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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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es aussprach, aber im geheimsten Herzen war es doch nur
Furcht, die mich von meiner geliebten Kunst hinweg¬
scheuchte, Furcht wie vor der großen Verführung, der
nichts widersteht: ich fühlte, daß sie mich losreißen würde
von allem, was Benno wollte, und was ich also selbst
wollte, und mich ihm ganz fremd machen würde --.

Ich konnte Gabriele nicht einmal um ihre sichere
Kampfesfreude gegen ihre ganze Umgebung beneiden,
denn ich war ja so leidenschaftlich bereit zu unterliegen,
und sollte ich selbst darüber in tausend Stücke gehn.
Das Ideal einer kleinen Brieger Hausfrau, das ihr nur
lästig und lächerlich erschien, und das sie deshalb nur so
nebenher, mit halber Kraft, verwirklichte, trug für mich
geheimnisvolle Märtyrer- und Asketenzüge; ich ging einen
Weg der gewaltsamen Selbstkasteiung aus lauter hilf¬
loser Liebessehnsucht.

Die Folgen blieben nicht aus. Ich wurde blaß
und mager, und von immer krankhafterer Unsicherheit
und Reizbarkeit. Benno, der ohnehin die Grenzen des
Normalen allzu eng steckte, und bei all seinen eingeheimsten
Kenntnissen doch noch wenig Lebenserfahrung besaß,
schien besorgt, meine Mutter fing an ratlos zu trauern.

Der ärztliche Ausdruck, der zuweilen in Bennos ohne¬
hin so ernstem Gesicht vorherrschte, machte mich noch
scheuer; ich war ja jetzt seiner Liebe keineswegs mehr
so naiv sicher wie einst: je untauglicher ich mir selbst
für alles vorkam, was er mit mir vorhatte, desto un¬
fehlbarer und autoritativer kam er mir vor, und seine
Liebe als etwas nur durch Selbstüberwindung sicher zu
Erringendes.

Lou Andreas-Salome, Fenitschka 8

es ausſprach, aber im geheimſten Herzen war es doch nur
Furcht, die mich von meiner geliebten Kunſt hinweg¬
ſcheuchte, Furcht wie vor der großen Verführung, der
nichts widerſteht: ich fühlte, daß ſie mich losreißen würde
von allem, was Benno wollte, und was ich alſo ſelbſt
wollte, und mich ihm ganz fremd machen würde —.

Ich konnte Gabriele nicht einmal um ihre ſichere
Kampfesfreude gegen ihre ganze Umgebung beneiden,
denn ich war ja ſo leidenſchaftlich bereit zu unterliegen,
und ſollte ich ſelbſt darüber in tauſend Stücke gehn.
Das Ideal einer kleinen Brieger Hausfrau, das ihr nur
läſtig und lächerlich erſchien, und das ſie deshalb nur ſo
nebenher, mit halber Kraft, verwirklichte, trug für mich
geheimnisvolle Märtyrer- und Asketenzüge; ich ging einen
Weg der gewaltſamen Selbſtkaſteiung aus lauter hilf¬
loſer Liebesſehnſucht.

Die Folgen blieben nicht aus. Ich wurde blaß
und mager, und von immer krankhafterer Unſicherheit
und Reizbarkeit. Benno, der ohnehin die Grenzen des
Normalen allzu eng ſteckte, und bei all ſeinen eingeheimſten
Kenntniſſen doch noch wenig Lebenserfahrung beſaß,
ſchien beſorgt, meine Mutter fing an ratlos zu trauern.

Der ärztliche Ausdruck, der zuweilen in Bennos ohne¬
hin ſo ernſtem Geſicht vorherrſchte, machte mich noch
ſcheuer; ich war ja jetzt ſeiner Liebe keineswegs mehr
ſo naiv ſicher wie einſt: je untauglicher ich mir ſelbſt
für alles vorkam, was er mit mir vorhatte, deſto un¬
fehlbarer und autoritativer kam er mir vor, und ſeine
Liebe als etwas nur durch Selbſtüberwindung ſicher zu
Erringendes.

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[113/0117] — 113 — es ausſprach, aber im geheimſten Herzen war es doch nur Furcht, die mich von meiner geliebten Kunſt hinweg¬ ſcheuchte, Furcht wie vor der großen Verführung, der nichts widerſteht: ich fühlte, daß ſie mich losreißen würde von allem, was Benno wollte, und was ich alſo ſelbſt wollte, und mich ihm ganz fremd machen würde —. Ich konnte Gabriele nicht einmal um ihre ſichere Kampfesfreude gegen ihre ganze Umgebung beneiden, denn ich war ja ſo leidenſchaftlich bereit zu unterliegen, und ſollte ich ſelbſt darüber in tauſend Stücke gehn. Das Ideal einer kleinen Brieger Hausfrau, das ihr nur läſtig und lächerlich erſchien, und das ſie deshalb nur ſo nebenher, mit halber Kraft, verwirklichte, trug für mich geheimnisvolle Märtyrer- und Asketenzüge; ich ging einen Weg der gewaltſamen Selbſtkaſteiung aus lauter hilf¬ loſer Liebesſehnſucht. Die Folgen blieben nicht aus. Ich wurde blaß und mager, und von immer krankhafterer Unſicherheit und Reizbarkeit. Benno, der ohnehin die Grenzen des Normalen allzu eng ſteckte, und bei all ſeinen eingeheimſten Kenntniſſen doch noch wenig Lebenserfahrung beſaß, ſchien beſorgt, meine Mutter fing an ratlos zu trauern. Der ärztliche Ausdruck, der zuweilen in Bennos ohne¬ hin ſo ernſtem Geſicht vorherrſchte, machte mich noch ſcheuer; ich war ja jetzt ſeiner Liebe keineswegs mehr ſo naiv ſicher wie einſt: je untauglicher ich mir ſelbſt für alles vorkam, was er mit mir vorhatte, deſto un¬ fehlbarer und autoritativer kam er mir vor, und ſeine Liebe als etwas nur durch Selbſtüberwindung ſicher zu Erringendes. Lou Andreas-Salomé, Fenitſchka 8

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/117>, abgerufen am 24.11.2024.