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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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auf und schob Fenia so eilig er konnte hinein. Denn
vom untern Stockwerk wurden Stimmen laut, und einer
der Tatarenkellner geleitete fremde Herrschaften hinauf.

"Liebe Fenitschka!" murmelte er fassungslos und
horchte gespannt nach dem Gang.

Sie stand, den Schleier in ihrer Hand zusammen¬
gekrampft, und zitterte am ganzen Leibe, während sie
mit einem wilden Blick um sich sah und hinter sich, --
als stände da irgend jemand.

"Nein! nein! ich will das nicht! ich ertrag das
nicht!" rief sie außer sich, -- "Sie glauben, mich mit¬
leidig ignorieren zu müssen, -- und jetzt wieder -- -- --
mich schützen, -- ich bin doch keine Verbrecherin, die
man aus lauter ritterlicher Schonung nicht erkennt,
-- -- o nein, pfui!"

Und sie brach in leidenschaftliches Weinen aus.

Er schob den einzigen bequemen Lehnsessel heran und
drückte sie sanft hinein.

"Beruhigen Sie sich doch nur ein wenig, Fenitschka,"
sagte er, -- "was sind denn das für Ideen -- Ver¬
brecherin, -- Unsinn! Wollen Sie etwas trinken? Wein,
-- Limonade? -- Knöpfen Sie den Pelz ein wenig
auf, Sie ersticken mir sonst noch hier. Darf ich ihn
ein wenig aufknöpfen?"

Sie stieß seine Hand hinweg und weinte weiter.

Er kniete neben ihr auf den Teppich hin und bückte
demütig den Kopf.

"Ach, Fenia!" sagte er lachend, "was sind Sie doch
für ein verrückter Kerl! -- Wenn Sie wütend sind, so
zausen Sie mich, bitte, am Haar, -- schlagen Sie mit

auf und ſchob Fenia ſo eilig er konnte hinein. Denn
vom untern Stockwerk wurden Stimmen laut, und einer
der Tatarenkellner geleitete fremde Herrſchaften hinauf.

„Liebe Fenitſchka!“ murmelte er faſſungslos und
horchte geſpannt nach dem Gang.

Sie ſtand, den Schleier in ihrer Hand zuſammen¬
gekrampft, und zitterte am ganzen Leibe, während ſie
mit einem wilden Blick um ſich ſah und hinter ſich, —
als ſtände da irgend jemand.

„Nein! nein! ich will das nicht! ich ertrag das
nicht!“ rief ſie außer ſich, — „Sie glauben, mich mit¬
leidig ignorieren zu müſſen, — und jetzt wieder — — —
mich ſchützen, — ich bin doch keine Verbrecherin, die
man aus lauter ritterlicher Schonung nicht erkennt,
— — o nein, pfui!“

Und ſie brach in leidenſchaftliches Weinen aus.

Er ſchob den einzigen bequemen Lehnſeſſel heran und
drückte ſie ſanft hinein.

„Beruhigen Sie ſich doch nur ein wenig, Fenitſchka,“
ſagte er, — „was ſind denn das für Ideen — Ver¬
brecherin, — Unſinn! Wollen Sie etwas trinken? Wein,
— Limonade? — Knöpfen Sie den Pelz ein wenig
auf, Sie erſticken mir ſonſt noch hier. Darf ich ihn
ein wenig aufknöpfen?“

Sie ſtieß ſeine Hand hinweg und weinte weiter.

Er kniete neben ihr auf den Teppich hin und bückte
demütig den Kopf.

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[60/0064] — 60 — auf und ſchob Fenia ſo eilig er konnte hinein. Denn vom untern Stockwerk wurden Stimmen laut, und einer der Tatarenkellner geleitete fremde Herrſchaften hinauf. „Liebe Fenitſchka!“ murmelte er faſſungslos und horchte geſpannt nach dem Gang. Sie ſtand, den Schleier in ihrer Hand zuſammen¬ gekrampft, und zitterte am ganzen Leibe, während ſie mit einem wilden Blick um ſich ſah und hinter ſich, — als ſtände da irgend jemand. „Nein! nein! ich will das nicht! ich ertrag das nicht!“ rief ſie außer ſich, — „Sie glauben, mich mit¬ leidig ignorieren zu müſſen, — und jetzt wieder — — — mich ſchützen, — ich bin doch keine Verbrecherin, die man aus lauter ritterlicher Schonung nicht erkennt, — — o nein, pfui!“ Und ſie brach in leidenſchaftliches Weinen aus. Er ſchob den einzigen bequemen Lehnſeſſel heran und drückte ſie ſanft hinein. „Beruhigen Sie ſich doch nur ein wenig, Fenitſchka,“ ſagte er, — „was ſind denn das für Ideen — Ver¬ brecherin, — Unſinn! Wollen Sie etwas trinken? Wein, — Limonade? — Knöpfen Sie den Pelz ein wenig auf, Sie erſticken mir ſonſt noch hier. Darf ich ihn ein wenig aufknöpfen?“ Sie ſtieß ſeine Hand hinweg und weinte weiter. Er kniete neben ihr auf den Teppich hin und bückte demütig den Kopf. „Ach, Fenia!“ ſagte er lachend, „was ſind Sie doch für ein verrückter Kerl! — Wenn Sie wütend ſind, ſo zauſen Sie mich, bitte, am Haar, — ſchlagen Sie mit

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/64>, abgerufen am 26.11.2024.