Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ach Unsinn, Fenia, -- ich --"

Sie antwortete nicht, sondern stand nur regungslos
da, und in ihren Mienen prägte sich etwas ganz Er¬
greifendes aus, das ihn verstummen machte.

Wohl schaute sie ihn noch an, aber sichtlich ohne
sich dessen bewußt zu werden, wohin sie gerade schaute;
ihre ganze Seele war nach innen gekehrt, -- hielt gleich¬
sam den Atem an.

Ihre Augen öffneten sich weit, eine Art von Ent¬
setzen flog durch sie hindurch, es war, als schlüge eine
plötzliche Erkenntnis, einem Blitze gleich, ihr mitten durch
die Seele.

Und langsam ergoß sich über ihre Wangen, ihre
kleinen Ohren, über den Hals, soweit das Pelzwerk da¬
von einen Fleck sehen ließ, -- eine warme tiefe Röte,
-- immer flammendere Röte. Und ehe Max Wer¬
ner sich's versah, wandte sie sich von der Hausmauer
fort, an der sie lehnte, und enteilte ihm plötzlich mit
schnellen Schritten.

"Fenia! Fenitschka!" rief er bestürzt, und griff un¬
willkürlich nach ihr. Aber er griff ins Leere. In we¬
nigen Sekunden schon war sie um die Ecke gebogen, und
entschwand ihm unter den Menschen, die auf der Haupt¬
straße vorüberströmten.

Der Eindruck war ein ganz seltsamer. Obgleich sie
mit gesenkten Stimmen zu einander geredet, -- und
mehr noch geschwiegen, als geredet hatten, war ihm mit
ihrem Verschwinden doch, als sei mit einemmal eine laute,
gewaltige Unterhaltung verstummt.

Still, ganz totenstill lag die breite Nebenstraße, wo

„Ach Unſinn, Fenia, — ich —“

Sie antwortete nicht, ſondern ſtand nur regungslos
da, und in ihren Mienen prägte ſich etwas ganz Er¬
greifendes aus, das ihn verſtummen machte.

Wohl ſchaute ſie ihn noch an, aber ſichtlich ohne
ſich deſſen bewußt zu werden, wohin ſie gerade ſchaute;
ihre ganze Seele war nach innen gekehrt, — hielt gleich¬
ſam den Atem an.

Ihre Augen öffneten ſich weit, eine Art von Ent¬
ſetzen flog durch ſie hindurch, es war, als ſchlüge eine
plötzliche Erkenntnis, einem Blitze gleich, ihr mitten durch
die Seele.

Und langſam ergoß ſich über ihre Wangen, ihre
kleinen Ohren, über den Hals, ſoweit das Pelzwerk da¬
von einen Fleck ſehen ließ, — eine warme tiefe Röte,
— immer flammendere Röte. Und ehe Max Wer¬
ner ſich's verſah, wandte ſie ſich von der Hausmauer
fort, an der ſie lehnte, und enteilte ihm plötzlich mit
ſchnellen Schritten.

„Fenia! Fenitſchka!“ rief er beſtürzt, und griff un¬
willkürlich nach ihr. Aber er griff ins Leere. In we¬
nigen Sekunden ſchon war ſie um die Ecke gebogen, und
entſchwand ihm unter den Menſchen, die auf der Haupt¬
ſtraße vorüberſtrömten.

Der Eindruck war ein ganz ſeltſamer. Obgleich ſie
mit geſenkten Stimmen zu einander geredet, — und
mehr noch geſchwiegen, als geredet hatten, war ihm mit
ihrem Verſchwinden doch, als ſei mit einemmal eine laute,
gewaltige Unterhaltung verſtummt.

