Redensart ist die: die Akten über diesen Gegenstand seien noch nicht geschlossen. Es thut gar nichts, daß man dieß von Allem und Jedem sagen kann. Das ist eben der Pfiff. -- Und so dergleichen mehr. So ist's am sichersten; anders könnte sich der Kunstrichter sehr leicht blamiren. Kümmert er sich aber um's Blamiren nichts, ist er's schon gewohnt, oder will er damit brilliren, wie dieß in jetziger Zeit von namhaften Li- teraten geschieht, fühlt er sich irgend getroffen, und will sich nicht schämen, sondern lieber Recht behalten, so kann er sehr wohl die ganze Sache, um die es sich eigentlich handelt, liegen lassen; er müßte gar keine Nase haben, wenn er nicht etwas, was gegen den Staat, die Religion, die guten Sitten etc. ver- stieße, aufschnüffeln könnte. Daran halte er sich und er hat nichts weiter zu fürchten, im Gegentheil volle Anerkennung zu hoffen. Er kann sein Blatt in Ruf bringen, vermehrten Ab- satz erzielen, der Theilnahme und Unterstützung vieler Gleich- gesinnter versichert sein, -- enfin er ist poussirt, wenn auch blamirt. Das Deutsche große Publikum merkt auf dergleichen Kleinigkeiten nicht, und hat die hohe Polizei, die der edelmü- thige Kunstkritiker herbeischrie, dem Gegner Zunge und Schreib- finger petschirt, so behält er natürlich das letzte Wort und Recht, und jeder, der ihm widerspricht, ist ein Feind des Staats, der Religion und der Sittlichkeit.
Wenn ein Mann keine Gallenblase hätte, wär's kaum be- greiflich, wie er sich von seinem Gegenstand in dergleichen nicht hierher Gehöriges verirren könnte. Damit also mehr als ge- nug! -- Ich fahre fort. Schon der gemeinen Klugheit wegen wäre es rathsam, vorher zu denken oder, weil man dieß nicht von jedem verlangen kann, zu lesen, ehe man ein decisives, na- mentlich gedrucktes, Urtheil abgiebt. Ich hörte einmal einen Kunstreisenden harten Tadel über den, in Italien hart und weiß (ohne Safran) gekochten Reis aussprechen. Der Un- glückliche hatte Rumohr's Geist der Kochkunst nicht gelesen.
Redensart iſt die: die Akten uͤber dieſen Gegenſtand ſeien noch nicht geſchloſſen. Es thut gar nichts, daß man dieß von Allem und Jedem ſagen kann. Das iſt eben der Pfiff. — Und ſo dergleichen mehr. So iſt’s am ſicherſten; anders koͤnnte ſich der Kunſtrichter ſehr leicht blamiren. Kuͤmmert er ſich aber um’s Blamiren nichts, iſt er’s ſchon gewohnt, oder will er damit brilliren, wie dieß in jetziger Zeit von namhaften Li- teraten geſchieht, fuͤhlt er ſich irgend getroffen, und will ſich nicht ſchaͤmen, ſondern lieber Recht behalten, ſo kann er ſehr wohl die ganze Sache, um die es ſich eigentlich handelt, liegen laſſen; er muͤßte gar keine Naſe haben, wenn er nicht etwas, was gegen den Staat, die Religion, die guten Sitten ꝛc. ver- ſtieße, aufſchnuͤffeln koͤnnte. Daran halte er ſich und er hat nichts weiter zu fuͤrchten, im Gegentheil volle Anerkennung zu hoffen. Er kann ſein Blatt in Ruf bringen, vermehrten Ab- ſatz erzielen, der Theilnahme und Unterſtuͤtzung vieler Gleich- geſinnter verſichert ſein, — enfin er iſt pouſſirt, wenn auch blamirt. Das Deutſche große Publikum merkt auf dergleichen Kleinigkeiten nicht, und hat die hohe Polizei, die der edelmuͤ- thige Kunſtkritiker herbeiſchrie, dem Gegner Zunge und Schreib- finger petſchirt, ſo behaͤlt er natuͤrlich das letzte Wort und Recht, und jeder, der ihm widerſpricht, iſt ein Feind des Staats, der Religion und der Sittlichkeit.
