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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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legium. Und doch, fragte sich Max Werner, können
dafür denn nicht dieselben Gründe maßgebend sein, die
den Mann so leicht dazu verführen, seiner Liebe nur
einen Teil seines Innern zu öffnen, ihr Grenzen zu ziehen,
sie neben, und nicht über seine sonstigen Lebens¬
interessen zu setzen? Die Frau, die ihr Leben ganz so
einrichtet und in die Hand nimmt wie der Mann, wird
natürlich auch in ganz ähnliche Lagen, Konflikte und Ver¬
suchungen kommen wie er, und nur, infolge ihrer langen
anders gearteten Frauenvergangenheit, viel schwerer daran
leiden.

Am Nachmittag traf er den alten Baron Ravenius
auf der Straße und erfuhr von ihm, das Fenia krank
sei, -- wenigstens habe sie Hausarrest.

"Wahrscheinlich hat sie sich in ihrem Eifer über¬
arbeitet!" fügte der Baron bekümmert und kopfschüttelnd
hinzu.

Max ging sofort zu ihr. Noch während er die
Treppe hinaufstieg, öffnete schon die Wirtin im Kattun¬
morgenrock die Thür zum ersten Stockwerk und blickte
mit einem widerwärtigen Ausdruck spähender Neugier
heraus, wer da komme. Als sie ihn erkannte, verän¬
derte sich ihre Miene, sie war etwas enttäuscht und wurde
zugleich wohlwollender.

Er gab ihr seine Karte und ließ fragen, ob Fenia
ihn empfangen könne. Der Bescheid kam sofort zurück,
er möge nur eintreten.

Fenias Zimmer war künstlich verdunkelt. Die Vor¬
hänge vor dem Fenster waren niedergelassen, und sie selbst
lag, in einem Schlafrock von feinem weichem Stoff, auf

legium. Und doch, fragte ſich Max Werner, können
dafür denn nicht dieſelben Gründe maßgebend ſein, die
den Mann ſo leicht dazu verführen, ſeiner Liebe nur
einen Teil ſeines Innern zu öffnen, ihr Grenzen zu ziehen,
ſie neben, und nicht über ſeine ſonſtigen Lebens¬
intereſſen zu ſetzen? Die Frau, die ihr Leben ganz ſo
einrichtet und in die Hand nimmt wie der Mann, wird
natürlich auch in ganz ähnliche Lagen, Konflikte und Ver¬
ſuchungen kommen wie er, und nur, infolge ihrer langen
anders gearteten Frauenvergangenheit, viel ſchwerer daran
leiden.

Am Nachmittag traf er den alten Baron Ravenius
auf der Straße und erfuhr von ihm, das Fenia krank
ſei, — wenigſtens habe ſie Hausarreſt.

„Wahrſcheinlich hat ſie ſich in ihrem Eifer über¬
arbeitet!“ fügte der Baron bekümmert und kopfſchüttelnd
hinzu.

Max ging ſofort zu ihr. Noch während er die
Treppe hinaufſtieg, öffnete ſchon die Wirtin im Kattun¬
morgenrock die Thür zum erſten Stockwerk und blickte
mit einem widerwärtigen Ausdruck ſpähender Neugier
heraus, wer da komme. Als ſie ihn erkannte, verän¬
derte ſich ihre Miene, ſie war etwas enttäuſcht und wurde
zugleich wohlwollender.

Er gab ihr ſeine Karte und ließ fragen, ob Fenia
ihn empfangen könne. Der Beſcheid kam ſofort zurück,
er möge nur eintreten.

Fenias Zimmer war künſtlich verdunkelt. Die Vor¬
hänge vor dem Fenſter waren niedergelaſſen, und ſie ſelbſt
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[87/0091] — 87 — legium. Und doch, fragte ſich Max Werner, können dafür denn nicht dieſelben Gründe maßgebend ſein, die den Mann ſo leicht dazu verführen, ſeiner Liebe nur einen Teil ſeines Innern zu öffnen, ihr Grenzen zu ziehen, ſie neben, und nicht über ſeine ſonſtigen Lebens¬ intereſſen zu ſetzen? Die Frau, die ihr Leben ganz ſo einrichtet und in die Hand nimmt wie der Mann, wird natürlich auch in ganz ähnliche Lagen, Konflikte und Ver¬ ſuchungen kommen wie er, und nur, infolge ihrer langen anders gearteten Frauenvergangenheit, viel ſchwerer daran leiden. Am Nachmittag traf er den alten Baron Ravenius auf der Straße und erfuhr von ihm, das Fenia krank ſei, — wenigſtens habe ſie Hausarreſt. „Wahrſcheinlich hat ſie ſich in ihrem Eifer über¬ arbeitet!“ fügte der Baron bekümmert und kopfſchüttelnd hinzu. Max ging ſofort zu ihr. Noch während er die Treppe hinaufſtieg, öffnete ſchon die Wirtin im Kattun¬ morgenrock die Thür zum erſten Stockwerk und blickte mit einem widerwärtigen Ausdruck ſpähender Neugier heraus, wer da komme. Als ſie ihn erkannte, verän¬ derte ſich ihre Miene, ſie war etwas enttäuſcht und wurde zugleich wohlwollender. Er gab ihr ſeine Karte und ließ fragen, ob Fenia ihn empfangen könne. Der Beſcheid kam ſofort zurück, er möge nur eintreten. Fenias Zimmer war künſtlich verdunkelt. Die Vor¬ hänge vor dem Fenſter waren niedergelaſſen, und ſie ſelbſt lag, in einem Schlafrock von feinem weichem Stoff, auf

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/91>, abgerufen am 23.11.2024.