doch stillschweigend, ohne Widerspruch, ja durch eignes Bei- spiel durchaus anerkannt. Aus sehr vielen Stellen läßt sich zur Evidenz erweisen, daß auch der erhabene Platon gegessen habe. Zwar sollen einige Heilige fast gar nichts gegessen haben; doch das sind Wunder und Gott bewahre mich, ein Wort wei- ter über Wunder zu sagen. Die berühmte Vox populi spricht es laut aus, daß durch Essen und Trinken Leib und Seele zu- sammengehalten werden, woraus die Verpflichtung zu diesem Zusammenhalten unschwer sich ergiebt.
Brauche ich mehr, wo so viel weltgeschichtliche Zeugen, solche gewichtige Auctoritäten sprechen, wo Vernunft und Er- fahrung, Erz, Marmor, Pergament und Papier, von dem grausten Grau der Vorzeit und den ersten Anfängen einer Ge- schichte bis auf unsere Tage, sich bestätigen, wo die ganze Menschheit in seltner Uebereinstimmung sich in Einem großen Gedanken begegnet? Und wem sollte ich gehäuftere Bestäti- gungen darlegen? Einer Versammlung, welche diese Wahrheit niemals bezweifelte! -- Das sei ferne.
Ich ziehe es vor, einen freundlichen Blick der Liebe auf die Unschuld und Harmlosigkeit, auf den genüglichen seeligen Frieden unseres Gegenstandes zu werfen. Blicket her auf die- sen rein und schön menschlichen Genuß. Hier wird keine Un- schuld gemordet, keine Reuethränen fließen, kein Stahl färbt sich hier mit Menschenblut, es müßte sich denn ein Nichteßkünst- ler in den Finger schneiden. Hier bricht kein verzagendes Herz; es ist hinlänglich viel aufgetragen und der hohläugige Neid, die verzehrenden Flammen der Eifersucht, das Zucken der Leidenschaft sind ferne.
Ist Euch das Herz enge und gepreßt von dem Doppelt- sinn des Lebens, flüchtet hierher! Hat Euch die Freundschaft verrathen, die Liebe betrogen, hier ist Ersatz und seeliges Ver- gessen. Werdet Ihr traurig über die Schmach und Erbärm- lichkeit allüberall, versteht Euch die Welt nicht, findet Ihr keine
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doch ſtillſchweigend, ohne Widerſpruch, ja durch eignes Bei- ſpiel durchaus anerkannt. Aus ſehr vielen Stellen laͤßt ſich zur Evidenz erweiſen, daß auch der erhabene Platon gegeſſen habe. Zwar ſollen einige Heilige faſt gar nichts gegeſſen haben; doch das ſind Wunder und Gott bewahre mich, ein Wort wei- ter uͤber Wunder zu ſagen. Die beruͤhmte Vox populi ſpricht es laut aus, daß durch Eſſen und Trinken Leib und Seele zu- ſammengehalten werden, woraus die Verpflichtung zu dieſem Zuſammenhalten unſchwer ſich ergiebt.
Brauche ich mehr, wo ſo viel weltgeſchichtliche Zeugen, ſolche gewichtige Auctoritaͤten ſprechen, wo Vernunft und Er- fahrung, Erz, Marmor, Pergament und Papier, von dem grauſten Grau der Vorzeit und den erſten Anfaͤngen einer Ge- ſchichte bis auf unſere Tage, ſich beſtaͤtigen, wo die ganze Menſchheit in ſeltner Uebereinſtimmung ſich in Einem großen Gedanken begegnet? Und wem ſollte ich gehaͤuftere Beſtaͤti- gungen darlegen? Einer Verſammlung, welche dieſe Wahrheit niemals bezweifelte! — Das ſei ferne.
Ich ziehe es vor, einen freundlichen Blick der Liebe auf die Unſchuld und Harmloſigkeit, auf den genuͤglichen ſeeligen Frieden unſeres Gegenſtandes zu werfen. Blicket her auf die- ſen rein und ſchoͤn menſchlichen Genuß. Hier wird keine Un- ſchuld gemordet, keine Reuethraͤnen fließen, kein Stahl faͤrbt ſich hier mit Menſchenblut, es muͤßte ſich denn ein Nichteßkuͤnſt- ler in den Finger ſchneiden. Hier bricht kein verzagendes Herz; es iſt hinlaͤnglich viel aufgetragen und der hohlaͤugige Neid, die verzehrenden Flammen der Eiferſucht, das Zucken der Leidenſchaft ſind ferne.
Iſt Euch das Herz enge und gepreßt von dem Doppelt- ſinn des Lebens, fluͤchtet hierher! Hat Euch die Freundſchaft verrathen, die Liebe betrogen, hier iſt Erſatz und ſeeliges Ver- geſſen. Werdet Ihr traurig uͤber die Schmach und Erbaͤrm- lichkeit alluͤberall, verſteht Euch die Welt nicht, findet Ihr keine
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doch ſtillſchweigend, ohne Widerſpruch, ja durch eignes Bei-
ſpiel durchaus anerkannt. Aus ſehr vielen Stellen laͤßt ſich
zur Evidenz erweiſen, daß auch der erhabene Platon gegeſſen
habe. Zwar ſollen einige Heilige faſt gar nichts gegeſſen haben;
doch das ſind Wunder und Gott bewahre mich, ein Wort wei-
ter uͤber Wunder zu ſagen. Die beruͤhmte Vox populi ſpricht
es laut aus, daß durch Eſſen und Trinken Leib und Seele zu-
ſammengehalten werden, woraus die Verpflichtung zu dieſem
Zuſammenhalten unſchwer ſich ergiebt.
Brauche ich mehr, wo ſo viel weltgeſchichtliche Zeugen,
ſolche gewichtige Auctoritaͤten ſprechen, wo Vernunft und Er-
fahrung, Erz, Marmor, Pergament und Papier, von dem
grauſten Grau der Vorzeit und den erſten Anfaͤngen einer Ge-
ſchichte bis auf unſere Tage, ſich beſtaͤtigen, wo die ganze
Menſchheit in ſeltner Uebereinſtimmung ſich in Einem großen
Gedanken begegnet? Und wem ſollte ich gehaͤuftere Beſtaͤti-
gungen darlegen? Einer Verſammlung, welche dieſe Wahrheit
niemals bezweifelte! — Das ſei ferne.
Ich ziehe es vor, einen freundlichen Blick der Liebe auf
die Unſchuld und Harmloſigkeit, auf den genuͤglichen ſeeligen
Frieden unſeres Gegenſtandes zu werfen. Blicket her auf die-
ſen rein und ſchoͤn menſchlichen Genuß. Hier wird keine Un-
ſchuld gemordet, keine Reuethraͤnen fließen, kein Stahl faͤrbt
ſich hier mit Menſchenblut, es muͤßte ſich denn ein Nichteßkuͤnſt-
ler in den Finger ſchneiden. Hier bricht kein verzagendes
Herz; es iſt hinlaͤnglich viel aufgetragen und der hohlaͤugige
Neid, die verzehrenden Flammen der Eiferſucht, das Zucken der
Leidenſchaft ſind ferne.
Iſt Euch das Herz enge und gepreßt von dem Doppelt-
ſinn des Lebens, fluͤchtet hierher! Hat Euch die Freundſchaft
verrathen, die Liebe betrogen, hier iſt Erſatz und ſeeliges Ver-
geſſen. Werdet Ihr traurig uͤber die Schmach und Erbaͤrm-
lichkeit alluͤberall, verſteht Euch die Welt nicht, findet Ihr keine
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/113>, abgerufen am 23.07.2024.
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