Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

hätte er es nur geahnt, so würde er mich von allem
Anfang an so anspruchsvoll geliebt haben, wie jetzt, --
mit solchen Ansprüchen an alle meine Zeit und jeden
meiner Gedanken."

Max Werner schwieg dazu und dachte sich im stillen
mancherlei. Ein paar Minuten ließen sie, ohne zu reden,
das Stimmengewirr der Menschen um sich herumsummen;
einer der Diener in Matrosenlivree kam zu ihnen mit
seinem silbernen Tablett voll Obst und Süßigkeiten, ein
paar der Gäste fingen an, sie in ihrem Versteck zu be¬
merken. Fenia schaute mit blinzelnden Augen in den
Kerzenglanz, sie beobachtete nicht mehr, sie träumte. Aber
immer noch lag die selige Ruhe über ihren Zügen aus¬
gebreitet.

"Weißt du noch, wie du mir mal auf dem Newskij,
vor Pasettis Kunstverlag, sagtest: das Kostbarste, was
Liebe giebt, das ist Frieden?" fragte Max unwillkürlich.
Sie nickte und atmete tief auf.

"Ja! Vom ersten Augenblick an war es so. Dank ihm,
daß ich Frieden kenne! Ein so tiefes Ausruhen und Ge¬
nügen. Nicht einmal Sehnsucht, -- nicht Qual nach
mehr, -- nicht alle diese innern Kämpfe, -- wie er sie
jetzt durchmacht. Ich verstehe das einfach nicht. -- --
Ich ruhe wie in einer Wiege, weißt du, -- die leise ge¬
schaukelt wird, -- darüber blauer Sommerhimmel, und
ringsherum blühende Wiese, -- hochstehende, üppige
Wiese voll Klee und langen Halmen, so wie sie kurz vor
dem Mähen ist, -- -- hier in Rußland haben wir so
wundervolle solche Wiesen. -- -- Oder vielleicht lieg
ich auch nur wie eine Kuh im frischen Wiesengras mitten

hätte er es nur geahnt, ſo würde er mich von allem
Anfang an ſo anſpruchsvoll geliebt haben, wie jetzt, —
mit ſolchen Anſprüchen an alle meine Zeit und jeden
meiner Gedanken.“

Max Werner ſchwieg dazu und dachte ſich im ſtillen
mancherlei. Ein paar Minuten ließen ſie, ohne zu reden,
das Stimmengewirr der Menſchen um ſich herumſummen;
einer der Diener in Matroſenlivree kam zu ihnen mit
ſeinem ſilbernen Tablett voll Obſt und Süßigkeiten, ein
paar der Gäſte fingen an, ſie in ihrem Verſteck zu be¬
merken. Fenia ſchaute mit blinzelnden Augen in den
Kerzenglanz, ſie beobachtete nicht mehr, ſie träumte. Aber
immer noch lag die ſelige Ruhe über ihren Zügen aus¬
gebreitet.

„Weißt du noch, wie du mir mal auf dem Newskij,
vor Paſettis Kunſtverlag, ſagteſt: das Koſtbarſte, was
Liebe giebt, das iſt Frieden?“ fragte Max unwillkürlich.
Sie nickte und atmete tief auf.

