Altenberg, Peter: Pròdrŏmŏs. 2. Aufl. Berlin, 1906.Ich sah eine junge Person in unbeschreiblicher natürlicher Anmut Arm und ideale Hand auf die Sessellehne legen. Ich sagte sogleich infolgedessen zu ihr: "Sie können nicht lügen!" "Nein, das kann ich leider nicht" erwiderte sie. Anmut der Gebärde verpflichtet zu innerlicher Anmut und Reinheit! Innerliche Anmut und Reinheit bewirken wieder Anmut der Gebärde! [Abbildung]Die "Gefallene" hat eine dreifache Beziehung zum Manne: Der "fremde Mann", der dazu da ist, ihr ökonomisch das Leben möglich zu machen. Mann gewordenes Portemonnaie. Sie nützt ihn daher unerbittlich aus, leistet nur das unbedingt Notwendige, auf kaltem Wege unentrinnbarer Verpflichtung. Erzgepanzert liegt sie gleichsam, den Blick starr in Fernen gerichtet, seelenlos. Der "Flug" oder "das Flugerl", der, auf den sie mit ihren Sinnen momentan fliegt; Seelen-los, eine Fresserin, Verzehrerin in leiblichem Durst und Hunger ist sie da! Rassasiee, wendet sie sich ab, unbekümmert um sein ferneres Schicksal! Er war ein "Flug", ein "Flugerl", die sinnliche Sehnsucht einer verflüchtigten Stunde. "Ich habe meinen Durst gestillt an ihm. Und basta." Der "Strizzi". Der, dem ihr Herz gehört, der, um den sie zagt, weint und leidet. Der, der ihr Gelegenheit gibt, ein Weib zu sein! Der, den sie Ich sah eine junge Person in unbeschreiblicher natürlicher Anmut Arm und ideale Hand auf die Sessellehne legen. Ich sagte sogleich infolgedessen zu ihr: „Sie können nicht lügen!“ „Nein, das kann ich leider nicht“ erwiderte sie. Anmut der Gebärde verpflichtet zu innerlicher Anmut und Reinheit! Innerliche Anmut und Reinheit bewirken wieder Anmut der Gebärde! [Abbildung]Die „Gefallene“ hat eine dreifache Beziehung zum Manne: Der „fremde Mann“, der dazu da ist, ihr ökonomisch das Leben möglich zu machen. Mann gewordenes Portemonnaie. Sie nützt ihn daher unerbittlich aus, leistet nur das unbedingt Notwendige, auf kaltem Wege unentrinnbarer Verpflichtung. Erzgepanzert liegt sie gleichsam, den Blick starr in Fernen gerichtet, seelenlos. Der „Flug“ oder „das Flugerl“, der, auf den sie mit ihren Sinnen momentan fliegt; Seelen-los, eine Fresserin, Verzehrerin in leiblichem Durst und Hunger ist sie da! Rassasiée, wendet sie sich ab, unbekümmert um sein ferneres Schicksal! Er war ein „Flug“, ein „Flugerl“, die sinnliche Sehnsucht einer verflüchtigten Stunde. „Ich habe meinen Durst gestillt an ihm. Und basta.“ Der „Strizzi“. Der, dem ihr Herz gehört, der, um den sie zagt, weint und leidet. Der, der ihr Gelegenheit gibt, ein Weib zu sein! Der, den sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0047" n="47"/> <p>Ich sah eine junge Person in unbeschreiblicher natürlicher Anmut Arm und ideale Hand auf die Sessellehne legen. Ich sagte sogleich infolgedessen zu ihr: „Sie können nicht lügen!“</p> <p>„Nein, das kann ich leider nicht“ erwiderte sie.</p> <p>Anmut der Gebärde verpflichtet zu innerlicher Anmut und Reinheit! Innerliche Anmut und Reinheit bewirken wieder Anmut der Gebärde!</p> <figure/><lb/> <p>Die „Gefallene“ hat eine dreifache Beziehung zum Manne:</p> <p>Der <hi rendition="#g">„fremde Mann“</hi>, der dazu da ist, ihr ökonomisch das Leben möglich zu machen. Mann gewordenes Portemonnaie. Sie nützt ihn daher unerbittlich aus, leistet nur das unbedingt Notwendige, auf kaltem Wege unentrinnbarer Verpflichtung. Erzgepanzert liegt sie gleichsam, den Blick starr in Fernen gerichtet, seelenlos.</p> <p>Der <hi rendition="#g">„Flug“</hi> oder <hi rendition="#g">„das</hi> Flugerl“<hi rendition="#g">, der, auf den sie mit ihren Sinnen</hi> momentan fliegt; Seelen-los, eine Fresserin, Verzehrerin in leiblichem Durst und Hunger ist sie da! Rassasiée, wendet sie sich ab, unbekümmert um sein ferneres Schicksal!</p> <p>Er war ein „Flug“, ein „Flugerl“, die sinnliche Sehnsucht einer verflüchtigten Stunde. „Ich habe meinen Durst gestillt an ihm. Und basta.“</p> <p>Der <hi rendition="#g">„Strizzi“</hi>. Der, dem ihr Herz gehört, der, um den sie zagt, weint und leidet. Der, der ihr Gelegenheit gibt, ein Weib zu sein! Der, den sie </p> </div> </body> </text> </TEI> [47/0047]
Ich sah eine junge Person in unbeschreiblicher natürlicher Anmut Arm und ideale Hand auf die Sessellehne legen. Ich sagte sogleich infolgedessen zu ihr: „Sie können nicht lügen!“
„Nein, das kann ich leider nicht“ erwiderte sie.
Anmut der Gebärde verpflichtet zu innerlicher Anmut und Reinheit! Innerliche Anmut und Reinheit bewirken wieder Anmut der Gebärde!
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Die „Gefallene“ hat eine dreifache Beziehung zum Manne:
Der „fremde Mann“, der dazu da ist, ihr ökonomisch das Leben möglich zu machen. Mann gewordenes Portemonnaie. Sie nützt ihn daher unerbittlich aus, leistet nur das unbedingt Notwendige, auf kaltem Wege unentrinnbarer Verpflichtung. Erzgepanzert liegt sie gleichsam, den Blick starr in Fernen gerichtet, seelenlos.
Der „Flug“ oder „das Flugerl“, der, auf den sie mit ihren Sinnen momentan fliegt; Seelen-los, eine Fresserin, Verzehrerin in leiblichem Durst und Hunger ist sie da! Rassasiée, wendet sie sich ab, unbekümmert um sein ferneres Schicksal!
Er war ein „Flug“, ein „Flugerl“, die sinnliche Sehnsucht einer verflüchtigten Stunde. „Ich habe meinen Durst gestillt an ihm. Und basta.“
Der „Strizzi“. Der, dem ihr Herz gehört, der, um den sie zagt, weint und leidet. Der, der ihr Gelegenheit gibt, ein Weib zu sein! Der, den sie
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