Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.den Herzog von Enghien, den Buchhändler Palm und die vor Brannschweig erschossenen Schill'schen Krieger. Ich machte mich auf ein ähnliches Loos gefaßt und unterhielt mich damit, meine Abschiedsrede von der Welt zu entwerfen und mit den dazu gehörigen Gesten förmlich einzuüben. Ich glaube, ich hätte die Sache recht gut gemacht; auch war ich, weil ja ein Sterbender hienieden Nichts mehr zu fürchten hat, fest entschlossen, mit einer patriotischen Verwünschung des Kaisers Napoleon zu schließen. Ich dachte dabei oft meines Reisegefährten, des Turners, wie ich in seiner Achtung steigen würde, wenn er die Beschreibung meiner Hinrichtung in den Zeitungen läse. Das Schicksal hatte es indeß anders beschlossen. Durch mehrfache Verhöre und über mein vergangenes Leben eingezogene Erkundigungen gelangten meine Inquirenten allmählich zu der Ueberzeugung, daß ich im Grunde ein sehr harmloses Subject und mehr das Opfer, als der Urheber der vorgegangenen Täuschung wäre, Und so wurde ich endlich -- beinah ein Jahr nach meiner Verhaftung -- entlassen. Blaß, abgemagert, hohläugig wie ein Gespenst trat ich aus den Kerkermauern wieder in die Welt, der ich halb und halb schon entsagt und von deren Schicksalen ich so lange Nichts erfahren hatte. Wie staunte ich, als ich nun die großen Ereignisse des Jahres 1812, die Katastrophe von Moskau, den Untergang der großen Armee, die Capitulation des York'schen Corps erfuhr! Ich fühlte mich wie berauscht. Auch die Menschen fand ich so verändert; an die Stelle der hoffnungslosen, knechtischen Ergebung war eine dumpfe Gährung getreten; man flüsterte sich die furchtbaren Verluste, die Entmuthigung des französischen Heeres zu, und Viele erwarteten ungeduldig nur den Wink der heimischen Fürsten, um gegen die verhaßten Fremdlinge in offenem Aufruhr loszubrechen. Ich eilte jedoch vor Allem, die kindliche Pflicht zu den Herzog von Enghien, den Buchhändler Palm und die vor Brannschweig erschossenen Schill'schen Krieger. Ich machte mich auf ein ähnliches Loos gefaßt und unterhielt mich damit, meine Abschiedsrede von der Welt zu entwerfen und mit den dazu gehörigen Gesten förmlich einzuüben. Ich glaube, ich hätte die Sache recht gut gemacht; auch war ich, weil ja ein Sterbender hienieden Nichts mehr zu fürchten hat, fest entschlossen, mit einer patriotischen Verwünschung des Kaisers Napoleon zu schließen. Ich dachte dabei oft meines Reisegefährten, des Turners, wie ich in seiner Achtung steigen würde, wenn er die Beschreibung meiner Hinrichtung in den Zeitungen läse. Das Schicksal hatte es indeß anders beschlossen. Durch mehrfache Verhöre und über mein vergangenes Leben eingezogene Erkundigungen gelangten meine Inquirenten allmählich zu der Ueberzeugung, daß ich im Grunde ein sehr harmloses Subject und mehr das Opfer, als der Urheber der vorgegangenen Täuschung wäre, Und so wurde ich endlich — beinah ein Jahr nach meiner Verhaftung — entlassen. Blaß, abgemagert, hohläugig wie ein Gespenst trat ich aus den Kerkermauern wieder in die Welt, der ich halb und halb schon entsagt und von deren Schicksalen ich so lange Nichts erfahren hatte. Wie staunte ich, als ich nun die großen Ereignisse des Jahres 1812, die Katastrophe von Moskau, den Untergang der großen Armee, die Capitulation des York'schen Corps erfuhr! Ich fühlte mich wie berauscht. Auch die Menschen fand ich so verändert; an die Stelle der hoffnungslosen, knechtischen Ergebung war eine dumpfe Gährung getreten; man flüsterte sich die furchtbaren Verluste, die Entmuthigung des französischen Heeres zu, und Viele erwarteten ungeduldig nur den Wink der heimischen Fürsten, um gegen die verhaßten Fremdlinge in offenem Aufruhr loszubrechen. Ich eilte jedoch vor Allem, die kindliche Pflicht zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0038"/> den Herzog von Enghien, den Buchhändler Palm und die vor Brannschweig erschossenen Schill'schen Krieger. Ich machte mich auf ein ähnliches Loos gefaßt und unterhielt mich damit, meine Abschiedsrede von der Welt zu entwerfen und mit den dazu gehörigen Gesten förmlich einzuüben. Ich glaube, ich hätte die Sache recht gut gemacht; auch war ich, weil ja ein Sterbender hienieden Nichts mehr zu fürchten hat, fest entschlossen, mit einer patriotischen Verwünschung des Kaisers Napoleon zu schließen. 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Auch die Menschen fand ich so verändert; an die Stelle der hoffnungslosen, knechtischen Ergebung war eine dumpfe Gährung getreten; man flüsterte sich die furchtbaren Verluste, die Entmuthigung des französischen Heeres zu, und Viele erwarteten ungeduldig nur den Wink der heimischen Fürsten, um gegen die verhaßten Fremdlinge in offenem Aufruhr loszubrechen. </p><lb/> <p>Ich eilte jedoch vor Allem, die kindliche Pflicht zu<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0038]
den Herzog von Enghien, den Buchhändler Palm und die vor Brannschweig erschossenen Schill'schen Krieger. Ich machte mich auf ein ähnliches Loos gefaßt und unterhielt mich damit, meine Abschiedsrede von der Welt zu entwerfen und mit den dazu gehörigen Gesten förmlich einzuüben. Ich glaube, ich hätte die Sache recht gut gemacht; auch war ich, weil ja ein Sterbender hienieden Nichts mehr zu fürchten hat, fest entschlossen, mit einer patriotischen Verwünschung des Kaisers Napoleon zu schließen. Ich dachte dabei oft meines Reisegefährten, des Turners, wie ich in seiner Achtung steigen würde, wenn er die Beschreibung meiner Hinrichtung in den Zeitungen läse.
Das Schicksal hatte es indeß anders beschlossen. Durch mehrfache Verhöre und über mein vergangenes Leben eingezogene Erkundigungen gelangten meine Inquirenten allmählich zu der Ueberzeugung, daß ich im Grunde ein sehr harmloses Subject und mehr das Opfer, als der Urheber der vorgegangenen Täuschung wäre, Und so wurde ich endlich — beinah ein Jahr nach meiner Verhaftung — entlassen.
Blaß, abgemagert, hohläugig wie ein Gespenst trat ich aus den Kerkermauern wieder in die Welt, der ich halb und halb schon entsagt und von deren Schicksalen ich so lange Nichts erfahren hatte. Wie staunte ich, als ich nun die großen Ereignisse des Jahres 1812, die Katastrophe von Moskau, den Untergang der großen Armee, die Capitulation des York'schen Corps erfuhr! Ich fühlte mich wie berauscht. Auch die Menschen fand ich so verändert; an die Stelle der hoffnungslosen, knechtischen Ergebung war eine dumpfe Gährung getreten; man flüsterte sich die furchtbaren Verluste, die Entmuthigung des französischen Heeres zu, und Viele erwarteten ungeduldig nur den Wink der heimischen Fürsten, um gegen die verhaßten Fremdlinge in offenem Aufruhr loszubrechen.
Ich eilte jedoch vor Allem, die kindliche Pflicht zu
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Zitationshilfe: | Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/38>, abgerufen am 16.07.2024. |