„Ja! Vom erſten Augenblick an war es ſo. Dank ihm,
daß ich Frieden kenne! Ein ſo tiefes Ausruhen und Ge¬
nügen. Nicht einmal Sehnſucht, — nicht Qual nach
mehr, — nicht alle dieſe innern Kämpfe, — wie er ſie
jetzt durchmacht. Ich verſtehe das einfach nicht. — —
Ich ruhe wie in einer Wiege, weißt du, — die leiſe ge¬
ſchaukelt wird, — darüber blauer Sommerhimmel, und
ringsherum blühende Wieſe, — hochſtehende, üppige
Wieſe voll Klee und langen Halmen, ſo wie ſie kurz vor
dem Mähen iſt, — — hier in Rußland haben wir ſo
wundervolle ſolche Wieſen. — — Oder vielleicht lieg
ich auch nur wie eine Kuh im friſchen Wieſengras mitten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0078" n="74"/><fw type="pageNum" place="top">&#x2014; 74 &#x2014;<lb/></fw>hätte er es nur geahnt, &#x017F;o würde er mich von allem<lb/>
Anfang an &#x017F;o an&#x017F;pruchsvoll geliebt haben, wie jetzt, &#x2014;<lb/>
mit &#x017F;olchen An&#x017F;prüchen an alle meine Zeit und jeden<lb/>
meiner Gedanken.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Max Werner &#x017F;chwieg dazu und dachte &#x017F;ich im &#x017F;tillen<lb/>
mancherlei. Ein paar Minuten ließen &#x017F;ie, ohne zu reden,<lb/>
das Stimmengewirr der Men&#x017F;chen um &#x017F;ich herum&#x017F;ummen;<lb/>
einer der Diener in Matro&#x017F;enlivree kam zu ihnen mit<lb/>
&#x017F;einem &#x017F;ilbernen Tablett voll Ob&#x017F;t und Süßigkeiten, ein<lb/>
paar der Gä&#x017F;te fingen an, &#x017F;ie in ihrem Ver&#x017F;teck zu be¬<lb/>
merken. Fenia &#x017F;chaute mit blinzelnden Augen in den<lb/>
Kerzenglanz, &#x017F;ie beobachtete nicht mehr, &#x017F;ie träumte. Aber<lb/>
immer noch lag die &#x017F;elige Ruhe über ihren Zügen aus¬<lb/>
gebreitet.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Weißt du noch, wie du mir mal auf dem Newskij,<lb/>
vor Pa&#x017F;ettis Kun&#x017F;tverlag, &#x017F;agte&#x017F;t: das Ko&#x017F;tbar&#x017F;te, was<lb/>
Liebe giebt, das i&#x017F;t Frieden?&#x201C; fragte Max unwillkürlich.<lb/>
Sie nickte und atmete tief auf.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja! Vom er&#x017F;ten Augenblick an war es &#x017F;o. Dank ihm,<lb/>
daß ich Frieden kenne! Ein &#x017F;o tiefes Ausruhen und Ge¬<lb/>
nügen. Nicht einmal Sehn&#x017F;ucht, &#x2014; nicht Qual nach<lb/>
mehr, &#x2014; nicht alle die&#x017F;e innern Kämpfe, &#x2014; wie <hi rendition="#g">er</hi> &#x017F;ie<lb/>
jetzt durchmacht. Ich ver&#x017F;tehe das einfach nicht. &#x2014; &#x2014;<lb/>
Ich ruhe wie in einer Wiege, weißt du, &#x2014; die lei&#x017F;e ge¬<lb/>
&#x017F;chaukelt wird, &#x2014; darüber blauer Sommerhimmel, und<lb/>
ringsherum blühende Wie&#x017F;e, &#x2014; hoch&#x017F;tehende, üppige<lb/>
Wie&#x017F;e voll Klee und langen Halmen, &#x017F;o wie &#x017F;ie kurz vor<lb/>
dem Mähen i&#x017F;t, &#x2014; &#x2014; hier in Rußland haben wir &#x017F;o<lb/>
wundervolle &#x017F;olche Wie&#x017F;en. &#x2014; &#x2014; Oder vielleicht lieg<lb/>
ich auch nur wie eine Kuh im fri&#x017F;chen Wie&#x017F;engras mitten<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0078] — 74 — hätte er es nur geahnt, ſo würde er mich von allem Anfang an ſo anſpruchsvoll geliebt haben, wie jetzt, — mit ſolchen Anſprüchen an alle meine Zeit und jeden meiner Gedanken.“ Max Werner ſchwieg dazu und dachte ſich im ſtillen mancherlei. Ein paar Minuten ließen ſie, ohne zu reden, das Stimmengewirr der Menſchen um ſich herumſummen; einer der Diener in Matroſenlivree kam zu ihnen mit ſeinem ſilbernen Tablett voll Obſt und Süßigkeiten, ein paar der Gäſte fingen an, ſie in ihrem Verſteck zu be¬ merken. Fenia ſchaute mit blinzelnden Augen in den Kerzenglanz, ſie beobachtete nicht mehr, ſie träumte. Aber immer noch lag die ſelige Ruhe über ihren Zügen aus¬ gebreitet. „Weißt du noch, wie du mir mal auf dem Newskij, vor Paſettis Kunſtverlag, ſagteſt: das Koſtbarſte, was Liebe giebt, das iſt Frieden?“ fragte Max unwillkürlich. Sie nickte und atmete tief auf. „Ja! Vom erſten Augenblick an war es ſo. Dank ihm, daß ich Frieden kenne! Ein ſo tiefes Ausruhen und Ge¬ nügen. Nicht einmal Sehnſucht, — nicht Qual nach mehr, — nicht alle dieſe innern Kämpfe, — wie er ſie jetzt durchmacht. Ich verſtehe das einfach nicht. — — Ich ruhe wie in einer Wiege, weißt du, — die leiſe ge¬ ſchaukelt wird, — darüber blauer Sommerhimmel, und ringsherum blühende Wieſe, — hochſtehende, üppige Wieſe voll Klee und langen Halmen, ſo wie ſie kurz vor dem Mähen iſt, — — hier in Rußland haben wir ſo wundervolle ſolche Wieſen. — — Oder vielleicht lieg ich auch nur wie eine Kuh im friſchen Wieſengras mitten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/78
Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/78>, abgerufen am 25.11.2024.