fiel, mit großer Unbefangenheit beobachtet. Jetzt aber wurde sie ganz sichtlich von einer so intensiven Anteilnahme erfüllt, daß sie zuletzt, -- offenbar ganz unwillkürlich, wie außer stande länger passiv zu verharren, -- sich langsam erhob und die eine Hand gegen die Lärmenden ausstreckte, als müsse sie eingreifen oder Halt gebieten. Im selben Augenblick ward sie sich ihrer spontanen Bewegung bewußt, hielt sich zurück, und errötete stark, wodurch sie plötzlich ganz lieb und kindlich, und ein wenig hilflos aussah.
Während sie aber so dastand, traf ihr Blick den der Grisette, die in ihrer Ratlosigkeit und Verlassenheit an¬ gefangen hatte zu weinen, so daß große Thränen ihr über die heißen geschminkten Wangen rollten, und ihre Lippen sich konvulsivisch verzogen. Unter dem langen, eigentümlichen Blick, den sie mit Fenia austauschte, ver¬ änderte sich der Ausdruck des weinenden Gesichts; von Fenias Augen schien eine Hilfe, eine Liebkosung, eine Aufrichtung auszugehn, etwas, was die Einsamkeit dieses getretenen Geschöpfes aufhob. Man konnte vom Tisch aus deutlich den Stimmungswechsel auf ihren Zügen ver¬ folgen, denn sie saß fast grade gegenüber am Fenster. Ein Danken, Staunen, Nachsinnen, -- ein momen¬ tanes Taubwerden für ihre lärmende Umgebung und deren Schmähreden ließ ihre Thränen versiegen, und sie achtete kaum noch darauf, daß das Paar neben ihr sich erhob, um fortzugehn, und auch ihr Begleiter seinen schäbigen Cylinder vom Wandhaken abhob.
Da stieß er sie brutal mit dem Ellenbogen an und forderte sie auf, sich zu beeilen.
Sie schüttelte den Kopf und erwiderte einige Worte
fiel, mit großer Unbefangenheit beobachtet. Jetzt aber wurde ſie ganz ſichtlich von einer ſo intenſiven Anteilnahme erfüllt, daß ſie zuletzt, — offenbar ganz unwillkürlich, wie außer ſtande länger paſſiv zu verharren, — ſich langſam erhob und die eine Hand gegen die Lärmenden ausſtreckte, als müſſe ſie eingreifen oder Halt gebieten. Im ſelben Augenblick ward ſie ſich ihrer ſpontanen Bewegung bewußt, hielt ſich zurück, und errötete ſtark, wodurch ſie plötzlich ganz lieb und kindlich, und ein wenig hilflos ausſah.
Während ſie aber ſo daſtand, traf ihr Blick den der Griſette, die in ihrer Ratloſigkeit und Verlaſſenheit an¬ gefangen hatte zu weinen, ſo daß große Thränen ihr über die heißen geſchminkten Wangen rollten, und ihre Lippen ſich konvulſiviſch verzogen. Unter dem langen, eigentümlichen Blick, den ſie mit Fenia austauſchte, ver¬ änderte ſich der Ausdruck des weinenden Geſichts; von Fenias Augen ſchien eine Hilfe, eine Liebkoſung, eine Aufrichtung auszugehn, etwas, was die Einſamkeit dieſes getretenen Geſchöpfes aufhob. Man konnte vom Tiſch aus deutlich den Stimmungswechſel auf ihren Zügen ver¬ folgen, denn ſie ſaß faſt grade gegenüber am Fenſter. Ein Danken, Staunen, Nachſinnen, — ein momen¬ tanes Taubwerden für ihre lärmende Umgebung und deren Schmähreden ließ ihre Thränen verſiegen, und ſie achtete kaum noch darauf, daß das Paar neben ihr ſich erhob, um fortzugehn, und auch ihr Begleiter ſeinen ſchäbigen Cylinder vom Wandhaken abhob.
Da ſtieß er ſie brutal mit dem Ellenbogen an und forderte ſie auf, ſich zu beeilen.
Sie ſchüttelte den Kopf und erwiderte einige Worte
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fiel, mit großer Unbefangenheit beobachtet. Jetzt aber
wurde ſie ganz ſichtlich von einer ſo intenſiven Anteilnahme
erfüllt, daß ſie zuletzt, — offenbar ganz unwillkürlich, wie
außer ſtande länger paſſiv zu verharren, — ſich langſam
erhob und die eine Hand gegen die Lärmenden ausſtreckte,
als müſſe ſie eingreifen oder Halt gebieten. Im ſelben
Augenblick ward ſie ſich ihrer ſpontanen Bewegung bewußt,
hielt ſich zurück, und errötete ſtark, wodurch ſie plötzlich
ganz lieb und kindlich, und ein wenig hilflos ausſah.
Während ſie aber ſo daſtand, traf ihr Blick den der
Griſette, die in ihrer Ratloſigkeit und Verlaſſenheit an¬
gefangen hatte zu weinen, ſo daß große Thränen ihr
über die heißen geſchminkten Wangen rollten, und ihre
Lippen ſich konvulſiviſch verzogen. Unter dem langen,
eigentümlichen Blick, den ſie mit Fenia austauſchte, ver¬
änderte ſich der Ausdruck des weinenden Geſichts; von
Fenias Augen ſchien eine Hilfe, eine Liebkoſung, eine
Aufrichtung auszugehn, etwas, was die Einſamkeit dieſes
getretenen Geſchöpfes aufhob. Man konnte vom Tiſch
aus deutlich den Stimmungswechſel auf ihren Zügen ver¬
folgen, denn ſie ſaß faſt grade gegenüber am Fenſter.
Ein Danken, Staunen, Nachſinnen, — ein momen¬
tanes Taubwerden für ihre lärmende Umgebung und
deren Schmähreden ließ ihre Thränen verſiegen, und
ſie achtete kaum noch darauf, daß das Paar neben ihr
ſich erhob, um fortzugehn, und auch ihr Begleiter ſeinen
ſchäbigen Cylinder vom Wandhaken abhob.
Da ſtieß er ſie brutal mit dem Ellenbogen an und
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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/14>, abgerufen am 16.02.2025.
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