Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

lichen Gefühlen alle Ehre -- aber ich muß darauf dringen, daß Sie vor der Hand erst mit mir nach meinem Gute und von da zum Grafen fahren, um ihn Persönlich von der Annahme der für Sie bestimmten Pfarre zu benachrichtigen. Nebenbei besehen wir uns mit Muße das Pfarrhaus und die Kirche; Sie machen die Bekanntschaft Ihrer künftigen Gemeinde -- und dann mögen Sie mit Gott heim reisen, um bald auf längere Zeit zu uns zurückzukehren.

Ich folgte seinem Rathe; nachdem ich einen Brief an meine Mutter auf die Post gegeben, fuhren wir dem Gute des Barons zu, wo wir gegen Abend anlangten. Mit welchen Gefühlen betrat ich jene Schwelle und die breite Hausflur! -- die braunen Hirschköpfe an den Wanden schienen mir freundlich zuzunicken als alte Bekannte; auch der Goliath erschien, ganz wie damals, mit dem mächtigen Armleuchter in der Hand, um uns in steifer Haltung vorauszuschreiten. Bei meinem Anblick spielte um seine Lippen ein wohlgefälliges Lächeln, welches jedoch gleich wieder in dem feierlichen Ernst seiner Miene verschwand.

Ich bat mir als besondere Gunst aus, auf demselben Zimmer einquartiert zu werden, auf welchem ich bei meinem früheren Besuch übernachtet -- oder vielmehr nicht übernachtet hatte. Als mich der Baron selbst dahin führte, fragte er plötzlich:

Aber nun, zum Henker! erklären Sie mir, wie Sie in jene Scheune gelangten, wo ich Ihnen beinah auf den Kopf sprang -- ich habe mir das immer nicht erklären können.

Ich machte ein ziemlich verlegenes Gesicht zu dieser Frage und suchte anfangs Ausflüchte; dann aber gestand ich meinem Gastfreund offen den wahren Zusammenhang und meine lächerliche Vorsicht, die mir so verhängnißvoll werden sollte. Er lachte recht herzlich darüber. Und damit Sie nicht wieder, sagte er, eine schlaflose Nacht unter meinem Dache zubringen, will ich

lichen Gefühlen alle Ehre — aber ich muß darauf dringen, daß Sie vor der Hand erst mit mir nach meinem Gute und von da zum Grafen fahren, um ihn Persönlich von der Annahme der für Sie bestimmten Pfarre zu benachrichtigen. Nebenbei besehen wir uns mit Muße das Pfarrhaus und die Kirche; Sie machen die Bekanntschaft Ihrer künftigen Gemeinde — und dann mögen Sie mit Gott heim reisen, um bald auf längere Zeit zu uns zurückzukehren.

Ich folgte seinem Rathe; nachdem ich einen Brief an meine Mutter auf die Post gegeben, fuhren wir dem Gute des Barons zu, wo wir gegen Abend anlangten. Mit welchen Gefühlen betrat ich jene Schwelle und die breite Hausflur! — die braunen Hirschköpfe an den Wanden schienen mir freundlich zuzunicken als alte Bekannte; auch der Goliath erschien, ganz wie damals, mit dem mächtigen Armleuchter in der Hand, um uns in steifer Haltung vorauszuschreiten. Bei meinem Anblick spielte um seine Lippen ein wohlgefälliges Lächeln, welches jedoch gleich wieder in dem feierlichen Ernst seiner Miene verschwand.

Ich bat mir als besondere Gunst aus, auf demselben Zimmer einquartiert zu werden, auf welchem ich bei meinem früheren Besuch übernachtet — oder vielmehr nicht übernachtet hatte. Als mich der Baron selbst dahin führte, fragte er plötzlich:

Aber nun, zum Henker! erklären Sie mir, wie Sie in jene Scheune gelangten, wo ich Ihnen beinah auf den Kopf sprang — ich habe mir das immer nicht erklären können.

