Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910.EINLEITUNG Man mag das Problem des Erotischen anfassen wo man will, stets behält man die Empfindung, es höchst einseitig getan zu haben. Am allermeisten aber wohl dann, wenn es mit Mitteln der Logik versucht wurde: also von seiner Außenseite her. Bedeutet das an sich ja schon: so lange und so viel unmittelbare Lebendigkeit der Eindrücke abziehn, bis man sich in bequemster Übereinstimmung mit einer möglichst großen Gesellschaft befindet. Oder anders ausgedrückt: die Dinge genügend unsubjektiv, genügend fremd von uns selber vorstellen, um anstatt der Ganzheit, Unzerstücktheit einer Lebensäußerung, ein auseinanderlegliches Stückwerk zu erlangen, das sich eben hierdurch im Wort fest fixieren, praktisch sicher handhaben, einseitig-total überblicken läßt. Nun muß aber diese nämliche Darstellungsmethode, diese notgedrungen alles verstofflichende, entseelende, auch auf das angewandt werden, was uns im nähern nur subjektiv bekannt, nur individuell zu erleben möglich ist, was wir deshalb gewöhnt sind als die "geistigen" oder "seelischen" Eindrücke von den Dingen zu bezeichnen, d. h. einfach: die Eindrücke sofern und soweit sie sich grade ihr prinzipiell entziehen. Um der Übereinstimmung willen, die dabei erzielt werden soll, können wir auch solchen andersartigen Wirkungen EINLEITUNG Man mag das Problem des Erotischen anfassen wo man will, stets behält man die Empfindung, es höchst einseitig getan zu haben. Am allermeisten aber wohl dann, wenn es mit Mitteln der Logik versucht wurde: also von seiner Außenseite her. Bedeutet das an sich ja schon: so lange und so viel unmittelbare Lebendigkeit der Eindrücke abziehn, bis man sich in bequemster Übereinstimmung mit einer möglichst großen Gesellschaft befindet. Oder anders ausgedrückt: die Dinge genügend unsubjektiv, genügend fremd von uns selber vorstellen, um anstatt der Ganzheit, Unzerstücktheit einer Lebensäußerung, ein auseinanderlegliches Stückwerk zu erlangen, das sich eben hierdurch im Wort fest fixieren, praktisch sicher handhaben, einseitig-total überblicken läßt. Nun muß aber diese nämliche Darstellungsmethode, diese notgedrungen alles verstofflichende, entseelende, auch auf das angewandt werden, was uns im nähern nur subjektiv bekannt, nur individuell zu erleben möglich ist, was wir deshalb gewöhnt sind als die „geistigen“ oder „seelischen“ Eindrücke von den Dingen zu bezeichnen, d. h. einfach: die Eindrücke sofern und soweit sie sich grade ihr prinzipiell entziehen. Um der Übereinstimmung willen, die dabei erzielt werden soll, können wir auch solchen andersartigen Wirkungen <TEI> <text> <pb facs="#f0005" n="5"/> <body> <div n="1"> <head>EINLEITUNG<lb/></head> <p>Man mag das Problem des Erotischen anfassen wo man will, stets behält man die Empfindung, es höchst einseitig getan zu haben. Am allermeisten aber wohl dann, wenn es mit Mitteln der Logik versucht wurde: also von seiner Außenseite her.</p> <p>Bedeutet das an sich ja schon: so lange und so viel unmittelbare Lebendigkeit der Eindrücke abziehn, bis man sich in bequemster Übereinstimmung mit einer möglichst großen Gesellschaft befindet. Oder anders ausgedrückt: die Dinge genügend unsubjektiv, genügend fremd von uns selber vorstellen, um anstatt der Ganzheit, Unzerstücktheit einer Lebensäußerung, ein auseinanderlegliches Stückwerk zu erlangen, das sich eben hierdurch im Wort fest fixieren, praktisch sicher handhaben, einseitig-total überblicken läßt.</p> <p>Nun muß aber diese nämliche Darstellungsmethode, diese notgedrungen alles verstofflichende, entseelende, auch auf das angewandt werden, was uns im nähern nur subjektiv bekannt, nur individuell zu erleben möglich ist, was wir deshalb gewöhnt sind als die „geistigen“ oder „seelischen“ Eindrücke von den Dingen zu bezeichnen, d. h. einfach: die Eindrücke sofern und soweit sie sich grade ihr prinzipiell entziehen. Um der Übereinstimmung willen, die dabei erzielt werden soll, können wir auch solchen andersartigen Wirkungen </p> </div> </body> </text> </TEI> [5/0005]
EINLEITUNG
Man mag das Problem des Erotischen anfassen wo man will, stets behält man die Empfindung, es höchst einseitig getan zu haben. Am allermeisten aber wohl dann, wenn es mit Mitteln der Logik versucht wurde: also von seiner Außenseite her.
Bedeutet das an sich ja schon: so lange und so viel unmittelbare Lebendigkeit der Eindrücke abziehn, bis man sich in bequemster Übereinstimmung mit einer möglichst großen Gesellschaft befindet. Oder anders ausgedrückt: die Dinge genügend unsubjektiv, genügend fremd von uns selber vorstellen, um anstatt der Ganzheit, Unzerstücktheit einer Lebensäußerung, ein auseinanderlegliches Stückwerk zu erlangen, das sich eben hierdurch im Wort fest fixieren, praktisch sicher handhaben, einseitig-total überblicken läßt.
Nun muß aber diese nämliche Darstellungsmethode, diese notgedrungen alles verstofflichende, entseelende, auch auf das angewandt werden, was uns im nähern nur subjektiv bekannt, nur individuell zu erleben möglich ist, was wir deshalb gewöhnt sind als die „geistigen“ oder „seelischen“ Eindrücke von den Dingen zu bezeichnen, d. h. einfach: die Eindrücke sofern und soweit sie sich grade ihr prinzipiell entziehen. Um der Übereinstimmung willen, die dabei erzielt werden soll, können wir auch solchen andersartigen Wirkungen
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Zitationshilfe: | Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_erotik_1910/5>, abgerufen am 03.03.2025. |