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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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Heimlichkeiten. Gewiß, -- vielleicht. Vielleicht hat sie
auch ganz recht."

Ich tappte mich in die daneben gelegene Studier¬
stube, wo die Zündholzschachtel stets auf dem Rauch¬
tischchen lag, und machte Licht.

Jetzt, nach diesem Zwischenfall, mochte ich nicht,
wenigstens nicht gleich, zu Gabriele hinaufgehn, -- am
liebsten hätt ich es ganz gelassen.

Auf dem Kaminsims, zu beiden Seiten der kleinen
Standuhr, standen zwei Bronzeleuchter mit dicken Wachs¬
kerzen, die durch die Länge der Zeit förmlich von
Staub vergraut waren. Ich zündete eine davon an
und sah in Gedanken versunken in die gelbe ruhige
Flamme.

Welch ein keckes, leichtblütiges Ding dieses Mutchen
mit ihren achtzehn Jahren sein mußte! Ich selbst war
anders gewesen zu dieser Zeit, trotzdem sie eben versichert
hatte, ich schaute grade so aus, "als verstände ich das".

Und wer weiß! vielleicht hatte es auch nur der Zu¬
fall so gefügt. Der Zufall, der mich in eine rechte
Schwärmerei voll Traumromantik führte, weil er mich
von rascher Erfüllung der Liebeswünsche fernhielt.

Mutchen aber war nicht in lebensfremden Träumen
groß geworden, sie war ein rechtes Kind ihrer Zeit, das
das Leben allzu früh so gesehen hatte, wie es ist, und sich
nun mit heitern, listigen Augen einen Ausweg erspähte
aus den sie beengenden strengen Mädchensitten. Heute
liebte sie Doktor Gerold, wie sie behauptete; aber viel¬
leicht hatte sie sich schon in der Tanzklasse heimlich mit
halbwüchsigen Gymnasiasten angestoßen und sich auf die

Heimlichkeiten. Gewiß, — vielleicht. Vielleicht hat ſie
auch ganz recht.“

Ich tappte mich in die daneben gelegene Studier¬
ſtube, wo die Zündholzſchachtel ſtets auf dem Rauch¬
tiſchchen lag, und machte Licht.

Jetzt, nach dieſem Zwiſchenfall, mochte ich nicht,
wenigſtens nicht gleich, zu Gabriele hinaufgehn, — am
liebſten hätt ich es ganz gelaſſen.

Auf dem Kaminſims, zu beiden Seiten der kleinen
Standuhr, ſtanden zwei Bronzeleuchter mit dicken Wachs¬
kerzen, die durch die Länge der Zeit förmlich von
Staub vergraut waren. Ich zündete eine davon an
und ſah in Gedanken verſunken in die gelbe ruhige
Flamme.

Welch ein keckes, leichtblütiges Ding dieſes Mutchen
mit ihren achtzehn Jahren ſein mußte! Ich ſelbſt war
anders geweſen zu dieſer Zeit, trotzdem ſie eben verſichert
hatte, ich ſchaute grade ſo aus, „als verſtände ich das“.

Und wer weiß! vielleicht hatte es auch nur der Zu¬
fall ſo gefügt. Der Zufall, der mich in eine rechte
Schwärmerei voll Traumromantik führte, weil er mich
von raſcher Erfüllung der Liebeswünſche fernhielt.

Mutchen aber war nicht in lebensfremden Träumen
groß geworden, ſie war ein rechtes Kind ihrer Zeit, das
das Leben allzu früh ſo geſehen hatte, wie es iſt, und ſich
nun mit heitern, liſtigen Augen einen Ausweg erſpähte
aus den ſie beengenden ſtrengen Mädchenſitten. Heute
liebte ſie Doktor Gerold, wie ſie behauptete; aber viel¬
leicht hatte ſie ſich ſchon in der Tanzklaſſe heimlich mit
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[166/0170] — 166 — Heimlichkeiten. Gewiß, — vielleicht. Vielleicht hat ſie auch ganz recht.“ Ich tappte mich in die daneben gelegene Studier¬ ſtube, wo die Zündholzſchachtel ſtets auf dem Rauch¬ tiſchchen lag, und machte Licht. Jetzt, nach dieſem Zwiſchenfall, mochte ich nicht, wenigſtens nicht gleich, zu Gabriele hinaufgehn, — am liebſten hätt ich es ganz gelaſſen. Auf dem Kaminſims, zu beiden Seiten der kleinen Standuhr, ſtanden zwei Bronzeleuchter mit dicken Wachs¬ kerzen, die durch die Länge der Zeit förmlich von Staub vergraut waren. Ich zündete eine davon an und ſah in Gedanken verſunken in die gelbe ruhige Flamme. Welch ein keckes, leichtblütiges Ding dieſes Mutchen mit ihren achtzehn Jahren ſein mußte! Ich ſelbſt war anders geweſen zu dieſer Zeit, trotzdem ſie eben verſichert hatte, ich ſchaute grade ſo aus, „als verſtände ich das“. Und wer weiß! vielleicht hatte es auch nur der Zu¬ fall ſo gefügt. Der Zufall, der mich in eine rechte Schwärmerei voll Traumromantik führte, weil er mich von raſcher Erfüllung der Liebeswünſche fernhielt. Mutchen aber war nicht in lebensfremden Träumen groß geworden, ſie war ein rechtes Kind ihrer Zeit, das das Leben allzu früh ſo geſehen hatte, wie es iſt, und ſich nun mit heitern, liſtigen Augen einen Ausweg erſpähte aus den ſie beengenden ſtrengen Mädchenſitten. Heute liebte ſie Doktor Gerold, wie ſie behauptete; aber viel¬ leicht hatte ſie ſich ſchon in der Tanzklaſſe heimlich mit halbwüchſigen Gymnaſiaſten angeſtoßen und ſich auf die

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/170>, abgerufen am 24.11.2024.