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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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er sich. Es war ganz merkwürdig, wie schwer es fiel,
die Frauen in ihrer reinmenschlichen Mannigfaltigkeit
aufzufassen, und nicht immer nur von der Geschlechts¬
natur aus, nicht immer nur halb schematisch. Sei es,
daß man sie idealisierte, oder satanisierte, immer verein¬
fachte man sie durch eine vereinzelte Rückbeziehung auf den
Mann. Vielleicht stammte vieles von der sogenannten
Sphinxhaftigkeit des Weibes daher, daß seine volle, seine
dem Mann um nichts nachstehende Menschlichkeit sich mit
dieser gewaltsamen Vereinfachung nicht deckte.

Am nächsten Morgen war es Max Werners erster
Gedanke, Fenia einen Besuch zu machen.

Sie wohnte etwa eine halbe Stunde den Newskij¬
prospekt weiter zur Admiralität hinauf in einem ganz
aus chambres meublees bestehenden Hause. Unten im
behaglich durchheizten Treppenraum, der oft eleganter
zu sein pflegt als die Wohnungen selbst, nahm ein Por¬
tier mit prächtigen Silberlitzen auf seiner Livree den
Ankommenden die Pelze ab. Auf der teppichbelegten
Treppe begegnete man auch gewöhnlich der Wirtin, einer
Provinzlerin in losem, weit nachschleppendem Kattunrock,
die hier von früh bis spät umherstrich und überall eine
gewisse Unruhe und Unordnung um sich verbreitete. Außer
ihrem Russisch radebrechte sie nur noch ein fehlerhaftes
Französisch, Deutsch war ihr gänzlich fremd.

Fenia besaß einen eignen Eingang von der Treppe
in ihr Wohnstübchen, das sich in ein schmales Schlaf¬
gemach öffnete. Das Fenster war ganz vollgestellt mit
schönen Blattpflanzen, die in der gleichmäßigen russischen
Zimmertemperatur so vortrefflich gedeihen. Neben dem

er ſich. Es war ganz merkwürdig, wie ſchwer es fiel,
die Frauen in ihrer reinmenſchlichen Mannigfaltigkeit
aufzufaſſen, und nicht immer nur von der Geſchlechts¬
natur aus, nicht immer nur halb ſchematiſch. Sei es,
daß man ſie idealiſierte, oder ſataniſierte, immer verein¬
fachte man ſie durch eine vereinzelte Rückbeziehung auf den
Mann. Vielleicht ſtammte vieles von der ſogenannten
Sphinxhaftigkeit des Weibes daher, daß ſeine volle, ſeine
dem Mann um nichts nachſtehende Menſchlichkeit ſich mit
dieſer gewaltſamen Vereinfachung nicht deckte.

Am nächſten Morgen war es Max Werners erſter
Gedanke, Fenia einen Beſuch zu machen.

Sie wohnte etwa eine halbe Stunde den Newskij¬
proſpekt weiter zur Admiralität hinauf in einem ganz
aus chambres meublées beſtehenden Hauſe. Unten im
behaglich durchheizten Treppenraum, der oft eleganter
zu ſein pflegt als die Wohnungen ſelbſt, nahm ein Por¬
tier mit prächtigen Silberlitzen auf ſeiner Livree den
Ankommenden die Pelze ab. Auf der teppichbelegten
Treppe begegnete man auch gewöhnlich der Wirtin, einer
Provinzlerin in loſem, weit nachſchleppendem Kattunrock,
die hier von früh bis ſpät umherſtrich und überall eine
gewiſſe Unruhe und Unordnung um ſich verbreitete. Außer
ihrem Ruſſiſch radebrechte ſie nur noch ein fehlerhaftes
Franzöſiſch, Deutſch war ihr gänzlich fremd.

Fenia beſaß einen eignen Eingang von der Treppe
in ihr Wohnſtübchen, das ſich in ein ſchmales Schlaf¬
gemach öffnete. Das Fenſter war ganz vollgeſtellt mit
ſchönen Blattpflanzen, die in der gleichmäßigen ruſſiſchen
Zimmertemperatur ſo vortrefflich gedeihen. Neben dem

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[52/0056] — 52 — er ſich. Es war ganz merkwürdig, wie ſchwer es fiel, die Frauen in ihrer reinmenſchlichen Mannigfaltigkeit aufzufaſſen, und nicht immer nur von der Geſchlechts¬ natur aus, nicht immer nur halb ſchematiſch. Sei es, daß man ſie idealiſierte, oder ſataniſierte, immer verein¬ fachte man ſie durch eine vereinzelte Rückbeziehung auf den Mann. Vielleicht ſtammte vieles von der ſogenannten Sphinxhaftigkeit des Weibes daher, daß ſeine volle, ſeine dem Mann um nichts nachſtehende Menſchlichkeit ſich mit dieſer gewaltſamen Vereinfachung nicht deckte. Am nächſten Morgen war es Max Werners erſter Gedanke, Fenia einen Beſuch zu machen. Sie wohnte etwa eine halbe Stunde den Newskij¬ proſpekt weiter zur Admiralität hinauf in einem ganz aus chambres meublées beſtehenden Hauſe. Unten im behaglich durchheizten Treppenraum, der oft eleganter zu ſein pflegt als die Wohnungen ſelbſt, nahm ein Por¬ tier mit prächtigen Silberlitzen auf ſeiner Livree den Ankommenden die Pelze ab. Auf der teppichbelegten Treppe begegnete man auch gewöhnlich der Wirtin, einer Provinzlerin in loſem, weit nachſchleppendem Kattunrock, die hier von früh bis ſpät umherſtrich und überall eine gewiſſe Unruhe und Unordnung um ſich verbreitete. Außer ihrem Ruſſiſch radebrechte ſie nur noch ein fehlerhaftes Franzöſiſch, Deutſch war ihr gänzlich fremd. Fenia beſaß einen eignen Eingang von der Treppe in ihr Wohnſtübchen, das ſich in ein ſchmales Schlaf¬ gemach öffnete. Das Fenſter war ganz vollgeſtellt mit ſchönen Blattpflanzen, die in der gleichmäßigen ruſſiſchen Zimmertemperatur ſo vortrefflich gedeihen. Neben dem

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/56>, abgerufen am 27.11.2024.