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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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Er sah sich in dem schmalen Raum, den das Bett fast
ganz einnahm, flüchtig um, und lehnte sich ans Fenster.
Dort stand zwischen rot und blau gestickten grauleinenen
russischen Vorhängen ein Rosenstock mit einer einzigen,
eben aufbrechenden Knospe. In der Wandecke daneben
brannte das ewige Lämpchen vor dem üblichen Mutter¬
gottesbild.

Max Werner fühlte ein heftiges Unbehagen. Welch
eine seltsame Rolle spielte er doch da in Fenias Leben!

Man vernahm nur undeutlich, was nebenan ge¬
sprochen wurde, überdies redeten sie russisch miteinander.
Trotzdem antwortete Fenia unwillkürlich mit halber
Stimme.

Daneben hörte man ein volles, weiches Organ,
-- "seine" Stimme. Er sprach und lachte, wie man im
Glück lacht und spricht.

Nach kurzer Zeit wurde irgend etwas auf dem
Gang draußen laut. Es begann jemand vor Fenias Thür
so eigentümlich zu schlürfen und herumzutreten. Vielleicht
war es die Wirtin in ihrer abscheulichen spionierenden
Neugier, -- vielleicht auch nur ein Fremder.

Jedenfalls fingen sie drinnen plötzlich an deutsch
zu sprechen. Aber nun ließ Fenia ihre Stimme noch
mehr sinken.

"Warum sprichst du nur so leise heute?" fragte
"er" sie erstaunt, "-- deutsch versteht ja hier keine
Seele. -- Und weißt du wohl, grade daß du so rücksichts¬
los laut gesprochen hast, -- manchmal, bei Gelegenheiten,
wo es gefährlich war, -- das liebte ich so an dir. Du
wolltest nicht unvorsichtig sein, -- aber du vergaßest es

Er ſah ſich in dem ſchmalen Raum, den das Bett faſt
ganz einnahm, flüchtig um, und lehnte ſich ans Fenſter.
Dort ſtand zwiſchen rot und blau geſtickten grauleinenen
ruſſiſchen Vorhängen ein Roſenſtock mit einer einzigen,
eben aufbrechenden Knoſpe. In der Wandecke daneben
brannte das ewige Lämpchen vor dem üblichen Mutter¬
gottesbild.

Max Werner fühlte ein heftiges Unbehagen. Welch
eine ſeltſame Rolle ſpielte er doch da in Fenias Leben!

Man vernahm nur undeutlich, was nebenan ge¬
ſprochen wurde, überdies redeten ſie ruſſiſch miteinander.
Trotzdem antwortete Fenia unwillkürlich mit halber
Stimme.

Daneben hörte man ein volles, weiches Organ,
— „ſeine“ Stimme. Er ſprach und lachte, wie man im
Glück lacht und ſpricht.

Nach kurzer Zeit wurde irgend etwas auf dem
Gang draußen laut. Es begann jemand vor Fenias Thür
ſo eigentümlich zu ſchlürfen und herumzutreten. Vielleicht
war es die Wirtin in ihrer abſcheulichen ſpionierenden
Neugier, — vielleicht auch nur ein Fremder.

Jedenfalls fingen ſie drinnen plötzlich an deutſch
zu ſprechen. Aber nun ließ Fenia ihre Stimme noch
mehr ſinken.

„Warum ſprichſt du nur ſo leiſe heute?“ fragte
„er“ ſie erſtaunt, „— deutſch verſteht ja hier keine
Seele. — Und weißt du wohl, grade daß du ſo rückſichts¬
los laut geſprochen haſt, — manchmal, bei Gelegenheiten,
wo es gefährlich war, — das liebte ich ſo an dir. Du
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[95/0099] — 95 — Er ſah ſich in dem ſchmalen Raum, den das Bett faſt ganz einnahm, flüchtig um, und lehnte ſich ans Fenſter. Dort ſtand zwiſchen rot und blau geſtickten grauleinenen ruſſiſchen Vorhängen ein Roſenſtock mit einer einzigen, eben aufbrechenden Knoſpe. In der Wandecke daneben brannte das ewige Lämpchen vor dem üblichen Mutter¬ gottesbild. Max Werner fühlte ein heftiges Unbehagen. Welch eine ſeltſame Rolle ſpielte er doch da in Fenias Leben! Man vernahm nur undeutlich, was nebenan ge¬ ſprochen wurde, überdies redeten ſie ruſſiſch miteinander. Trotzdem antwortete Fenia unwillkürlich mit halber Stimme. Daneben hörte man ein volles, weiches Organ, — „ſeine“ Stimme. Er ſprach und lachte, wie man im Glück lacht und ſpricht. Nach kurzer Zeit wurde irgend etwas auf dem Gang draußen laut. Es begann jemand vor Fenias Thür ſo eigentümlich zu ſchlürfen und herumzutreten. Vielleicht war es die Wirtin in ihrer abſcheulichen ſpionierenden Neugier, — vielleicht auch nur ein Fremder. Jedenfalls fingen ſie drinnen plötzlich an deutſch zu ſprechen. Aber nun ließ Fenia ihre Stimme noch mehr ſinken. „Warum ſprichſt du nur ſo leiſe heute?“ fragte „er“ ſie erſtaunt, „— deutſch verſteht ja hier keine Seele. — Und weißt du wohl, grade daß du ſo rückſichts¬ los laut geſprochen haſt, — manchmal, bei Gelegenheiten, wo es gefährlich war, — das liebte ich ſo an dir. Du wollteſt nicht unvorſichtig ſein, — aber du vergaßeſt es

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/99>, abgerufen am 25.11.2024.