Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.daherfahrend, fegte über die Oderniederungen und die Man konnte in dem von Schneeflocken umtanzten Als ich bei unsern großen, einförmigen Anstalts¬ Er stand ganz regungslos da, und blickte mir entgegen, daherfahrend, fegte über die Oderniederungen und die Man konnte in dem von Schneeflocken umtanzten Als ich bei unſern großen, einförmigen Anſtalts¬ Er ſtand ganz regungslos da, und blickte mir entgegen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0124" n="120"/><fw type="pageNum" place="top">— 120 —<lb/></fw>daherfahrend, fegte über die Oderniederungen und die<lb/> ſchleſiſche Ebene hin, das kleine Brieg lag förmlich ein¬<lb/> geſargt im tiefen weißen Winterſchnee. Bei dieſem<lb/> Wetter waren die winkligen Gaſſen trotz der Weihnachts¬<lb/> zeit noch ſtiller, noch menſchenleerer als ſonſt, und in den<lb/> Häuſern brannten die Lampen hinter feſt zugezogenen<lb/> Vorhängen.</p><lb/> <p>Man konnte in dem von Schneeflocken umtanzten<lb/> Laternenſchein nicht gerade viel erkennen, aber das ſah<lb/> ich doch mit lebhaftem Bedauern, bis zu welchem Grade<lb/> die alte charakteriſtiſche Stadtphyſiognomie ſich im Lauf<lb/> der Jahre verjüngt zu haben ſchien. Schon vermißte<lb/> ich an den ſchmalen alten Häuſern hier und da das<lb/> köſtlichſte Giebelwerk, und überall hatte die ſchlechte Glätte<lb/> billiger Moderniſierung begonnen, die verfallende Schön¬<lb/> heit zu erſetzen. Auch Brieg ging alſo vorwärts! es<lb/> war nicht mehr ganz das alte, vertraute Städtchen, auf<lb/> deſſen winklige Enge ich mich gefreut hatte. Der Fort¬<lb/> ſchritt des Lebens mit ſeinen praktiſchen Anforderungen,<lb/> der häufiger das Banale nützlich findet als das Seltene,<lb/> hatte auch hier manches Schöne als Hindernis aus dem<lb/> Wege geräumt.</p><lb/> <p>Als ich bei unſern großen, einförmigen Anſtalts¬<lb/> gebäuden anlangte, ſah ich ganz nah am Eingang unſers<lb/> Hauſes einen Mann ſtehn, im weiten Mantel und eine<lb/> Fellmütze auf dem Kopfe.</p><lb/> <p>Er ſtand ganz regungslos da, und blickte mir entgegen,<lb/> während ich mich am Parkgitter des Irrenhauſes entlang<lb/> ihm mehr und mehr näherte. Der Laternenſchein fiel<lb/> ihm in den Rücken, ſo daß ſeine Züge im Dunkeln<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [120/0124]
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daherfahrend, fegte über die Oderniederungen und die
ſchleſiſche Ebene hin, das kleine Brieg lag förmlich ein¬
geſargt im tiefen weißen Winterſchnee. Bei dieſem
Wetter waren die winkligen Gaſſen trotz der Weihnachts¬
zeit noch ſtiller, noch menſchenleerer als ſonſt, und in den
Häuſern brannten die Lampen hinter feſt zugezogenen
Vorhängen.
Man konnte in dem von Schneeflocken umtanzten
Laternenſchein nicht gerade viel erkennen, aber das ſah
ich doch mit lebhaftem Bedauern, bis zu welchem Grade
die alte charakteriſtiſche Stadtphyſiognomie ſich im Lauf
der Jahre verjüngt zu haben ſchien. Schon vermißte
ich an den ſchmalen alten Häuſern hier und da das
köſtlichſte Giebelwerk, und überall hatte die ſchlechte Glätte
billiger Moderniſierung begonnen, die verfallende Schön¬
heit zu erſetzen. Auch Brieg ging alſo vorwärts! es
war nicht mehr ganz das alte, vertraute Städtchen, auf
deſſen winklige Enge ich mich gefreut hatte. Der Fort¬
ſchritt des Lebens mit ſeinen praktiſchen Anforderungen,
der häufiger das Banale nützlich findet als das Seltene,
hatte auch hier manches Schöne als Hindernis aus dem
Wege geräumt.
Als ich bei unſern großen, einförmigen Anſtalts¬
gebäuden anlangte, ſah ich ganz nah am Eingang unſers
Hauſes einen Mann ſtehn, im weiten Mantel und eine
Fellmütze auf dem Kopfe.
Er ſtand ganz regungslos da, und blickte mir entgegen,
während ich mich am Parkgitter des Irrenhauſes entlang
ihm mehr und mehr näherte. Der Laternenſchein fiel
ihm in den Rücken, ſo daß ſeine Züge im Dunkeln
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