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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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auf der Straße sehen; wie schön würd ich da nach¬
humpeln müssen."

Benno warf ihr durch seine Brille einen forschenden
Blick zu.

"Grade deshalb!" bemerkte er, "denn wären Sie
so schlank gewachsen wie eine Tanne im Walde, so wür¬
den Sie in andrer Hinsicht schwerlich so hoch in die Höhe
gewachsen, sondern recht oberflächlich ausgefallen sein,
und unsrer Dina in allen Stücken nachhumpeln müssen."

Sie strahlte ihn statt jeder Antwort mit ihren dank¬
baren, glücklichen Augen an, und ich sah es ihr an, wie
völlig geborgen sie sich vorkam, -- auf eine Stunde
vor allem Ungemach geborgen, und mit ihm zu zweit
allein.

"Ich gehe nun hinüber," äußerte ich und gab ihr
die Hand, "ich denke aber, daß wir bald wieder mit¬
einander plaudern."

"Bald, ja!" versetzte sie zerstreut und blickte unver¬
sehens Benno an, statt mich, "-- wenn man mich nur
bald wieder herläßt. Jetzt gibt es so viele Abhaltungen
vor Weihnachten. Deswegen mußt ich heute schon so
früh kommen, -- später käm ich nicht frei."

Ich verließ das Zimmer fast mit einer wunderlichen
Regung von Neid. Ja, ich beneidete beinah die kleine
Verwachsene um die harmlose Romantik, womit sie da
drinnen bei Benno ihren Anteil an Menschenglück sich
vorweg nahm. Sie konnte ihn hoch über sich stellen,
sich selbst demütig unter ihn, ohne daß diese halb er¬
träumte Situation sich jemals zu ändern brauchte, ohne
daß die Wirklichkeit des Lebens sie jemals in ihren Illu¬

auf der Straße ſehen; wie ſchön würd ich da nach¬
humpeln müſſen.“

Benno warf ihr durch ſeine Brille einen forſchenden
Blick zu.

„Grade deshalb!“ bemerkte er, „denn wären Sie
ſo ſchlank gewachſen wie eine Tanne im Walde, ſo wür¬
den Sie in andrer Hinſicht ſchwerlich ſo hoch in die Höhe
gewachſen, ſondern recht oberflächlich ausgefallen ſein,
und unſrer Dina in allen Stücken nachhumpeln müſſen.“

Sie ſtrahlte ihn ſtatt jeder Antwort mit ihren dank¬
baren, glücklichen Augen an, und ich ſah es ihr an, wie
völlig geborgen ſie ſich vorkam, — auf eine Stunde
vor allem Ungemach geborgen, und mit ihm zu zweit
allein.

„Ich gehe nun hinüber,“ äußerte ich und gab ihr
die Hand, „ich denke aber, daß wir bald wieder mit¬
einander plaudern.“

„Bald, ja!“ verſetzte ſie zerſtreut und blickte unver¬
ſehens Benno an, ſtatt mich, „— wenn man mich nur
bald wieder herläßt. Jetzt gibt es ſo viele Abhaltungen
vor Weihnachten. Deswegen mußt ich heute ſchon ſo
früh kommen, — ſpäter käm ich nicht frei.“

Ich verließ das Zimmer faſt mit einer wunderlichen
Regung von Neid. Ja, ich beneidete beinah die kleine
Verwachſene um die harmloſe Romantik, womit ſie da
drinnen bei Benno ihren Anteil an Menſchenglück ſich
vorweg nahm. Sie konnte ihn hoch über ſich ſtellen,
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[156/0160] — 156 — auf der Straße ſehen; wie ſchön würd ich da nach¬ humpeln müſſen.“ Benno warf ihr durch ſeine Brille einen forſchenden Blick zu. „Grade deshalb!“ bemerkte er, „denn wären Sie ſo ſchlank gewachſen wie eine Tanne im Walde, ſo wür¬ den Sie in andrer Hinſicht ſchwerlich ſo hoch in die Höhe gewachſen, ſondern recht oberflächlich ausgefallen ſein, und unſrer Dina in allen Stücken nachhumpeln müſſen.“ Sie ſtrahlte ihn ſtatt jeder Antwort mit ihren dank¬ baren, glücklichen Augen an, und ich ſah es ihr an, wie völlig geborgen ſie ſich vorkam, — auf eine Stunde vor allem Ungemach geborgen, und mit ihm zu zweit allein. „Ich gehe nun hinüber,“ äußerte ich und gab ihr die Hand, „ich denke aber, daß wir bald wieder mit¬ einander plaudern.“ „Bald, ja!“ verſetzte ſie zerſtreut und blickte unver¬ ſehens Benno an, ſtatt mich, „— wenn man mich nur bald wieder herläßt. Jetzt gibt es ſo viele Abhaltungen vor Weihnachten. Deswegen mußt ich heute ſchon ſo früh kommen, — ſpäter käm ich nicht frei.“ Ich verließ das Zimmer faſt mit einer wunderlichen Regung von Neid. Ja, ich beneidete beinah die kleine Verwachſene um die harmloſe Romantik, womit ſie da drinnen bei Benno ihren Anteil an Menſchenglück ſich vorweg nahm. Sie konnte ihn hoch über ſich ſtellen, ſich ſelbſt demütig unter ihn, ohne daß dieſe halb er¬ träumte Situation ſich jemals zu ändern brauchte, ohne daß die Wirklichkeit des Lebens ſie jemals in ihren Illu¬

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/160>, abgerufen am 23.11.2024.