dieselbe Sache betrach- tet werden kann, beweist noch der Oheim in den Wanderjahren, welcher behauptet: keine Erfindung des Jahrhunderts verdiene mehr Bewunderung, als daß man in Gasthäusern, an besonde- ren kleinen Tischchen nach der Charte speisen könne, und sobald er dieß gewahr geworden, es auch für sich und Andere in seiner Familie einzuführen suchte. Im besten Humor mochte er gern die Schrecknisse eines Familientisches lebhaft schildern, wo jedes Glied mit fremden Gedanken beschäftigt sich niedersetzt, ungern
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wegung der Gedaͤrme, und dadurch die Verdauung befoͤrdern, — und Johann Jacob Wagner lehrt: „Daß gemeinſame Mahl- zeiten bei allen Voͤlkern und zu allen Zeiten als ein Menſchen verbindendes Mittel angeſehen worden ſind, hat ſeinen tiefen Grund in der menſchlichen Natur ſelbſt, als welche aus Himm- liſchen und Irdiſchen zu ſchoͤner Verſchmelzung beider Elemente gemiſcht den Genuß der Speiſe uͤber die thieriſche Form hinaus- heben und durch Einwebung gemuͤthlichen und geiſtigen Lebens veredeln will. Haben ja Manche von der Hoheit der Menſchen- natur tief ergriffen, unter der Form des Tiſchgebets ſogar reli- gioͤſes Leben hineinzubringen geſucht, und Philoſophen der Vor- zeit haben die ſchoͤnſten Aufgaben ihrer wiſſenſchaftlichen Dar- ſtellung unter der Form eines Gaſtmahles der Speiſen loͤſen zu koͤnnen geglaubt. Wenn nun die Vermenſchlichung des Ge- nuſſes der Speiſen in der That an eine Gemeinheit der Spei- ſenden gebunden erſcheint, ſo iſt auch die Mahlzeit ſelbſt eine Ruhezeit von den Muͤhſeligkeiten des Lebens, alſo ein feſtlicher Punkt im Leben, und die Labung, welche hier dem Leibe durch Speiſe und Trank widerfaͤhrt, bringt auch von ſelbſt eine zur Mittheilung im Wechſelgeſpraͤche geneigte Stimmung in das Gemuͤth ꝛc. ꝛc.“
Ohne daß hiergegen das Mindeſte eingewendet ſein ſoll, wird der Eßkuͤnſtler immer das Eſſen ſelbſt als Haupt-, das Reden aber als Nebenſache betrachten.
Von wie viel Seiten aber eine und dieſelbe Sache betrach- tet werden kann, beweiſt noch der Oheim in den Wanderjahren, welcher behauptet: keine Erfindung des Jahrhunderts verdiene mehr Bewunderung, als daß man in Gaſthaͤuſern, an beſonde- ren kleinen Tiſchchen nach der Charte ſpeiſen koͤnne, und ſobald er dieß gewahr geworden, es auch fuͤr ſich und Andere in ſeiner Familie einzufuͤhren ſuchte. Im beſten Humor mochte er gern die Schreckniſſe eines Familientiſches lebhaft ſchildern, wo jedes Glied mit fremden Gedanken beſchaͤftigt ſich niederſetzt, ungern
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wegung der Gedaͤrme, und dadurch die Verdauung befoͤrdern, —
und Johann Jacob Wagner lehrt: „Daß gemeinſame Mahl-
zeiten bei allen Voͤlkern und zu allen Zeiten als ein Menſchen
verbindendes Mittel angeſehen worden ſind, hat ſeinen tiefen
Grund in der menſchlichen Natur ſelbſt, als welche aus Himm-
liſchen und Irdiſchen zu ſchoͤner Verſchmelzung beider Elemente
gemiſcht den Genuß der Speiſe uͤber die thieriſche Form hinaus-
heben und durch Einwebung gemuͤthlichen und geiſtigen Lebens
veredeln will. Haben ja Manche von der Hoheit der Menſchen-
natur tief ergriffen, unter der Form des Tiſchgebets ſogar reli-
gioͤſes Leben hineinzubringen geſucht, und Philoſophen der Vor-
zeit haben die ſchoͤnſten Aufgaben ihrer wiſſenſchaftlichen Dar-
ſtellung unter der Form eines Gaſtmahles der Speiſen loͤſen zu
koͤnnen geglaubt. Wenn nun die Vermenſchlichung des Ge-
nuſſes der Speiſen in der That an eine Gemeinheit der Spei-
ſenden gebunden erſcheint, ſo iſt auch die Mahlzeit ſelbſt eine
Ruhezeit von den Muͤhſeligkeiten des Lebens, alſo ein feſtlicher
Punkt im Leben, und die Labung, welche hier dem Leibe durch
Speiſe und Trank widerfaͤhrt, bringt auch von ſelbſt eine zur
Mittheilung im Wechſelgeſpraͤche geneigte Stimmung in das
Gemuͤth ꝛc. ꝛc.“
Ohne daß hiergegen das Mindeſte eingewendet ſein ſoll,
wird der Eßkuͤnſtler immer das Eſſen ſelbſt als Haupt-, das
Reden aber als Nebenſache betrachten.
Von wie viel Seiten aber eine und dieſelbe Sache betrach-
tet werden kann, beweiſt noch der Oheim in den Wanderjahren,
welcher behauptet: keine Erfindung des Jahrhunderts verdiene
mehr Bewunderung, als daß man in Gaſthaͤuſern, an beſonde-
ren kleinen Tiſchchen nach der Charte ſpeiſen koͤnne, und ſobald
er dieß gewahr geworden, es auch fuͤr ſich und Andere in ſeiner
Familie einzufuͤhren ſuchte. Im beſten Humor mochte er gern
die Schreckniſſe eines Familientiſches lebhaft ſchildern, wo jedes
Glied mit fremden Gedanken beſchaͤftigt ſich niederſetzt, ungern
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/127>, abgerufen am 23.07.2024.
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