Still, ganz totenſtill lag die breite Nebenſtraße, wo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0087" n="83"/>
        <fw type="pageNum" place="top">&#x2014; 83 &#x2014;<lb/></fw>
        <p>&#x201E;Ach Un&#x017F;inn, Fenia, &#x2014; ich &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie antwortete nicht, &#x017F;ondern &#x017F;tand nur regungslos<lb/>
da, und in ihren Mienen prägte &#x017F;ich etwas ganz Er¬<lb/>
greifendes aus, das ihn ver&#x017F;tummen machte.</p><lb/>
        <p>Wohl &#x017F;chaute &#x017F;ie ihn noch an, aber &#x017F;ichtlich ohne<lb/>
&#x017F;ich de&#x017F;&#x017F;en bewußt zu werden, wohin &#x017F;ie gerade &#x017F;chaute;<lb/>
ihre ganze Seele war nach innen gekehrt, &#x2014; hielt gleich¬<lb/>
&#x017F;am den Atem an.</p><lb/>
        <p>Ihre Augen öffneten &#x017F;ich weit, eine Art von Ent¬<lb/>
&#x017F;etzen flog durch &#x017F;ie hindurch, es war, als &#x017F;chlüge eine<lb/>
plötzliche Erkenntnis, einem Blitze gleich, ihr mitten durch<lb/>
die Seele.</p><lb/>
        <p>Und lang&#x017F;am ergoß &#x017F;ich über ihre Wangen, ihre<lb/>
kleinen Ohren, über den Hals, &#x017F;oweit das Pelzwerk da¬<lb/>
von einen Fleck &#x017F;ehen ließ, &#x2014; eine warme tiefe Röte,<lb/>
&#x2014; immer flammendere Röte. Und ehe Max Wer¬<lb/>
ner &#x017F;ich's ver&#x017F;ah, wandte &#x017F;ie &#x017F;ich von der Hausmauer<lb/>
fort, an der &#x017F;ie lehnte, und enteilte ihm plötzlich mit<lb/>
&#x017F;chnellen Schritten.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Fenia! Fenit&#x017F;chka!&#x201C; rief er be&#x017F;türzt, und griff un¬<lb/>
willkürlich nach ihr. Aber er griff ins Leere. In we¬<lb/>
nigen Sekunden &#x017F;chon war &#x017F;ie um die Ecke gebogen, und<lb/>
ent&#x017F;chwand ihm unter den Men&#x017F;chen, die auf der Haupt¬<lb/>
&#x017F;traße vorüber&#x017F;trömten.</p><lb/>
        <p>Der Eindruck war ein ganz &#x017F;elt&#x017F;amer. Obgleich &#x017F;ie<lb/>
mit ge&#x017F;enkten Stimmen zu einander geredet, &#x2014; und<lb/>
mehr noch ge&#x017F;chwiegen, als geredet hatten, war ihm mit<lb/>
ihrem Ver&#x017F;chwinden doch, als &#x017F;ei mit einemmal eine laute,<lb/>
gewaltige Unterhaltung ver&#x017F;tummt.</p><lb/>
        <p>Still, ganz toten&#x017F;till lag die breite Neben&#x017F;traße, wo<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0087] — 83 — „Ach Unſinn, Fenia, — ich —“ Sie antwortete nicht, ſondern ſtand nur regungslos da, und in ihren Mienen prägte ſich etwas ganz Er¬ greifendes aus, das ihn verſtummen machte. Wohl ſchaute ſie ihn noch an, aber ſichtlich ohne ſich deſſen bewußt zu werden, wohin ſie gerade ſchaute; ihre ganze Seele war nach innen gekehrt, — hielt gleich¬ ſam den Atem an. Ihre Augen öffneten ſich weit, eine Art von Ent¬ ſetzen flog durch ſie hindurch, es war, als ſchlüge eine plötzliche Erkenntnis, einem Blitze gleich, ihr mitten durch die Seele. Und langſam ergoß ſich über ihre Wangen, ihre kleinen Ohren, über den Hals, ſoweit das Pelzwerk da¬ von einen Fleck ſehen ließ, — eine warme tiefe Röte, — immer flammendere Röte. Und ehe Max Wer¬ ner ſich's verſah, wandte ſie ſich von der Hausmauer fort, an der ſie lehnte, und enteilte ihm plötzlich mit ſchnellen Schritten. „Fenia! Fenitſchka!“ rief er beſtürzt, und griff un¬ willkürlich nach ihr. Aber er griff ins Leere. In we¬ nigen Sekunden ſchon war ſie um die Ecke gebogen, und entſchwand ihm unter den Menſchen, die auf der Haupt¬ ſtraße vorüberſtrömten. Der Eindruck war ein ganz ſeltſamer. Obgleich ſie mit geſenkten Stimmen zu einander geredet, — und mehr noch geſchwiegen, als geredet hatten, war ihm mit ihrem Verſchwinden doch, als ſei mit einemmal eine laute, gewaltige Unterhaltung verſtummt. Still, ganz totenſtill lag die breite Nebenſtraße, wo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/87
Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/87>, abgerufen am 24.11.2024.