Ich machte ein ziemlich verlegenes Gesicht zu dieser Frage und suchte anfangs Ausflüchte; dann aber gestand ich meinem Gastfreund offen den wahren Zusammenhang und meine lächerliche Vorsicht, die mir so verhängnißvoll werden sollte. Er lachte recht herzlich darüber. Und damit Sie nicht wieder, sagte er, eine schlaflose Nacht unter meinem Dache zubringen, will ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0076"/>
lichen Gefühlen alle Ehre &#x2014; aber ich muß darauf      dringen, daß Sie vor der Hand erst mit mir nach meinem Gute und von da zum Grafen fahren, um      ihn Persönlich von der Annahme der für Sie bestimmten Pfarre zu benachrichtigen. Nebenbei      besehen wir uns mit Muße das Pfarrhaus und die Kirche; Sie machen die Bekanntschaft Ihrer      künftigen Gemeinde &#x2014; und dann mögen Sie mit Gott heim reisen, um bald auf längere Zeit zu uns      zurückzukehren. </p><lb/>
        <p>Ich folgte seinem Rathe; nachdem ich einen Brief an meine Mutter auf die Post gegeben, fuhren      wir dem Gute des Barons zu, wo wir gegen Abend anlangten. Mit welchen Gefühlen betrat ich jene      Schwelle und die breite Hausflur! &#x2014; die braunen Hirschköpfe an den Wanden schienen mir      freundlich zuzunicken als alte Bekannte; auch der Goliath erschien, ganz wie damals, mit dem      mächtigen Armleuchter in der Hand, um uns in steifer Haltung vorauszuschreiten. Bei meinem      Anblick spielte um seine Lippen ein wohlgefälliges Lächeln, welches jedoch gleich wieder in dem      feierlichen Ernst seiner Miene verschwand. </p><lb/>
        <p>Ich bat mir als besondere Gunst aus, auf demselben Zimmer einquartiert zu werden, auf welchem      ich bei meinem früheren Besuch übernachtet &#x2014; oder vielmehr <hi rendition="#g">nicht</hi> übernachtet hatte. Als mich      der Baron selbst dahin führte, fragte er plötzlich: </p><lb/>
        <p>Aber nun, zum Henker! erklären Sie mir, wie Sie in jene Scheune gelangten, wo ich Ihnen      beinah auf den Kopf sprang &#x2014; ich habe mir das immer nicht erklären können. </p><lb/>
        <p>Ich machte ein ziemlich verlegenes Gesicht zu dieser Frage und suchte anfangs Ausflüchte;      dann aber gestand ich meinem Gastfreund offen den wahren Zusammenhang und meine lächerliche      Vorsicht, die mir so verhängnißvoll werden sollte. Er lachte recht herzlich darüber. Und damit      Sie nicht wieder, sagte er, eine schlaflose Nacht unter meinem Dache zubringen, will ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0076] lichen Gefühlen alle Ehre — aber ich muß darauf dringen, daß Sie vor der Hand erst mit mir nach meinem Gute und von da zum Grafen fahren, um ihn Persönlich von der Annahme der für Sie bestimmten Pfarre zu benachrichtigen. Nebenbei besehen wir uns mit Muße das Pfarrhaus und die Kirche; Sie machen die Bekanntschaft Ihrer künftigen Gemeinde — und dann mögen Sie mit Gott heim reisen, um bald auf längere Zeit zu uns zurückzukehren. Ich folgte seinem Rathe; nachdem ich einen Brief an meine Mutter auf die Post gegeben, fuhren wir dem Gute des Barons zu, wo wir gegen Abend anlangten. Mit welchen Gefühlen betrat ich jene Schwelle und die breite Hausflur! — die braunen Hirschköpfe an den Wanden schienen mir freundlich zuzunicken als alte Bekannte; auch der Goliath erschien, ganz wie damals, mit dem mächtigen Armleuchter in der Hand, um uns in steifer Haltung vorauszuschreiten. Bei meinem Anblick spielte um seine Lippen ein wohlgefälliges Lächeln, welches jedoch gleich wieder in dem feierlichen Ernst seiner Miene verschwand. Ich bat mir als besondere Gunst aus, auf demselben Zimmer einquartiert zu werden, auf welchem ich bei meinem früheren Besuch übernachtet — oder vielmehr nicht übernachtet hatte. Als mich der Baron selbst dahin führte, fragte er plötzlich: Aber nun, zum Henker! erklären Sie mir, wie Sie in jene Scheune gelangten, wo ich Ihnen beinah auf den Kopf sprang — ich habe mir das immer nicht erklären können. Ich machte ein ziemlich verlegenes Gesicht zu dieser Frage und suchte anfangs Ausflüchte; dann aber gestand ich meinem Gastfreund offen den wahren Zusammenhang und meine lächerliche Vorsicht, die mir so verhängnißvoll werden sollte. Er lachte recht herzlich darüber. Und damit Sie nicht wieder, sagte er, eine schlaflose Nacht unter meinem Dache zubringen, will ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:28:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:28:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/76
Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/76>, abgerufen am 28.11.2024.