Nicht übel wär's, über was Gutes gut, und über was Gescheidtes gescheidt zu urtheilen; letzteres natürlich mit Zu- rückhaltung. Daraus folgt keineswegs, daß das Unschöne mit schönen Worten zu überkleistern, das Dumme mit dem Gemüth zu bedecken, das Unerwünschte zu läugnen sei. Salz und Pfeffer kann der Koch nicht entbehren. Auch der Kunst- richter wird seine Urtheile dadurch schmackhafter und eindring- licher machen, vorausgesetzt, daß weder übersalzen noch über- pfeffert wird.
Uebrigens lasse sich der wahre Eßkünstler durch die Kunst- richter nicht irreführen, und suche sich's am Besten selber zu Danke zu machen; denn wer könnte es denn besser verstehen, als er selber, oder wen hätte denn Mozart sollen um Rath fragen? --
Es giebt Kunstkenner und Menschen von wirklich feinem Geschmack, die gleichwohl der warmen und lebendigen Theil- nahme ermangeln, womit der Kunstsinnige, der Kunstfreund beseelt ist. Jenen wird sich aber das innere Leben und Wesen der Kunst in seiner Urlust und Grundbedeutung niemals er- schließen. Wie wahr ist's, wenn es heißt: "Es ist nicht zu be- rechnen, wie tief ein Liebender schaut (und schmeckt), während ein Gleichgiltiger nichts schaut. -- [Aber zu große Liebe macht blind.] -- Man kann wohl sagen, die Sinne, die Wahrneh- mungsgabe seien eigentlich die Interessen, ja das Geschmack- volle, das Schmackhafte besteht in der Auffassung, Aneignung. Uebrigens vergesse man nicht, daß bei Kunsturtheilen gar viel darauf ankommt, was der Urtheilende schon Alles gegessen, was er weiß und nicht weiß, was er gewohnt und nicht ge- wohnt ist, was er idiosynkratisch liebt und nicht liebt, -- und rechne darauf, daß, was ihm im Leben besonders geschmeckt, was er unter eigenthümlich günstigen und erfreulichen Gelegen- heiten genossen, "oder was ihm einmal übel bekam, modifizi- rend in sein Urtheil sich eindrängen wird." --
Nicht uͤbel waͤr’s, uͤber was Gutes gut, und uͤber was Geſcheidtes geſcheidt zu urtheilen; letzteres natuͤrlich mit Zu- ruͤckhaltung. Daraus folgt keineswegs, daß das Unſchoͤne mit ſchoͤnen Worten zu uͤberkleiſtern, das Dumme mit dem Gemuͤth zu bedecken, das Unerwuͤnſchte zu laͤugnen ſei. Salz und Pfeffer kann der Koch nicht entbehren. Auch der Kunſt- richter wird ſeine Urtheile dadurch ſchmackhafter und eindring- licher machen, vorausgeſetzt, daß weder uͤberſalzen noch uͤber- pfeffert wird.
Uebrigens laſſe ſich der wahre Eßkuͤnſtler durch die Kunſt- richter nicht irrefuͤhren, und ſuche ſich’s am Beſten ſelber zu Danke zu machen; denn wer koͤnnte es denn beſſer verſtehen, als er ſelber, oder wen haͤtte denn Mozart ſollen um Rath fragen? —
Es giebt Kunſtkenner und Menſchen von wirklich feinem Geſchmack, die gleichwohl der warmen und lebendigen Theil- nahme ermangeln, womit der Kunſtſinnige, der Kunſtfreund beſeelt iſt. Jenen wird ſich aber das innere Leben und Weſen der Kunſt in ſeiner Urluſt und Grundbedeutung niemals er- ſchließen. Wie wahr iſt’s, wenn es heißt: „Es iſt nicht zu be- rechnen, wie tief ein Liebender ſchaut (und ſchmeckt), waͤhrend ein Gleichgiltiger nichts ſchaut. — [Aber zu große Liebe macht blind.] — Man kann wohl ſagen, die Sinne, die Wahrneh- mungsgabe ſeien eigentlich die Intereſſen, ja das Geſchmack- volle, das Schmackhafte beſteht in der Auffaſſung, Aneignung. Uebrigens vergeſſe man nicht, daß bei Kunſturtheilen gar viel darauf ankommt, was der Urtheilende ſchon Alles gegeſſen, was er weiß und nicht weiß, was er gewohnt und nicht ge- wohnt iſt, was er idioſynkratiſch liebt und nicht liebt, — und rechne darauf, daß, was ihm im Leben beſonders geſchmeckt, was er unter eigenthuͤmlich guͤnſtigen und erfreulichen Gelegen- heiten genoſſen, „oder was ihm einmal uͤbel bekam, modifizi- rend in ſein Urtheil ſich eindraͤngen wird.“ —
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Nicht uͤbel waͤr’s, uͤber was Gutes gut, und uͤber was
Geſcheidtes geſcheidt zu urtheilen; letzteres natuͤrlich mit Zu-
ruͤckhaltung. Daraus folgt keineswegs, daß das Unſchoͤne
mit ſchoͤnen Worten zu uͤberkleiſtern, das Dumme mit dem
Gemuͤth zu bedecken, das Unerwuͤnſchte zu laͤugnen ſei. Salz
und Pfeffer kann der Koch nicht entbehren. Auch der Kunſt-
richter wird ſeine Urtheile dadurch ſchmackhafter und eindring-
licher machen, vorausgeſetzt, daß weder uͤberſalzen noch uͤber-
pfeffert wird.
Uebrigens laſſe ſich der wahre Eßkuͤnſtler durch die Kunſt-
richter nicht irrefuͤhren, und ſuche ſich’s am Beſten ſelber zu
Danke zu machen; denn wer koͤnnte es denn beſſer verſtehen,
als er ſelber, oder wen haͤtte denn Mozart ſollen um Rath
fragen? —
Es giebt Kunſtkenner und Menſchen von wirklich feinem
Geſchmack, die gleichwohl der warmen und lebendigen Theil-
nahme ermangeln, womit der Kunſtſinnige, der Kunſtfreund
beſeelt iſt. Jenen wird ſich aber das innere Leben und Weſen
der Kunſt in ſeiner Urluſt und Grundbedeutung niemals er-
ſchließen. Wie wahr iſt’s, wenn es heißt: „Es iſt nicht zu be-
rechnen, wie tief ein Liebender ſchaut (und ſchmeckt), waͤhrend
ein Gleichgiltiger nichts ſchaut. — [Aber zu große Liebe macht
blind.] — Man kann wohl ſagen, die Sinne, die Wahrneh-
mungsgabe ſeien eigentlich die Intereſſen, ja das Geſchmack-
volle, das Schmackhafte beſteht in der Auffaſſung, Aneignung.
Uebrigens vergeſſe man nicht, daß bei Kunſturtheilen gar viel
darauf ankommt, was der Urtheilende ſchon Alles gegeſſen,
was er weiß und nicht weiß, was er gewohnt und nicht ge-
wohnt iſt, was er idioſynkratiſch liebt und nicht liebt, — und
rechne darauf, daß, was ihm im Leben beſonders geſchmeckt,
was er unter eigenthuͤmlich guͤnſtigen und erfreulichen Gelegen-
heiten genoſſen, „oder was ihm einmal uͤbel bekam, modifizi-
rend in ſein Urtheil ſich eindraͤngen wird.“ —
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/107>, abgerufen am 16.02.2025.
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