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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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Zeit bekommen, -- ja, ein solches Grausen, als ob lauter
Gespenster um mich herumliefen, -- ein Grausen, wie
ich es als kleines Kind manchmal im Traum gehabt
habe, wenn jemand hinter mir war, und ich lief und
lief, -- -- und doch nicht vorwärts konnte."

Es durchschauerte sie, Ihre Augen öffneten sich
ganz groß und erschreckt.

"Sie müssen sich zusammennehmen, Fenia!" sagte
Max Werner in bestimmtem Ton und faßte ihre Hand,
"augenblicklich sind Sie in einem Zustand, wo Sie sich
fortwährend selbst verraten würden. Ich lasse Sie so
nicht fort. -- -- Dies Grausen, wovon Sie sprechen,
müssen Sie beherrschen, es darf Ihnen nicht über den
Kopf wachsen, hören Sie? Es ist Nervenüberreizung, es
wird vorübergehn, Fenitschka."

Sie hatte den Pelzmantel vorhin zurückgeworfen
und auf die Sessellehne hinter sich niedergleiten lassen.
Sie stand im Kleide, aber scheu, wie auf dem Sprung.
Ihre Blicke gingen flüchtig durch das Zimmer, über die
ihr fremde Umgebung, als frage sie sich nun erst, warum
sie eigentlich hergeraten sei, warum sie verweile.

Max Werner fürchtete, daß nach dem ersten, fast
willenlosen Ausbruch sie sich plötzlich von ihrer eignen
Offenheit kalt und peinlich berührt fühlen könnte, --
unter der Situation leiden, worin sie sich ihm gegen¬
über befand. Er fügte deshalb schnell hinzu:

"Sehen Sie sich nicht erst hier um, es ist kein
herrlicher Aufenthaltsort, das geb ich zu! Aber da Sie
einmal bei mir zu Besuch sind, entlaufen Sie mir nicht
gleich wieder, Fenitschka. Setzen Sie sich ein wenig her,

Zeit bekommen, — ja, ein ſolches Grauſen, als ob lauter
Geſpenſter um mich herumliefen, — ein Grauſen, wie
ich es als kleines Kind manchmal im Traum gehabt
habe, wenn jemand hinter mir war, und ich lief und
lief, — — und doch nicht vorwärts konnte.“

Es durchſchauerte ſie, Ihre Augen öffneten ſich
ganz groß und erſchreckt.

„Sie müſſen ſich zuſammennehmen, Fenia!“ ſagte
Max Werner in beſtimmtem Ton und faßte ihre Hand,
„augenblicklich ſind Sie in einem Zuſtand, wo Sie ſich
fortwährend ſelbſt verraten würden. Ich laſſe Sie ſo
nicht fort. — — Dies Grauſen, wovon Sie ſprechen,
müſſen Sie beherrſchen, es darf Ihnen nicht über den
Kopf wachſen, hören Sie? Es iſt Nervenüberreizung, es
wird vorübergehn, Fenitſchka.“

Sie hatte den Pelzmantel vorhin zurückgeworfen
und auf die Seſſellehne hinter ſich niedergleiten laſſen.
Sie ſtand im Kleide, aber ſcheu, wie auf dem Sprung.
Ihre Blicke gingen flüchtig durch das Zimmer, über die
ihr fremde Umgebung, als frage ſie ſich nun erſt, warum
ſie eigentlich hergeraten ſei, warum ſie verweile.

Max Werner fürchtete, daß nach dem erſten, faſt
willenloſen Ausbruch ſie ſich plötzlich von ihrer eignen
Offenheit kalt und peinlich berührt fühlen könnte, —
unter der Situation leiden, worin ſie ſich ihm gegen¬
über befand. Er fügte deshalb ſchnell hinzu:

„Sehen Sie ſich nicht erſt hier um, es iſt kein
herrlicher Aufenthaltsort, das geb ich zu! Aber da Sie
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[63/0067] — 63 — Zeit bekommen, — ja, ein ſolches Grauſen, als ob lauter Geſpenſter um mich herumliefen, — ein Grauſen, wie ich es als kleines Kind manchmal im Traum gehabt habe, wenn jemand hinter mir war, und ich lief und lief, — — und doch nicht vorwärts konnte.“ Es durchſchauerte ſie, Ihre Augen öffneten ſich ganz groß und erſchreckt. „Sie müſſen ſich zuſammennehmen, Fenia!“ ſagte Max Werner in beſtimmtem Ton und faßte ihre Hand, „augenblicklich ſind Sie in einem Zuſtand, wo Sie ſich fortwährend ſelbſt verraten würden. Ich laſſe Sie ſo nicht fort. — — Dies Grauſen, wovon Sie ſprechen, müſſen Sie beherrſchen, es darf Ihnen nicht über den Kopf wachſen, hören Sie? Es iſt Nervenüberreizung, es wird vorübergehn, Fenitſchka.“ Sie hatte den Pelzmantel vorhin zurückgeworfen und auf die Seſſellehne hinter ſich niedergleiten laſſen. Sie ſtand im Kleide, aber ſcheu, wie auf dem Sprung. Ihre Blicke gingen flüchtig durch das Zimmer, über die ihr fremde Umgebung, als frage ſie ſich nun erſt, warum ſie eigentlich hergeraten ſei, warum ſie verweile. Max Werner fürchtete, daß nach dem erſten, faſt willenloſen Ausbruch ſie ſich plötzlich von ihrer eignen Offenheit kalt und peinlich berührt fühlen könnte, — unter der Situation leiden, worin ſie ſich ihm gegen¬ über befand. Er fügte deshalb ſchnell hinzu: „Sehen Sie ſich nicht erſt hier um, es iſt kein herrlicher Aufenthaltsort, das geb ich zu! Aber da Sie einmal bei mir zu Beſuch ſind, entlaufen Sie mir nicht gleich wieder, Fenitſchka. Setzen Sie ſich ein wenig her,

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/67>, abgerufen am 26.11.2024.