Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

doch stillschweigend, ohne Widerspruch, ja durch eignes Bei-
spiel durchaus anerkannt. Aus sehr vielen Stellen läßt sich
zur Evidenz erweisen, daß auch der erhabene Platon gegessen
habe. Zwar sollen einige Heilige fast gar nichts gegessen haben;
doch das sind Wunder und Gott bewahre mich, ein Wort wei-
ter über Wunder zu sagen. Die berühmte Vox populi spricht
es laut aus, daß durch Essen und Trinken Leib und Seele zu-
sammengehalten werden, woraus die Verpflichtung zu diesem
Zusammenhalten unschwer sich ergiebt.

Brauche ich mehr, wo so viel weltgeschichtliche Zeugen,
solche gewichtige Auctoritäten sprechen, wo Vernunft und Er-
fahrung, Erz, Marmor, Pergament und Papier, von dem
grausten Grau der Vorzeit und den ersten Anfängen einer Ge-
schichte bis auf unsere Tage, sich bestätigen, wo die ganze
Menschheit in seltner Uebereinstimmung sich in Einem großen
Gedanken begegnet? Und wem sollte ich gehäuftere Bestäti-
gungen darlegen? Einer Versammlung, welche diese Wahrheit
niemals bezweifelte! -- Das sei ferne.

Ich ziehe es vor, einen freundlichen Blick der Liebe auf
die Unschuld und Harmlosigkeit, auf den genüglichen seeligen
Frieden unseres Gegenstandes zu werfen. Blicket her auf die-
sen rein und schön menschlichen Genuß. Hier wird keine Un-
schuld gemordet, keine Reuethränen fließen, kein Stahl färbt
sich hier mit Menschenblut, es müßte sich denn ein Nichteßkünst-
ler in den Finger schneiden. Hier bricht kein verzagendes
Herz; es ist hinlänglich viel aufgetragen und der hohläugige
Neid, die verzehrenden Flammen der Eifersucht, das Zucken der
Leidenschaft sind ferne.

Ist Euch das Herz enge und gepreßt von dem Doppelt-
sinn des Lebens, flüchtet hierher! Hat Euch die Freundschaft
verrathen, die Liebe betrogen, hier ist Ersatz und seeliges Ver-
gessen. Werdet Ihr traurig über die Schmach und Erbärm-
lichkeit allüberall, versteht Euch die Welt nicht, findet Ihr keine

7*

doch ſtillſchweigend, ohne Widerſpruch, ja durch eignes Bei-
ſpiel durchaus anerkannt. Aus ſehr vielen Stellen laͤßt ſich
zur Evidenz erweiſen, daß auch der erhabene Platon gegeſſen
habe. Zwar ſollen einige Heilige faſt gar nichts gegeſſen haben;
doch das ſind Wunder und Gott bewahre mich, ein Wort wei-
ter uͤber Wunder zu ſagen. Die beruͤhmte Vox populi ſpricht
es laut aus, daß durch Eſſen und Trinken Leib und Seele zu-
ſammengehalten werden, woraus die Verpflichtung zu dieſem
Zuſammenhalten unſchwer ſich ergiebt.

Brauche ich mehr, wo ſo viel weltgeſchichtliche Zeugen,
ſolche gewichtige Auctoritaͤten ſprechen, wo Vernunft und Er-
fahrung, Erz, Marmor, Pergament und Papier, von dem
grauſten Grau der Vorzeit und den erſten Anfaͤngen einer Ge-
ſchichte bis auf unſere Tage, ſich beſtaͤtigen, wo die ganze
Menſchheit in ſeltner Uebereinſtimmung ſich in Einem großen
Gedanken begegnet? Und wem ſollte ich gehaͤuftere Beſtaͤti-
gungen darlegen? Einer Verſammlung, welche dieſe Wahrheit
niemals bezweifelte! — Das ſei ferne.