Wenn ein Mann keine Gallenblaſe haͤtte, waͤr’s kaum be- greiflich, wie er ſich von ſeinem Gegenſtand in dergleichen nicht hierher Gehoͤriges verirren koͤnnte. Damit alſo mehr als ge- nug! — Ich fahre fort. Schon der gemeinen Klugheit wegen waͤre es rathſam, vorher zu denken oder, weil man dieß nicht von jedem verlangen kann, zu leſen, ehe man ein deciſives, na- mentlich gedrucktes, Urtheil abgiebt. Ich hoͤrte einmal einen Kunſtreiſenden harten Tadel uͤber den, in Italien hart und weiß (ohne Safran) gekochten Reis ausſprechen. Der Un- gluͤckliche hatte Rumohr’s Geiſt der Kochkunſt nicht geleſen.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0106"n="92"/>
Redensart iſt die: die Akten uͤber dieſen Gegenſtand ſeien<lb/>
noch nicht geſchloſſen. Es thut gar nichts, daß man dieß von<lb/>
Allem und Jedem ſagen kann. Das iſt eben der Pfiff. —<lb/>
Und ſo dergleichen mehr. So iſt’s am ſicherſten; anders koͤnnte<lb/>ſich der Kunſtrichter ſehr leicht blamiren. Kuͤmmert er ſich<lb/>
aber um’s Blamiren nichts, iſt er’s ſchon gewohnt, oder will<lb/>
er damit brilliren, wie dieß in jetziger Zeit von namhaften Li-<lb/>
teraten geſchieht, fuͤhlt er ſich irgend getroffen, und will ſich<lb/>
nicht ſchaͤmen, ſondern lieber Recht behalten, ſo kann er ſehr<lb/>
wohl die ganze Sache, um die es ſich eigentlich handelt, liegen<lb/>
laſſen; er muͤßte gar keine Naſe haben, wenn er nicht etwas,<lb/>
was gegen den Staat, die Religion, die guten Sitten ꝛc. ver-<lb/>ſtieße, aufſchnuͤffeln koͤnnte. Daran halte er ſich und er hat<lb/>
nichts weiter zu fuͤrchten, im Gegentheil volle Anerkennung zu<lb/>
hoffen. Er kann ſein Blatt in Ruf bringen, vermehrten Ab-<lb/>ſatz erzielen, der Theilnahme und Unterſtuͤtzung vieler Gleich-<lb/>
geſinnter verſichert ſein, —<hirendition="#aq">enfin</hi> er iſt pouſſirt, wenn auch<lb/>
blamirt. Das Deutſche große Publikum merkt auf dergleichen<lb/>
Kleinigkeiten nicht, und hat die hohe Polizei, die der edelmuͤ-<lb/>
thige Kunſtkritiker herbeiſchrie, dem Gegner Zunge und Schreib-<lb/>
finger petſchirt, ſo behaͤlt er natuͤrlich das letzte Wort und Recht,<lb/>
und jeder, der ihm widerſpricht, iſt ein Feind des Staats, der<lb/>
Religion und der Sittlichkeit.</p><lb/><p>Wenn ein Mann keine Gallenblaſe haͤtte, waͤr’s kaum be-<lb/>
greiflich, wie er ſich von ſeinem Gegenſtand in dergleichen nicht<lb/>
hierher Gehoͤriges verirren koͤnnte. Damit alſo mehr als ge-<lb/>
nug! — Ich fahre fort. Schon der gemeinen Klugheit wegen<lb/>
waͤre es rathſam, vorher zu denken oder, weil man dieß nicht<lb/>
von jedem verlangen kann, zu leſen, ehe man ein deciſives, na-<lb/>
mentlich gedrucktes, Urtheil abgiebt. Ich hoͤrte einmal einen<lb/>
Kunſtreiſenden harten Tadel uͤber den, in Italien hart und<lb/>
weiß (ohne Safran) gekochten Reis ausſprechen. Der Un-<lb/>
gluͤckliche hatte <hirendition="#g">Rumohr’s</hi> Geiſt der Kochkunſt nicht geleſen.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[92/0106]
Redensart iſt die: die Akten uͤber dieſen Gegenſtand ſeien
noch nicht geſchloſſen. Es thut gar nichts, daß man dieß von
Allem und Jedem ſagen kann. Das iſt eben der Pfiff. —
Und ſo dergleichen mehr. So iſt’s am ſicherſten; anders koͤnnte
ſich der Kunſtrichter ſehr leicht blamiren. Kuͤmmert er ſich
aber um’s Blamiren nichts, iſt er’s ſchon gewohnt, oder will
er damit brilliren, wie dieß in jetziger Zeit von namhaften Li-
teraten geſchieht, fuͤhlt er ſich irgend getroffen, und will ſich
nicht ſchaͤmen, ſondern lieber Recht behalten, ſo kann er ſehr
wohl die ganze Sache, um die es ſich eigentlich handelt, liegen
laſſen; er muͤßte gar keine Naſe haben, wenn er nicht etwas,
was gegen den Staat, die Religion, die guten Sitten ꝛc. ver-
ſtieße, aufſchnuͤffeln koͤnnte. Daran halte er ſich und er hat
nichts weiter zu fuͤrchten, im Gegentheil volle Anerkennung zu
hoffen. Er kann ſein Blatt in Ruf bringen, vermehrten Ab-
ſatz erzielen, der Theilnahme und Unterſtuͤtzung vieler Gleich-
geſinnter verſichert ſein, — enfin er iſt pouſſirt, wenn auch
blamirt. Das Deutſche große Publikum merkt auf dergleichen
Kleinigkeiten nicht, und hat die hohe Polizei, die der edelmuͤ-
thige Kunſtkritiker herbeiſchrie, dem Gegner Zunge und Schreib-
finger petſchirt, ſo behaͤlt er natuͤrlich das letzte Wort und Recht,
und jeder, der ihm widerſpricht, iſt ein Feind des Staats, der
Religion und der Sittlichkeit.
Wenn ein Mann keine Gallenblaſe haͤtte, waͤr’s kaum be-
greiflich, wie er ſich von ſeinem Gegenſtand in dergleichen nicht
hierher Gehoͤriges verirren koͤnnte. Damit alſo mehr als ge-
nug! — Ich fahre fort. Schon der gemeinen Klugheit wegen
waͤre es rathſam, vorher zu denken oder, weil man dieß nicht
von jedem verlangen kann, zu leſen, ehe man ein deciſives, na-
mentlich gedrucktes, Urtheil abgiebt. Ich hoͤrte einmal einen
Kunſtreiſenden harten Tadel uͤber den, in Italien hart und
weiß (ohne Safran) gekochten Reis ausſprechen. Der Un-
gluͤckliche hatte Rumohr’s Geiſt der Kochkunſt nicht geleſen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/106>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.