Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sogleich jene Ihnen so unheimliche Thür verschließen und, wenn Sie es wünschen, vernageln lassen. Nicht doch, versetzt' ich eifrig, ich weiß ja nun nach eigener Erfahrung, was dahinter ist, und werde sicherlich keine neue Entdeckungsreise in jenes Gebiet unternehmen. Außerdem haben die Begebenheiten jener Nacht mich von meiner Furchtsamkeit geheilt; ich weiß jetzt: Niemand entgeht seinem Schicksal. Ein wahres Wort, erwiderte der Baron, und man konnte mir Diderot's Jaques le fataliste sagen: Es stand dort oben geschrieben, daß Sie nicht in diesem Bette schlafen, daß Sie in einem Heuschober übernachten und aus demselben ins Gefängniß wandern sollten. -- Nun, ich lobe jetzt die Wanderung; hat sie mich doch ans Ziel meiner Wünsche geführt. Wir umarmten uns herzlich und kehrten zu den Damen zurück. Soll ich noch erzählen, wie wir Tags darauf zu dem Grafen S. fuhren, wie derselbe mich überaus gütig empfing und das dem Baron gemachte Versprechen erneuerte? -- Es genüge, daß ich nach einigen Wochen als ordinirter Prediger mit meiner überglücklichen Mutter in dem freundlichen Pfarrhause zu --dorf saß. Der Baron hatte dasselbe in meiner Abwesenheit aufs Herrlichste in Stand setzen lassen; es war weit stattlicher und größer als das, welches ich mir in meinen Träumereien erbaut hatte. Auch war ein kühler, schattiger Garten dahinter mit einer Laube, zwar nicht von Geisblatt, aber von andern, auch ganz artigen Schlinggewächsen. Und als ich an einem schönen Maimorgen neben meiner Mutter in besagter Laube am Kaffeetisch saß und die Predigt für den nächsten Sonntag meditirte, da fehlte mir wirklich nichts mehr, um der glücklichste Erdbewohner zu sein. Doch nein, Etwas fehlte mir noch. Das bewiesen schon die häufigen Spaziergange, welche ich oft beim schlechtesten Wetter, nach dem Schlosse des Barons sogleich jene Ihnen so unheimliche Thür verschließen und, wenn Sie es wünschen, vernageln lassen. Nicht doch, versetzt' ich eifrig, ich weiß ja nun nach eigener Erfahrung, was dahinter ist, und werde sicherlich keine neue Entdeckungsreise in jenes Gebiet unternehmen. Außerdem haben die Begebenheiten jener Nacht mich von meiner Furchtsamkeit geheilt; ich weiß jetzt: Niemand entgeht seinem Schicksal. Ein wahres Wort, erwiderte der Baron, und man konnte mir Diderot's Jaques le fataliste sagen: Es stand dort oben geschrieben, daß Sie nicht in diesem Bette schlafen, daß Sie in einem Heuschober übernachten und aus demselben ins Gefängniß wandern sollten. — Nun, ich lobe jetzt die Wanderung; hat sie mich doch ans Ziel meiner Wünsche geführt. Wir umarmten uns herzlich und kehrten zu den Damen zurück. Soll ich noch erzählen, wie wir Tags darauf zu dem Grafen S. fuhren, wie derselbe mich überaus gütig empfing und das dem Baron gemachte Versprechen erneuerte? — Es genüge, daß ich nach einigen Wochen als ordinirter Prediger mit meiner überglücklichen Mutter in dem freundlichen Pfarrhause zu —dorf saß. Der Baron hatte dasselbe in meiner Abwesenheit aufs Herrlichste in Stand setzen lassen; es war weit stattlicher und größer als das, welches ich mir in meinen Träumereien erbaut hatte. Auch war ein kühler, schattiger Garten dahinter mit einer Laube, zwar nicht von Geisblatt, aber von andern, auch ganz artigen Schlinggewächsen. Und als ich an einem schönen Maimorgen neben meiner Mutter in besagter Laube am Kaffeetisch saß und die Predigt für den nächsten Sonntag meditirte, da fehlte mir wirklich nichts mehr, um der glücklichste Erdbewohner zu sein. Doch nein, Etwas fehlte mir noch. Das bewiesen schon die häufigen Spaziergange, welche ich oft beim schlechtesten Wetter, nach dem Schlosse des Barons <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0077"/> sogleich jene Ihnen so unheimliche Thür verschließen und, wenn Sie es wünschen, vernageln lassen. Nicht doch, versetzt' ich eifrig, ich weiß ja nun nach eigener Erfahrung, was dahinter ist, und werde sicherlich keine neue Entdeckungsreise in jenes Gebiet unternehmen. 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Der Baron hatte dasselbe in meiner Abwesenheit aufs Herrlichste in Stand setzen lassen; es war weit stattlicher und größer als das, welches ich mir in meinen Träumereien erbaut hatte. Auch war ein kühler, schattiger Garten dahinter mit einer Laube, zwar nicht von Geisblatt, aber von andern, auch ganz artigen Schlinggewächsen. Und als ich an einem schönen Maimorgen neben meiner Mutter in besagter Laube am Kaffeetisch saß und die Predigt für den nächsten Sonntag meditirte, da fehlte mir wirklich nichts mehr, um der glücklichste Erdbewohner zu sein. </p><lb/> <p>Doch nein, Etwas fehlte mir noch. Das bewiesen schon die häufigen Spaziergange, welche ich oft beim schlechtesten Wetter, nach dem Schlosse des Barons<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0077]
sogleich jene Ihnen so unheimliche Thür verschließen und, wenn Sie es wünschen, vernageln lassen. Nicht doch, versetzt' ich eifrig, ich weiß ja nun nach eigener Erfahrung, was dahinter ist, und werde sicherlich keine neue Entdeckungsreise in jenes Gebiet unternehmen. Außerdem haben die Begebenheiten jener Nacht mich von meiner Furchtsamkeit geheilt; ich weiß jetzt: Niemand entgeht seinem Schicksal.
Ein wahres Wort, erwiderte der Baron, und man konnte mir Diderot's Jaques le fataliste sagen: Es stand dort oben geschrieben, daß Sie nicht in diesem Bette schlafen, daß Sie in einem Heuschober übernachten und aus demselben ins Gefängniß wandern sollten. — Nun, ich lobe jetzt die Wanderung; hat sie mich doch ans Ziel meiner Wünsche geführt.
Wir umarmten uns herzlich und kehrten zu den Damen zurück.
Soll ich noch erzählen, wie wir Tags darauf zu dem Grafen S. fuhren, wie derselbe mich überaus gütig empfing und das dem Baron gemachte Versprechen erneuerte? — Es genüge, daß ich nach einigen Wochen als ordinirter Prediger mit meiner überglücklichen Mutter in dem freundlichen Pfarrhause zu —dorf saß. Der Baron hatte dasselbe in meiner Abwesenheit aufs Herrlichste in Stand setzen lassen; es war weit stattlicher und größer als das, welches ich mir in meinen Träumereien erbaut hatte. Auch war ein kühler, schattiger Garten dahinter mit einer Laube, zwar nicht von Geisblatt, aber von andern, auch ganz artigen Schlinggewächsen. Und als ich an einem schönen Maimorgen neben meiner Mutter in besagter Laube am Kaffeetisch saß und die Predigt für den nächsten Sonntag meditirte, da fehlte mir wirklich nichts mehr, um der glücklichste Erdbewohner zu sein.
Doch nein, Etwas fehlte mir noch. Das bewiesen schon die häufigen Spaziergange, welche ich oft beim schlechtesten Wetter, nach dem Schlosse des Barons
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