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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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in einen rohen Kampf hineinzerren, -- sozusagen auf die
Straße stellen zwischen den Pöbel --"

Fenia hatte sehr aufmerksam zugehört.

"Ja," sagte sie langsam, "so mögen wohl Männer
urteilen, -- -- ihr, denen alles gestattet ist, und für
die darum auch kein andrer Beweggrund zu einer Ge¬
heimhaltung vorzuliegen braucht, als nur solch ein innerer.
Aber für uns ist das ganz etwas andres. Wir fühlen
das wohl auch, -- ja sicher noch viel feiner und
scheuer als ihr, -- --aber wir fühlen auch den Schein
von Feigheit, der auf uns fällt dadurch, daß wir der
Heimlichkeit zu bedürfen glauben. Eine jede Heimlich¬
keit scheint nicht aus Feingefühl, sondern aus Menschen¬
furcht da zu sein, -- --und dann demütigt es uns auch,
wenn wir uns von Menschen achten und verehren lassen
müssen, deren ganze Anschauungsweise uns vielleicht ver¬
dammen würde im Falle unsrer Offenheit."

"Das kann unangenehm sein!" gab er zu, "aber
sobald es nur ein Opfer ist, das wir bringen, und nicht
ein erlogener Erfolg, den wir suchen, -- kann man sich
doch wohl darüber hinwegsetzen. All dies ist ja nur der
Schein der Feigheit, -- das klar zu erkennen und ruhig
zu tragen, wäre eigentlich erst die rechte Ueberlegenheit
über die menschlichen Vorurteile. Meinen Sie nicht?
Sonst ist man doch eigentlich nur ein Wahrheitsprotz."

Fenia schüttelte den Kopf und blickte nachdenklich
in das Fenster hinein, wo zwischen den Doppelscheiben
dicke weiße Wattschichten jeden Luftzug absperrten, und
mit Waldmoos und bunten Papierblumen häßlich genug
ausgeschmückt waren.

in einen rohen Kampf hineinzerren, — ſozuſagen auf die
Straße ſtellen zwiſchen den Pöbel —“

Fenia hatte ſehr aufmerkſam zugehört.

„Ja,“ ſagte ſie langſam, „ſo mögen wohl Männer
urteilen, — — ihr, denen alles geſtattet iſt, und für
die darum auch kein andrer Beweggrund zu einer Ge¬
heimhaltung vorzuliegen braucht, als nur ſolch ein innerer.
Aber für uns iſt das ganz etwas andres. Wir fühlen
das wohl auch, — ja ſicher noch viel feiner und
ſcheuer als ihr, — —aber wir fühlen auch den Schein
von Feigheit, der auf uns fällt dadurch, daß wir der
Heimlichkeit zu bedürfen glauben. Eine jede Heimlich¬
keit ſcheint nicht aus Feingefühl, ſondern aus Menſchen¬
furcht da zu ſein, — —und dann demütigt es uns auch,
wenn wir uns von Menſchen achten und verehren laſſen
müſſen, deren ganze Anſchauungsweiſe uns vielleicht ver¬
dammen würde im Falle unſrer Offenheit.“

„Das kann unangenehm ſein!“ gab er zu, „aber
ſobald es nur ein Opfer iſt, das wir bringen, und nicht
ein erlogener Erfolg, den wir ſuchen, — kann man ſich
doch wohl darüber hinwegſetzen. All dies iſt ja nur der
Schein der Feigheit, — das klar zu erkennen und ruhig
zu tragen, wäre eigentlich erſt die rechte Ueberlegenheit
über die menſchlichen Vorurteile. Meinen Sie nicht?
Sonſt iſt man doch eigentlich nur ein Wahrheitsprotz.“

Fenia ſchüttelte den Kopf und blickte nachdenklich
in das Fenſter hinein, wo zwiſchen den Doppelſcheiben
dicke weiße Wattſchichten jeden Luftzug abſperrten, und
mit Waldmoos und bunten Papierblumen häßlich genug
ausgeſchmückt waren.

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[55/0059] — 55 — in einen rohen Kampf hineinzerren, — ſozuſagen auf die Straße ſtellen zwiſchen den Pöbel —“ Fenia hatte ſehr aufmerkſam zugehört. „Ja,“ ſagte ſie langſam, „ſo mögen wohl Männer urteilen, — — ihr, denen alles geſtattet iſt, und für die darum auch kein andrer Beweggrund zu einer Ge¬ heimhaltung vorzuliegen braucht, als nur ſolch ein innerer. Aber für uns iſt das ganz etwas andres. Wir fühlen das wohl auch, — ja ſicher noch viel feiner und ſcheuer als ihr, — —aber wir fühlen auch den Schein von Feigheit, der auf uns fällt dadurch, daß wir der Heimlichkeit zu bedürfen glauben. Eine jede Heimlich¬ keit ſcheint nicht aus Feingefühl, ſondern aus Menſchen¬ furcht da zu ſein, — —und dann demütigt es uns auch, wenn wir uns von Menſchen achten und verehren laſſen müſſen, deren ganze Anſchauungsweiſe uns vielleicht ver¬ dammen würde im Falle unſrer Offenheit.“ „Das kann unangenehm ſein!“ gab er zu, „aber ſobald es nur ein Opfer iſt, das wir bringen, und nicht ein erlogener Erfolg, den wir ſuchen, — kann man ſich doch wohl darüber hinwegſetzen. All dies iſt ja nur der Schein der Feigheit, — das klar zu erkennen und ruhig zu tragen, wäre eigentlich erſt die rechte Ueberlegenheit über die menſchlichen Vorurteile. Meinen Sie nicht? Sonſt iſt man doch eigentlich nur ein Wahrheitsprotz.“ Fenia ſchüttelte den Kopf und blickte nachdenklich in das Fenſter hinein, wo zwiſchen den Doppelſcheiben dicke weiße Wattſchichten jeden Luftzug abſperrten, und mit Waldmoos und bunten Papierblumen häßlich genug ausgeſchmückt waren.

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/59>, abgerufen am 26.11.2024.