Ich ziehe es vor, einen freundlichen Blick der Liebe auf
die Unſchuld und Harmloſigkeit, auf den genuͤglichen ſeeligen
Frieden unſeres Gegenſtandes zu werfen. Blicket her auf die-
ſen rein und ſchoͤn menſchlichen Genuß. Hier wird keine Un-
ſchuld gemordet, keine Reuethraͤnen fließen, kein Stahl faͤrbt
ſich hier mit Menſchenblut, es muͤßte ſich denn ein Nichteßkuͤnſt-
ler in den Finger ſchneiden. Hier bricht kein verzagendes
Herz; es iſt hinlaͤnglich viel aufgetragen und der hohlaͤugige
Neid, die verzehrenden Flammen der Eiferſucht, das Zucken der
Leidenſchaft ſind ferne.

Iſt Euch das Herz enge und gepreßt von dem Doppelt-
ſinn des Lebens, fluͤchtet hierher! Hat Euch die Freundſchaft
verrathen, die Liebe betrogen, hier iſt Erſatz und ſeeliges Ver-
geſſen. Werdet Ihr traurig uͤber die Schmach und Erbaͤrm-
lichkeit alluͤberall, verſteht Euch die Welt nicht, findet Ihr keine

7*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0113" n="99"/>
doch &#x017F;till&#x017F;chweigend, ohne Wider&#x017F;pruch, ja durch eignes Bei-<lb/>
&#x017F;piel durchaus anerkannt. Aus &#x017F;ehr vielen Stellen la&#x0364;ßt &#x017F;ich<lb/>
zur Evidenz erwei&#x017F;en, daß auch der erhabene <hi rendition="#g">Platon</hi> gege&#x017F;&#x017F;en<lb/>
habe. Zwar &#x017F;ollen einige Heilige fa&#x017F;t gar nichts gege&#x017F;&#x017F;en haben;<lb/>
doch das &#x017F;ind Wunder und Gott bewahre mich, ein Wort wei-<lb/>
ter u&#x0364;ber Wunder zu &#x017F;agen. Die beru&#x0364;hmte <hi rendition="#aq">Vox populi</hi> &#x017F;pricht<lb/>
es laut aus, daß durch E&#x017F;&#x017F;en und Trinken Leib und Seele zu-<lb/>
&#x017F;ammengehalten werden, woraus die Verpflichtung zu die&#x017F;em<lb/>
Zu&#x017F;ammenhalten un&#x017F;chwer &#x017F;ich ergiebt.</p><lb/>
        <p>Brauche ich mehr, wo &#x017F;o viel weltge&#x017F;chichtliche Zeugen,<lb/>
&#x017F;olche gewichtige Auctorita&#x0364;ten &#x017F;prechen, wo Vernunft und Er-<lb/>
fahrung, Erz, Marmor, Pergament und Papier, von dem<lb/>
grau&#x017F;ten Grau der Vorzeit und den er&#x017F;ten Anfa&#x0364;ngen einer Ge-<lb/>
&#x017F;chichte bis auf un&#x017F;ere Tage, &#x017F;ich be&#x017F;ta&#x0364;tigen, wo die ganze<lb/>
Men&#x017F;chheit in &#x017F;eltner Ueberein&#x017F;timmung &#x017F;ich in Einem großen<lb/>
Gedanken begegnet? Und wem &#x017F;ollte ich geha&#x0364;uftere Be&#x017F;ta&#x0364;ti-<lb/>
gungen darlegen? Einer Ver&#x017F;ammlung, welche die&#x017F;e Wahrheit<lb/>
niemals bezweifelte! &#x2014; Das &#x017F;ei ferne.</p><lb/>
        <p>Ich ziehe es vor, einen freundlichen Blick der Liebe auf<lb/>
die Un&#x017F;chuld und Harmlo&#x017F;igkeit, auf den genu&#x0364;glichen &#x017F;eeligen<lb/>
Frieden un&#x017F;eres Gegen&#x017F;tandes zu werfen. Blicket her auf die-<lb/>
&#x017F;en rein und &#x017F;cho&#x0364;n men&#x017F;chlichen Genuß. Hier wird keine Un-<lb/>
&#x017F;chuld gemordet, keine Reuethra&#x0364;nen fließen, kein Stahl fa&#x0364;rbt<lb/>
