mühsamem Nebenerwerb, Stundengeben und Uebersetzungen aller Art hartnäckig fortsetzte. In Zürich schien sie mit lauter ihr befreundeten Männern zusammen zu studieren, -- einer von ihnen hatte sie in den Herbstferien auch hierher, nach Paris, begleitet, war dann aber nach Ru߬ land abgereist.
Kam daher dieser merkwürdig schwesterliche, geschlechts¬ lose Anstrich, den sie sich gab, als gäbe es für sie auf der Welt nur lauter Brüder? Oder war es nicht viel wahrscheinlicher, daß dies unendlich unbefangene Betragen nur den äußeren Deckmantel abgab für ein ganz freies Leben? Sie mußte doch schon recht viel von der Welt und den Menschen kennen, -- mehr als eines der wohl¬ behüteten jungen Mädchen unsrer Kreise.
Immer wieder schweiften seine Augen und seine Ge¬ danken zu ihr hinüber, von der er argwöhnte, sie halte sich eine höchst kluge und gelungene Maske vor. Steckte nicht hinter diesem Nonnenkleidchen, das unter den andern Toiletten fast auffiel, etwas recht Leicht¬ geschürztes, -- hinter diesem offenen, durchgeistigten Ge¬ sicht nicht etwas Sinnenheißes, worüber sich nur ein Tölpel täuschen ließ? -- Spielte nur seine eigne Phantasie ihm einen Streich, oder erinnerte Fenia nicht an die Magerkeit, Geistigkeit und stilisierte Einfachheit einer modern präraphaelitischen Gestalt, die so keusch aus¬ schauen will, und doch geheimnisvoll umblüht wird von verräterisch farbenheißen, seltsam berauschenden Blu¬ men -- --?
Jedenfalls ging etwas Aufregendes von Fenia über ihn aus und reizte ihn stark, trotz der Abneigung, die
mühſamem Nebenerwerb, Stundengeben und Ueberſetzungen aller Art hartnäckig fortſetzte. In Zürich ſchien ſie mit lauter ihr befreundeten Männern zuſammen zu ſtudieren, — einer von ihnen hatte ſie in den Herbſtferien auch hierher, nach Paris, begleitet, war dann aber nach Ru߬ land abgereiſt.
Kam daher dieſer merkwürdig ſchweſterliche, geſchlechts¬ loſe Anſtrich, den ſie ſich gab, als gäbe es für ſie auf der Welt nur lauter Brüder? Oder war es nicht viel wahrſcheinlicher, daß dies unendlich unbefangene Betragen nur den äußeren Deckmantel abgab für ein ganz freies Leben? Sie mußte doch ſchon recht viel von der Welt und den Menſchen kennen, — mehr als eines der wohl¬ behüteten jungen Mädchen unſrer Kreiſe.
Immer wieder ſchweiften ſeine Augen und ſeine Ge¬ danken zu ihr hinüber, von der er argwöhnte, ſie halte ſich eine höchſt kluge und gelungene Maske vor. Steckte nicht hinter dieſem Nonnenkleidchen, das unter den andern Toiletten faſt auffiel, etwas recht Leicht¬ geſchürztes, — hinter dieſem offenen, durchgeiſtigten Ge¬ ſicht nicht etwas Sinnenheißes, worüber ſich nur ein Tölpel täuſchen ließ? — Spielte nur ſeine eigne Phantaſie ihm einen Streich, oder erinnerte Fenia nicht an die Magerkeit, Geiſtigkeit und ſtiliſierte Einfachheit einer modern präraphaelitiſchen Geſtalt, die ſo keuſch aus¬ ſchauen will, und doch geheimnisvoll umblüht wird von verräteriſch farbenheißen, ſeltſam berauſchenden Blu¬ men — —?
Jedenfalls ging etwas Aufregendes von Fenia über ihn aus und reizte ihn ſtark, trotz der Abneigung, die
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mühſamem Nebenerwerb, Stundengeben und Ueberſetzungen
aller Art hartnäckig fortſetzte. In Zürich ſchien ſie mit
lauter ihr befreundeten Männern zuſammen zu ſtudieren,
— einer von ihnen hatte ſie in den Herbſtferien auch
hierher, nach Paris, begleitet, war dann aber nach Ru߬
land abgereiſt.
Kam daher dieſer merkwürdig ſchweſterliche, geſchlechts¬
loſe Anſtrich, den ſie ſich gab, als gäbe es für ſie auf
der Welt nur lauter Brüder? Oder war es nicht viel
wahrſcheinlicher, daß dies unendlich unbefangene Betragen
nur den äußeren Deckmantel abgab für ein ganz freies
Leben? Sie mußte doch ſchon recht viel von der Welt
und den Menſchen kennen, — mehr als eines der wohl¬
behüteten jungen Mädchen unſrer Kreiſe.
Immer wieder ſchweiften ſeine Augen und ſeine Ge¬
danken zu ihr hinüber, von der er argwöhnte, ſie
halte ſich eine höchſt kluge und gelungene Maske vor.
Steckte nicht hinter dieſem Nonnenkleidchen, das unter
den andern Toiletten faſt auffiel, etwas recht Leicht¬
geſchürztes, — hinter dieſem offenen, durchgeiſtigten Ge¬
ſicht nicht etwas Sinnenheißes, worüber ſich nur ein Tölpel
täuſchen ließ? — Spielte nur ſeine eigne Phantaſie
ihm einen Streich, oder erinnerte Fenia nicht an die
Magerkeit, Geiſtigkeit und ſtiliſierte Einfachheit einer
modern präraphaelitiſchen Geſtalt, die ſo keuſch aus¬
ſchauen will, und doch geheimnisvoll umblüht wird von
verräteriſch farbenheißen, ſeltſam berauſchenden Blu¬
men — —?
Jedenfalls ging etwas Aufregendes von Fenia über
ihn aus und reizte ihn ſtark, trotz der Abneigung, die
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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/20>, abgerufen am 16.07.2024.
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