&#x017F;ich hier mit Men&#x017F;chenblut, es mu&#x0364;ßte &#x017F;ich denn ein Nichteßku&#x0364;n&#x017F;t-<lb/>
ler in den Finger &#x017F;chneiden. Hier bricht kein verzagendes<lb/>
Herz; es i&#x017F;t hinla&#x0364;nglich viel aufgetragen und der hohla&#x0364;ugige<lb/>
Neid, die verzehrenden Flammen der Eifer&#x017F;ucht, das Zucken der<lb/>
Leiden&#x017F;chaft &#x017F;ind ferne.</p><lb/>
        <p>I&#x017F;t Euch das Herz enge und gepreßt von dem Doppelt-<lb/>
&#x017F;inn des Lebens, flu&#x0364;chtet hierher! Hat Euch die Freund&#x017F;chaft<lb/>
verrathen, die Liebe betrogen, hier i&#x017F;t Er&#x017F;atz und &#x017F;eeliges Ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en. Werdet Ihr traurig u&#x0364;ber die Schmach und Erba&#x0364;rm-<lb/>
lichkeit allu&#x0364;berall, ver&#x017F;teht Euch die Welt nicht, findet Ihr keine<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">7*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0113] doch ſtillſchweigend, ohne Widerſpruch, ja durch eignes Bei- ſpiel durchaus anerkannt. Aus ſehr vielen Stellen laͤßt ſich zur Evidenz erweiſen, daß auch der erhabene Platon gegeſſen habe. Zwar ſollen einige Heilige faſt gar nichts gegeſſen haben; doch das ſind Wunder und Gott bewahre mich, ein Wort wei- ter uͤber Wunder zu ſagen. Die beruͤhmte Vox populi ſpricht es laut aus, daß durch Eſſen und Trinken Leib und Seele zu- ſammengehalten werden, woraus die Verpflichtung zu dieſem Zuſammenhalten unſchwer ſich ergiebt. Brauche ich mehr, wo ſo viel weltgeſchichtliche Zeugen, ſolche gewichtige Auctoritaͤten ſprechen, wo Vernunft und Er- fahrung, Erz, Marmor, Pergament und Papier, von dem grauſten Grau der Vorzeit und den erſten Anfaͤngen einer Ge- ſchichte bis auf unſere Tage, ſich beſtaͤtigen, wo die ganze Menſchheit in ſeltner Uebereinſtimmung ſich in Einem großen Gedanken begegnet? Und wem ſollte ich gehaͤuftere Beſtaͤti- gungen darlegen? Einer Verſammlung, welche dieſe Wahrheit niemals bezweifelte! — Das ſei ferne. Ich ziehe es vor, einen freundlichen Blick der Liebe auf die Unſchuld und Harmloſigkeit, auf den genuͤglichen ſeeligen Frieden unſeres Gegenſtandes zu werfen. Blicket her auf die- ſen rein und ſchoͤn menſchlichen Genuß. Hier wird keine Un- ſchuld gemordet, keine Reuethraͤnen fließen, kein Stahl faͤrbt ſich hier mit Menſchenblut, es muͤßte ſich denn ein Nichteßkuͤnſt- ler in den Finger ſchneiden. Hier bricht kein verzagendes Herz; es iſt hinlaͤnglich viel aufgetragen und der hohlaͤugige Neid, die verzehrenden Flammen der Eiferſucht, das Zucken der Leidenſchaft ſind ferne. Iſt Euch das Herz enge und gepreßt von dem Doppelt- ſinn des Lebens, fluͤchtet hierher! Hat Euch die Freundſchaft verrathen, die Liebe betrogen, hier iſt Erſatz und ſeeliges Ver- geſſen. Werdet Ihr traurig uͤber die Schmach und Erbaͤrm- lichkeit alluͤberall, verſteht Euch die Welt nicht, findet Ihr keine 7*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/113
Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/113>, abgerufen am 25.11.2024.